Sich auf »das Schlimmste« vorbereiten, indem das Machbare in Angriff genommen wird: Das ist die Aufgabe der Mainzer Stadtwerke AG, um die Energieversorgung sicherzustellen.

Was ist »das Schlimmste«? Daniel Gahr kann sich vieles vorstellen, was sich als »das Schlimmste« charakterisieren ließe. Das will der MSW-Vorstand aber nicht. Ihm liegt mehr daran, das Nächstliegende zu organisieren und den Energieversorger auf mögliche Engpässe bei der Energieversorgung vorzubereiten.

»Wir haben durch unsere Tochter KMW drei eigene Kraftwerke in Mainz, das ist eine gute Ausgangslage für die Versorgungssicherheit.«

Die Kraftwerke produzieren Strom, der an der Strombörse verkauft wird. Die Preise dort sind bekanntlich hoch, allerdings sind auch die Einkaufspreise, insbesondere für Erdgas hoch. Ob die Energieerzeuger letztlich auf ihre Kosten kommen, hängt vom sogenannten Spread, der Schere zwischen Brennstoffkosten und Stromerlösen, ab. Was die Preisentwicklung für Strom und Gas betrifft, sind zwei Komponenten wichtig: Die größere Menge an Strom und Gas, den die MSW an die Kundinnen und Kunden verkauft, wird ein bis drei Jahre vorher eingekauft. Da der tatsächliche Strom- und Gasverbrauch im Voraus nur grob geschätzt werden kann, muss ein Teil kurzfristig beschafft werden – diese Spotmarktpreise sind in den letzten Monaten stark gestiegen und tragen zu den erheblichen Preissteigerungen bei.

MSW-Vorstand Daniel Gahr

MSW-Vorstand Daniel Gahr

»Wir sind jetzt seit drei Jahren im Krisenmodus, handeln entsprechend der staatlichen Vorgaben, nutzen die uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um unsere Aufgaben als Energieversorgungsunternehmen und Netzbetreiber zu erfüllen – sowie zukunftssicher zu machen.«

MSW-Vorstand Daniel Gahr scheint wenig erschüttern zu können. Gut zwei Jahre Corona-Pandemie und einen veritablen Hackerangriff in diesem Sommer musste das Unternehmen bewältigen und seit dem russischen Überfall auf die Ukraine steht die deutsche Energieversorgung vor ungeahnten Herausforderungen. »Es ist schon knackig«, bekennt Daniel Gahr. Allerdings ist den Fachleuten der Unternehmensgruppe, im Unterschied zu den Verbraucher:innen, die Komplexität der europäischen Energieversorgung schon lange vertraut.

Technische Herausforderungen bei der Energieversorgung

Können in Mainz Gasnetze getrennt werden, falls die Gaszufuhr reduziert wird? Könnte, z.B., ein Stadtteil fünf Stunden mit Gas versorgt werden, während ein anderer Stadtteil in dieser Zeit von der Gaszufuhr abgekoppelt wird? Verkraften die Gasleitungen eine reduzierte Durchflussmenge? Es sind technische Fragen wie diese, die von der Mainzer Netze GmbH derzeit durchgespielt werden – um für den Fall, dass die »Notfallstufe« des dreistufigen Notfallplans in Kraft treten muss, vorbereitet zu sein. Abgefragt wurden auch alle industriellen und gewerblichen Gasabnehmer, inwieweit sie als systemrelevant gelten und ihre Gasversorgung unbedingt sichergestellt sein muss, sowie welche Einsparpotenziale die Unternehmen haben und nutzen können. »Dennoch bleiben viele Unbekannte. Offen ist, wie viel die Verbraucher:innen einsparen und natürlich, wie das Wetter im Winter wird«, fasst Gahr zusammen.

Konventionelle Erzeugung
Anteilseigner der Kraftwerke Mainz-Wiesbaden AG (KMW) sind zu jeweils 50 Prozent die Mainzer Stadtwerke AG und die ESWE Versorgungs AG aus Wiesbaden. Die KMW verfügt über drei funktionstüchtige Kraftwerke auf der Ingelheimer Aue. Im 100-Megawatt-Blockheizkraftwerk (KW5) wird aus Erdgas Strom sowie Fernwärme erzeugt. Da die Motoren innerhalb weniger Minuten an- und abfahren können, kann es schnell auf schwankende Stromproduktionen der erneuerbaren Energien bei Windflaute oder wenig Sonneneinstrahlung reagieren. 2019 hat die KMW einen neuen Fernwärmespeicher mit einem Wasservolumen von 12.000 Kubikmetern errichtet. Mit dieser Wärmespeicheranlage kann flexibel auf den aktuellen Fern­wärmebedarf reagiert werden.

