Auf sie zugehen? Abwarten?… Bemühen sich Parteien in Mainz darum, »Menschen mit Migrationshintergrund« in die Arbeit im Stadtrat und in den 15 Ortsbeiräten einzubinden?

Laut der Mainzer Bevölkerungsstatistik lebten (Stand 31.12.2023) 226.551 Menschen in Mainz; davon 46.445 »Ausländer« (Einwohner ohne deutsche Staatsangehörigkeit), 37.576 »mit Migrationshintergrund« (Einwohner mit einer deutschen sowie einer weiteren Staatsangehörigkeit oder im Ausland Geborene oder unter 18 Jahren mit einem ausländischen oder einem im Ausland geborenen Elternteil), sowie 142.530 Deutsche (Einwohner mit alleiniger deutscher Staatsangehörigkeit, inkl. Migrantinnen und Migranten der 2. Generation ab dem 18. Geburtstag).

In diesem Artikel werden unter dem Begriff »Menschen mit Migrationshintergrund« auch »Ausländer« subsumiert.

DER MAINZER wollte in Telefoninterviews von allen Parteien im Mainzer Stadtrat wissen: »Wie gelingt es, Menschen mit Migrationshintergrund von der politischen Arbeit und der Mitarbeit in Ihrer Partei zu überzeugen?« Und: »Was muss geschehen, damit sich mehr Menschen mit Migrationshintergrund in der Kommunalpolitik beteiligen?«

Die Antworten

 

Jana Schmöller

Jana Schmöller ; © SPD Mainz/Daniel Reißmanngemeinsam mit Ata Delbasteh Vorsitzende der Mainzer SPD,
Platz 1 der SPD-Stadtratsliste

Die Ansprache funktioniere oft über persönliche Kontakte: über das Kinderturnen oder sportliche Aktivitäten in der Freizeit, sagt Schmöller und: »Ich mache keine Unterschiede, ob ich Menschen mit oder ohne Einwanderungsgeschichte anspreche.« Grundsätzlich helfe es immer, wenn nicht über die Menschen sondern mit ihnen gesprochen werde, wenn sie selbst ihre Vorstellungen artikulieren und in politische Prozesse einbringen können. »Manche sprechen wir auch gezielt an, wie Victoriya Jost, weil es wichtig ist, dass auch ukrainische Geflüchtete in der Stadtgesellschaft zu Wort kommen oder Donya Gilan, die mit der iranischen Community verbunden ist.« Mit der Einbindung dieser Menschen drücke die SPD auch ihre Haltungen zu politischen Fragen wie den Frauenrechten im Iran und dem Krieg in der Ukraine aus.

»Wir müssen aktiv auf Menschen zugehen und ihnen erklären, worum es bei Kommunalpolitik geht, dass sie direkt ihr Lebensumfeld betrifft, dass sie das mitgestalten können, wenn sie sich einbringen.« Über Instrumente wie die Bürgerbeteiligung und die Jugendbeteiligung sei einiges angeschoben worden: »Die Jugendbeteiligung, die alle 8. Klassen anspricht, kann helfen, mehr Menschen für die politische Arbeit zu interessieren – egal ob mit oder ohne Migrationsgeschichte – sie erleichtert den Kindern und Jugendlichen den Zugang.« Schmöller teilt den Vorwurf, Menschen mit Migrationshintergrund würden sich in ihre eigenen Communities zurückziehen, sich abschotten, nicht: »Ich erlebe viele, die sich ehrenamtlich auch in der Politik engagieren.«

 

Teresa Bicknell

Teresa BicknellBündnis 90/Die Grünen,
Platz 9 der Stadtratsliste und Platz 5 OB Oberstadt

Um Leute zu überzeugen, braucht es Räume, in denen sie sich austauschen, diskutieren und vernetzen können, meint Bicknell. Die Mainzer Grünen boten diese Möglichkeit z.B. in der AG Vielfalt. Die Landes-Grünen bieten das Mentoring-Programm »Vielfalt« an, das sich auch, aber nicht nur an Menschen mit Migrationshintergrund richtet.

