Eine Städtebauliche Strategie, ein Städtebaulicher Wettbewerb, Zwei Gutachten: Kaltluft und Frischluft spielen in allen eine Rolle. Welche?

Es geht um die Zufuhr von Frisch- und Kaltluft im Planungsgebiet für den letzten Teil des Biotechnologie-Campus. Anlässlich der Präsentation der Ergebnisse des städtebaulich-freiraumplanerischen Wettbewerbs spielten Prozentzahlen eine Rolle: die Beeinträchtigung der Funktionen für Kaltluftentstehung und Kaltluftabfluss läge bei dem Siegerentwurf unter 7 %. Zu diesem Ergebnis sei die «Klimaökologische Detailanalyse zum Wettbewerbsverfahren Perspektive für den Biotechnologie-Standort Mainz« gekommen.
Im Auslobungstext für diesen zweiphasigen Wettbewerb steht unter der Überschrift: Klimaqualität für die Gesamtstadt sichern und ein nachhaltiges Stadtquartzier schaffen: «Eine Entwicklung des Biotechnologierstandortes ist nur dann möglich, wenn die definierten Schwellenwerte einer Beeinträchtigung von max. 10 %, im besten Fall von unter 7 % jeweils für die Funktionen Kaltluftentstehung und Kaltluftabfluss eingehalten werden.«

Kaltluft spielte auch beim Fußballstadion eine Rolle

Die 50 Hektar, die für die Vollendung des Biotechnologie-Campus vorgesehen sind, liegen in einem Kaltuftentstehungsgebiet, das bereits beim Bau des Fußballstadions Anfang der 2000er Jahre eine Rolle gespielt hatte. Damals wurde ein Klimagutachten zum Bebauungsplan «Multifunktionales Stadion südlich des Europakreisels (B 157) erstellt und der Flächennutzungsplan geändert (ÖKOPLANA 2009). Seit 2016 gilt außerdem der «Regionale Raumordnungsplan der Planungsgemeinschaft Rheinhessen-Nahe.« Auf diese Grundlagen verweist das Gutachten «Klimaexpertise zur Ersteinschätzung der klimaökologischen Verträglichkeit einer Städtebaulichen Entwicklung entlang der Saarstraße in der Landeshauptstadt Mainz« (im Folgenden «Klimaexpertise zur Ersteinschätzung«) vom 7. März 2022 (ÖKOPLANA Mannheim). Diese Klimaexpertise war vom Grün- und Umweltamt beauftragt worden, um belastbare Aussagen hinsichtlich der Auswirkungen einer Bebauung auf die lokalen und regionale Abflussbahnen für Kaltluft und das Kaltluftentstehungsgebiet zu erhalten. Auch die Erkenntnisse des KLIMPRAX-Projektes, eine modellbasierte Analyse des Stadtklimas als Grundlage für die Klimaanpassung am Beispiel von Wiesbaden und Mainz des Deutschen Wetterdienstes von 2017 fließen in diese «Klimaexpertise« ein.

Schwellenwert für Beeinträchtigung der Kaltluft

Auf der Basis all der Daten, Modelle und Analysen werden in der «Klimaexpertise zur Ersteinschätzung« Faktoren untersucht und dargestellt, die klimaökologische Funktionsabläufe im Raum Mainz beeinflussen: Allgemeine klimatische Bedingungen, Strömungsgeschehen, Thermische Situationen; diese Betrachtungen wiederum fließen ein in den «klimaökologischen Beitrag des Planungsgebietes an der kaltluftspezifischen Belüftung des Mainzer Stadtgebietes«. Aus diesen Erkenntnissen werden die «Schwellenwerte einer Beeinträchtigung von max. 10 %, im besten Fall von unter 7 % jeweils für die Funktionen Kaltluftentstehung und Kaltluftabfluss« abgeleitet.
Die Tatsache, dass es eine Beeinträchtigung geben wird, wurde in der politischen Debatte nie verneint. Bei der Entwicklung des Biotechnologie-Campus ging es immer darum, die Anpassungen an die Klimafolgen mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt Mainz zusammenzuführen. Schon in der Städtebaulichen Strategie von März 2022 (vom Stadtrat verabschiedet am 1. Juni 2022) heißt es auf S. 5:
«Da aufgrund des hohen Flächenbedarfs die Bebauung des Außenbereichs in den Fokus rückt, wird mittels einer wettbewerbsbegleitenden mikroklimatischen Beurteilung die klimatischen Auswirkungen der einzelnen Wettbewerbsbeiträge geprüft, um Beeinträchtigungen von Kaltluftbahnen weit möglichst zu verhindern bzw. weitgehend zu verringern. Ziel des Ideenwettbewerbes wird es daher sein, zu zeigen, wie ein nachhaltiges und innovatives Quartier mit nur wenig Beeinträchtigung der Kaltluftbahnen gelingen kann«.
Die Beeinträchtigungen sollen so gering wie möglich gehalten werden – es geht um Optimierung, nicht um den Ausschluss von Beeinträchtigungen.