Regelmäßig im Einsatz ist auch ein hoch­effizientes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk (KW3), dessen Leistung bei rund 400 Megawatt liegt. Die Dampferzeugung des benachbarten Müllheizkraftwerkes ist unter anderem an diese GuD-Anlage gekoppelt. Das Kombikraftwerk (KW2, aus dem Jahr 1977) dient als Netzreserve des Übertragungsnetzbetreibers Amprion. In diesem Kraftwerk kann im Bedarfsfall der Betrieb auf den Energieträger Öl umgestellt werden. Für einen maximal effizienten Betrieb sind die Strom-, Fernwärme- und Entsorgungsanlagen miteinander verbunden und ergänzen sich gegenseitig zu einem so genannten »Virtuellen Kraftwerk«. Die KMW AG lässt aktuell untersuchen, inwieweit die Gasturbinen von Wasserstoff und damit perspektivisch emissionsfrei betrieben werden können.

Investitionen in die Zukunft

In Mainz haben sich Politik und Gesellschaft daran gewöhnt, dass die MSW alljährlich beträchtliche Überschüsse erzielen, mit denen u.a. die Verluste im Öffentlichen Nahverkehr ausgeglichen sowie Klimaschutzprojekte finanziert werden und die in Form von Dividenden in den städtischen Etat und in die Zentrale Beteiligungsgesellschaft Mainz (ZBM) fließen. In 2022 fielen die Dividenden-Zahlungen an die Stadt und an die ZBM trotz vergleichbarer Überschüsse (2020: 26,1 Mio. €, 2021: 22,9 Mio. €,), geringer aus. Zahlten die MSW 2021 an die Stadt eine Dividende in Höhe von knapp 400.000 € und an die ZBM eine Dividende in Höhe von 5,6 Mio. € beträgt die Dividende 2022 an die Stadt 199.000 € und an die ZBM 2,8 Mio. €.

Eine Entscheidung, so MSW-Vorstand Gahr, die von der MSW- Hauptversammlung getroffen wurde. Die Stadt Mainz habe ihre Finanzlage infolge von hohen Gewerbesteuereinnahmen verbessern können und die ZBM benötige derzeit kaum zusätzliche Gelder, so die Einschätzung des MSW-Vorstands. Gemeinsam mit Finanzdezernent Günter Beck ist Daniel Gahr auch unentgeltlich als Geschäftsführer der ZBM tätig. Die 2021er MSW-Überschüsse würden zum größten Anteil in den eigenen Konzern investiert, kündigt Gahr an. U.a. sei der »massive Ausbau« des Geschäftsfeldes Regenerative Energien geplant und die Zahlungen an die Stiftung Klimaschutz würden erhöht.

Regenerative Erzeugung
Bereits 2007 hatte die MSW in einer Klimaschutzvereinbarung mit der Stadt Mainz vereinbart, bis zum Jahr 2020 mindestens 300 Millionen Kilowattstunden Strom und damit 20 Prozent des Mainzer Strom­verbrauchs durch erneuerbare Energien zu erzeugen. Diese Klimaschutzziele waren schon 2015 erreicht.

Im Jahr 2020 betreibt die Mainzer Erneuerbare Energien GmbH (MEE, 2016 als Nachfolgerin aus der RIO-Energie hervor­- ­ge­gangen) mit anderen Beteiligungen der Mainzer Stadtwerke AG 201 Photovoltaik­anlagen, 114 Windkraftanlagen und 12 Wasserkraftanlagen. Die Wasserkraftanlagen liegen an der Ruhr und der Sieg. 391 Millionen Kilowattstunden grüner Strom werden produziert. Seit 2019 könnten alle 110.000 Mainzer Haushalte rechnerisch mit grünem Strom versorgt werden. 157.000 Tonnen CO2 konnten durch die Produktion grünen Stroms eingespart werden.

Die Verbrauchspreise steigen

Strom, Gas und Fernwärme werden auch für die Kundschaft der MSW teurer. Allerdings gelten bei Strom und Gas entsprechende Festpreisgarantien bis Ende 2022, je nachdem, wann der Vertrag abgeschlossen wurde, sogar bis Ende 2023. Läuft der Vertrag Ende 2022 aus, werden die Verbraucher:innen demnächst über die neuen Preise für 2023 informiert, so MSW-Vorstand Gahr. Kundinnen und Kunden, die nicht in der Lage sind, höhere Abschläge und Nachzahlungen zu leisten, sollen über einen »Nothilfefonds« unterstützt werden, den die MSW gemeinsam mit der Stadt auflegen. Details zu den Voraussetzungen und der Abwicklung für diese Unterstützung werden in Kürze veröffentlicht.

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