»Wir gehen mit solchen Angeboten aktiv auf diese Menschen zu, andere finden den Weg zu uns über unsere Mitglieder die selbst einen Migrationshintergrund haben.« Die Grünen machten sich schon lange gegen Rassismus stark – auch ein Grund, warum sich Menschen mit Migrationshintergrund in dieser Partei engagierten. »Es ist wichtig, Menschen zu motivieren, damit sie sich beteiligen und wenn sie bereit dazu sind, sollte ihnen Platz auf aussichtsreichen Listenplätzen eingeräumt werden, damit sie eine Chance haben, gewählt zu werden.«

Auf der Mainzer Liste für die Kommunalwahl seien viele Menschen mit Migrationshintergrund wie Melba Lazo-Lara, Simay Dirmenci, Shiva Shafahi, Josef Aron. »Für uns Grüne ist Vielfalt ein Herzensthema, ob queer, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, wir wollen ja auch alle Wähler:innen ansprechen. Ich denke, jede demokratische Partei sollte sich für die Mitarbeit von Menschen mit Migrationshintergrund einsetzen und sich nicht nur einzelne Gruppen heraussuchen und andere ausschließen.«

 

Dr. Marc Engelmann

Dr. Marc Engelmann

FDP, Platz 8 der FDP-Stadtratsliste

Marc Engelmann kann die Einteilung der Menschen mit Migrationshintergrund, wie sie in der Bevölkerungsstatistik vorgenommen wird, nicht nachvollziehen: Er wisse von seinen Freunden und Bekannten nicht, ob sie zwei oder drei Staatsbürgerschaften haben, ob sie bereits in der 3. Generation in Deutschland leben – es interessiere ihn auch nicht, es gehe doch um das Miteinander als Menschen, als Bürger:innen.

In der politischen Ansprache, meint Marc Engelmann, müssten alle Menschen, nicht nur solche mit Migrationshintergrund, angesprochen werden, um sie für die Arbeit in den Gremien zu gewinnen. Eine Herausforderung sei, sich dabei so auszudrücken, dass verstanden werde, um was es geht: »Wir müssen die Probleme ernst nehmen, zuhören und das Gefühl vermitteln, dass sie durch die politische Arbeit etwas verbessern können – für sich und für andere.«

Engelmann weiß, es braucht niedrigschwellige Angebote, wie Bürgerdialoge, zu denen alle kommen und sich einbringen könnten. Die Mainzer Liberalen organisieren jeden 3. Mittwoch eine »liberale Runde« im »Lehmanns«, hier seien Alle, ob mit oder ohne Migrationshintergrund willkommen. Schwierig sei es politisch Interessierten zu erklären, wie man sich in diesem »von Verwaltungsvorschriften bestimmten Leben zurecht findet« und wie mit der Behördensprache klar zu kommen ist – Voraussetzungen, um in der politischen Gremienarbeit etwas bewirken zu können.

Eine Möglichkeit sieht Engelmann darin, an konkreten Beispielen zu zeigen, was über Ortsbeiräte und Stadtrat angeschoben werden und was damit erreicht werden könne.

 

Ralph Hasler

Ralph HaslerFreie Wähler Mainz – er kandidiert für den Stadtrat;
die Kandidatenliste der FW Mainz wird im März beschlossen.

»Wir brauchen keine gezielte Ansprache, um Menschen mit Migrationshintergrund für unsere politische Arbeit zu gewinnen«, sagt Hasler. »Sie machen mit, weil sie unser Programm gut finden, unseren pragmatischen Ansatz.« Es spiele keine Rolle, ob die Menschen ursprünglich aus Brasilien oder Indien kämen. Die Kontaktaufnahme finde in Vereinen oder am Arbeitsplatz statt, in Alltagsgesprächen über hohe Preise, über ausgefallene Schulstunden: »Das sind Themen, die alle gleichermaßen betreffen.« Hasler meint, viele Menschen, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, seien nicht einverstanden mit der Politik der aktuellen Regierungen – auch nicht mit deren »Integrationspolitik«.

Sie suchten nach Alternativen im demokratischen Spektrum und nicht bei extremen Parteien. »Wir holen die Leute ab, wo sie stehen – weniger Ideologie, mehr Pragmatismus.« Aus Sicht Haslers spiele der »Stand der Integration« eine Rolle für politisches Engagement. Die Menschen mit Migratioshintergrund, die sich bei den FW Mainz engagierten, hätten sich längst in die deutsche Gesellschaft integriert: »Sie sprechen Deutsch, haben Arbeit, engagieren sich in Vereinen.« Menschen, die sich abschotten, würden den Weg in die politischen Gremien kaum finden.