Keine «Klimaunverträglichkeit« zu erwarten

Nachdem die Jury im Juni 2023 8 von 20 Wettbewerbsbeiträge ausgewählt hatte, wurden diese 8 mikroklimatisch beurteilt. In der Klimaökologischen Detailanalyse (September 2023) wurden die klimaökologischen Beeinträchtigungen durch die Bebauung der 50 Hektar durch eine computergestützte Modellrechnung von einem Gutachter hinsichtlich der zu erwartenden Beeinträchtigung der Kaltluftfunktionen überprüft; für jeden Entwurf wurden Optimierungsmaßnahmen formuliert, die die zu erwartenden klimaökologischen Auswirkungen mindern könnten.
Insgesamt kommt diese Detailanalyse zu dem Ergebnis: Die Wettbewerbsentwürfe führen zu Beeinträchtigungen der Klimafunktionen Kaltluftentstehung und Kaltluftabfluss. Beeinträchtigungen von mehr als 5% ergeben sich im Plangebiet und in den östlich angrenzenden Sondergebieten Hochschulerweiterung («B 158«) bzw. Kisselberg («G 112«). Beeinträchtigungen in Wohngebieten der angrenzenden Stadtteile ergeben sich nicht. Die Beeinträchtigungen der Klimafunktionen Kaltluftentstehung und Kaltluftabfluss bleiben auch unter Berücksichtigung der bestehenden Vorbelastung durch das Stadion weitestgehend unter den aus Vorsorgegesichtspunkten festgelegten Schwellenwerten von 7%. …. Eine erhebliche Beeinträchtigung der klimaökologischen Situation im Sinne einer «Klimaunverträglichkeit« liegt bei keinem Entwurf vor. Die Vorschläge zur Optimierung der Entwürfe sind Empfehlungen. Diese sollten im Weiteren auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden.
Im Anschluss hatten die Wettbewerbsteilnehmenden Gelegenheit, ihre Entwürfe entsprechend der Optimierungsempfehlungen zu ändern. Am 21 Dezember 2023 fand die zweite Preisgerichtssitzung statt. Der Entwurf von Der Wettbewerbsentwurf von ISSS research, architecture, urbanism, Berlin mit Greenbox Landschaftsarchitekten PartG mbB, Köln erzielte den ersten Preis.

Wie weiter?

Am 31. Januar 2024 nimmt der Stadtrat die Ergebnisse des Wettbewerbsverfahrens zur Kenntnis; eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Die Stadt Mainz wird zunächst mit dem ersten Preisträger ein Verhandlungsverfahren durchführen, um die Idee zu überarbeiten und zu optimieren. Damit würden noch keine formellen Verfahren nach dem Baugesetzbuch eingeleitet, heißt es in der Vorlage für den Stadtrat am 31. Januar 2024 (einsehbar im Ratsinformationssystem auf www.mainz.de). Die Ergebnisse dieser Überarbeitung werden dem Stadtrat erneut vorgelegt und der entscheidet über die Weiterführung des Projektes. Für die Durchführung des Wettbewerbs waren vor dessen Beginn 783.873,00 € aus dem Etat der Stadt Mainz außerplanmäßig genehmigt worden. Nach derzeitiger Schätzung sollten diese Mittel auch die Kosten für die Nachbeauftragung in Höhe von ca. 250.000 € decken.

Infos: Die genannten Dokumente sind hier einsehbar
Marion Diehl (SoS)