Der Bedarf an Fachkräfte wächst stetig. Gleichzeitig sind Menschen »arbeitslos«. Wie passt das zusammen? Die Mainzer Agentur für Arbeit bietet vielfältige Unterstützung, um Menschen in Arbeit zu bringen.

Im Juli 2022 waren in Mainz 8.000 Menschen arbeitslos gemeldet, davon nahmen 1.500 an einer Qualifizierungsmaßnahme teil. In Rheinhessen, inklusive Mainz, waren 22.000 Menschen ohne Arbeit, davon 4.000 in einer Qualifizierungsmaßnahme. Mit Blick auf das Bundesgebiet lässt sich sagen, etwa 40 % der Arbeitslosen sind im ALG I-Bezug und 60 % im ALG II-Bezug. In städtischen Regionen liegt der Anteil der ALG II-bezieher:innen höher. »Unser Augenmerk liegt besonders bei den Menschen, die ohne unsere Hilfe keine Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt erlangen«, sagt Heike Strack (Foto oben). Und: »Wir müssen die Kundinnen und Kunden dort abholen, wo sie stehen.« Die Vorsitzende der Geschäftsführung der Mainzer Agentur für Arbeit (AfA) war 20 Jahre lang als Beraterin in hessischen Agenturen für Arbeit tätig.

Angst vor dem Unbekannten

»Wir können ein Drittel derjenigen, denen ein Jobverlust droht und die eine formale Ausbildung vorweisen, noch während der Kündigungszeit in neue Arbeitsstellen vermitteln«, weiß Strack. Der »herausfordernde Part« der Beratungstätigkeit betreffe die Menschen ohne formale Bildung, deren Anteil unter den Arbeitslosen stetig zunehme. Es handele sich meist um Menschen, die irgendwann einmal gescheitert seien: Beim Schulabschluss, bei der Ausbildung oder überhaupt in ihrem Leben. Diese Erfahrung des Scheiterns erzeuge Angst – Angst, etwas Unbekanntes in Angriff zu nehmen, das erneut scheitern könnte. »Wir müssen in den Beratungsgesprächen die Angst vor dem Lernen nehmen und Angebote unterbreiten, die von den Menschen zu schaffen sind – z.B. Qualifizierungsangebote in Teile stückeln. Jede Teilqualifizierung, die geschafft ist, macht Mut, die nächste in Angriff zu nehmen.« Im Metallbereich oder in den Bauberufen ließen sich solche Teilqualifizierungen gut umsetzen. Manchmal reichen sie schon aus, um die Chancen auf Job und besseren Stundenlohn deutlich zu verbessern.

»Wir können nur motivieren und die Menschen an die Hand nehmen. Wenn sie nicht bereit sind, freiwillig mitzugehen, werden sie Ausreden finden – aber wir geben niemanden verloren, selbst wenn wir zum siebten, achten Mal ein Qualifizierungsangebot unterbreiten.« Die Bereitschaft der Unternehmen, Praktikumsplätze anzubieten, sei groß, beobachtet Strack. Da während der Praktika das Arbeitslosengeld weiter gezahlt wird, fallen in dieser Zeit keine Lohnkosten für die Firmen an. Außerdem hätten sie die Chance, Mitarbeitende kennenzulernen und für sich zu gewinnen. »Die arbeitslosen Menschen, die es bis in diese Berufsorientierung geschafft haben, bleiben meist auch längerfristig in einem Arbeitsverhältnis«, sagt Strack.




Potenziale nutzbar machen

Menschen mit Migrationshintergrund unterstützt die AfA auch dabei, an Sprachkursen teilzunehmen, um mindestens das B2-Niveau zu erreichen. Im nächsten Schritt gehe es um Kompetenzen die in Vorbereitungskursen vermittelt werden, wie »lernen lernen« und Mathematik. Strack unterstreicht, auch das seien Angebote der AfA, es bestehe keine Pflicht, an diesen Kursen teilzunehmen.

Ziel der AfA ist, das Potenzial der Erwachsenen ohne Ausbildung für die Unternehmen nutzbar zu machen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, gering qualifizierte Mitar­bei­ter:innen während ihrer beruflichen Tätigkeit im Unternehmen zu Fachkräften zu machen. Im Rahmen der Qualifizierungsoffensive WEITER.BILDUNG! vergibt die Bundesagentur für Arbeit Zuschüsse an die Unternehmen, für Arbeitskräfte, die während der Berufstätigkeit einen höheren Berufsabschluss erwerben. »Melden uns Firmen Fachkräftebedarf, fragen wir, ob sie Mitarbeiter:innen beschäftigen, die wir im bestehenden Beschäftigungsverhältnis auf ein höheres Qualifizierungsniveau bringen können. Für die Unternehmen bedeutet es Menschen, die sie bereits kennen zu den Facharbeiter:innen auszubilden, die sie brauchen.« Das vermutlich bekannteste Beispiel für diesen Weg dürfte die als »Altenpflegehelferin« ausgebildete Kraft sein, die sich zur »Altenpflegerin« (die Berufsbezeichnung lautet mittlerweile »Pflegefachfrau/mann«) ausbilden lässt, während sie gleichzeitig als Altenpflegehelferin weiterarbeitet und auch ihr Gehalt entsprechend weiter bezieht.

Infos
Im September 2022 informiert die Agentur für Arbeit in Mainz in der Reihe »Digit@ler Donnerstag -Virtuelle Events rund um das Berufsleben«, u.a. am 08.09., 17 Uhr über Alternativen zum Lehramt und am 29.09., 16 Uhr mit der KAUSA-Landesstelle Rheinland-Pfalz Standort Mainz, Handwerkskammer Rheinhessen im Elterncafé – Beratung von Eltern und Jugendlichen mit Migrationsgeschichte zum Thema Berufsausbildung. www.arbeitsagentur.de/vor-ort/mainz/digitalerdonnerstag

Der Drang in den Arbeitsmarkt ist groß

Heike Strack weiß aufgrund der vorliegenden bundesweiten Daten, es dauert in der Regel fünf bis sechs Jahre, bis Geflüchtete dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Von den Geflüchteten, die 2015, 2016 nach Deutschland kamen, sei der allergrößte Teil zwischenzeitlich im deutschen Arbeitsmarkt angekommen, vor allem in der Gastronomie, im Sicherheitsgewerbe, im Reinigungssektor. Was die Geflüchteten aus der Ukraine betreffe, würden nach deren vollständigen Registrierung in den Jobcentern bis Ende August 2022 belastbare Zahlen vorliegen.

Derzeit, so die Vorsitzende der Geschäftsführung der Mainzer Agentur für Arbeit, seien folgende Tendenzen zu beobachten: Ein Drittel der Geflüchteten aus der Ukraine wolle auf jeden Fall zurück, ein Drittel sei unentschlossen und ein Drittel wolle auf jeden Fall hier bleiben. »Aber alle wollen hier arbeiten und Geld verdienen, mit dem sie ihre Existenzen in der Ukraine wieder aufbauen und die zurückgebliebenen Familienmitglieder unterstützen können.« Allerdings, so Heike Strack, gebe es das große Problem der Kinderbetreuung. Wer in Unterkünften lebe und nicht gemeinschaftlich die Betreuung der Kinder organisieren könne, könne auch nicht Vollzeit arbeiten. »Diese Hürde, die Kinderbetreuung, muss überwunden werden«, sagt Strack an die Adresse der Politik.

Anwerbung aus dem Ausland

»Wir kommen um das Thema Anwerbung aus dem Ausland nicht herum, unser soziales Sicherungssystem bricht ohne ausländische Fachkräfte zusammen«, weist Strack auf eine Tatsache hin, die seit Jahren bekannt ist. Pro Jahr würden zwischen 200.000 und 400.000 Zugänge aus dem Ausland gebraucht, um die Nachfrage nach Arbeitskräften abzudecken. Immer weniger Arbeitskräfte müssen für immer mehr Rentner:innen sorgen. »Es bedarf dringend einer massiven Zuwanderung und wir müssen Bedingungen schaffen, damit die Zugewanderten auch hier bleiben und nicht nach wenigen Monaten weiterziehen.«

Als Dienstleistung für die Unternehmen managt die Agentur für Arbeit nach dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz die qualifizierte Anwerbung aus dem Ausland. »Aber nur die sozialverträgliche Anwerbung, das heißt wir werben nur Fachkräfte aus Ländern an, die selbst keinen Fachkräftemangel haben«, präzisiert Strack und verweist auf die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit. So gelang es kürzlich, Ärzte und Ärztinnen aus Mexico, sowie Gesundheits-Fachkräfte aus Brasilien für Kliniken in Mainz und Rheinhessen zu rekrutieren.

| SoS

 

Das Handwerk: Eine Aufstiegsgeschichte

 

Berufsberatung: individuell & kostenlos