 

Tupac Orellana

Tupac Orellana; © Christof MattesDie Linke, Platz 1 Stadtratsliste

»Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen Themen, die alle Leute – egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund – betreffen, alle Fragen der öffentlichen Daseinsvorsorge: Wer die glaubhaft bearbeitet, spricht alle Menschen an«, meint Orellana. Zur Glaubwürdigkeit gehöre auch, Menschen in der Partei zu sehen, die selbst einen Migrationshintergrund haben. Das erleichtere auch die Kommunikation: »Das Erleben rassistischer Erfahrungen verbindet, schafft eine gemeinsame Kommunikationsebene.« Orellana erkennt generell Hemmnisse für eine Beteiligung von Menschen mit geringerem Einkommen und mit geringerem Bildungsgrad: »Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung kennt sich mit demokratischen Verfahren aus, dieses Wissen ist aber Voraussetzung für die Gremienarbeit.«

Orellana erinnert an die Interessenvertretung für Menschen mit Migrationshintergrund, den Migrationsbeirat – doch der habe nur beratende Funktionen: »Was bringt das Engagement, wenn es im politischen Entscheidungsprozess keinen Widerhall findet?« Er sieht die Aufgabe von Parteien auch, den Leuten konkrete Hilfe anzubieten, sie zu unterstützen: »Wer versteht die Anträge fürs Elterngeld ohne Erklärungen?« Es müssten Hemmschwellen abgebaut, auf die Leute zugegangen und konkret gezeigt werden, welche Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten es gibt – z.B. bei der Einrichtung einer Spielzone oder der Verschönerung eines Platzes.

 

Arne Kuster

Arne KusterAFD, Mitglied des Mainzer Stadtrats;
Platz 1 der AFD-Stadtratsliste für die Kommunalwahl 2024

Bei der Kür der AFD-Kandidatinnen und Kandidaten für die Mainzer Stadtratsliste habe sich gezeigt, so Kuster, dass sie alle die Liebe zu ihrer Heimat Mainz verbinde: »Das ist der Schlüssel, um auch Menschen mit Migrationshintergrund an die politische Arbeit in der AFD heranzuführen.« Kuster nennt als Voraussetzung für diese »Liebe«, dass sich diese Menschen integriert hätten und mit Mainz identifizierten. Zur Integration gehöre es, deutsch zu sprechen, sich im Arbeits- und im gesellschaftlichen Umfeld anzupassen. Laut Kuster sind auf der Liste der Kandidatinnen und Kandidaten für den Mainzer Stadtrat auch Menschen mit Migrationshintergrund. Es handele sich um AFD-Mitglieder, die eine mittel- bis osteuropäische Migrationsgeschichte hätten, aus Polen, der Ukraine, Russland stammten, die nicht wollten, dass Deutschland »überrannt« werde: »Wir wollen uns aussuchen, wer hierher kommt.« Diese Menschen hätten sich selbst alles aufgebaut und würden nicht akzeptieren, »warum anderen alles geschenkt werde«.

Was bedeutet es »Mainz als Heimat zu empfinden, Mainz zu lieben«? »Wenn man Arbeit und einen Freundeskreis hat, und sich nicht abschottet, nicht in Parallelgesellschaften lebt.« Was ist eine Parallelgesellschaft? Kuster antwortet zuerst: »Das wissen sie genau«, geht dann aber auf die Bitte ein, diesen Begriff zu definieren: »Wenn z.B. arabischsprachige Leute nur arabisch sprechen, nur in der arabischen Gemeinschaft unterwegs sind, dann ist das ein Hindernis, sich zu integrieren.« Siehe Kommentar: Wer lebt in einer Parallelwelt?

Für die Kommunalwahl werden  Wahlhelfer:innen gesucht
www.mainz.de, Stichwort: Wahlhelfer
Einen Kommentar zu dem Thema hier.

 

Wie viele Menschen mit Migrations­hintergrund sind in Stadtrat und Ortsbeiräten vertreten?
Die Antworten fielen unterschiedlich aus, auch weil nicht alle Menschen diese Zuschreibung »mit Migrationshintergrund« akzeptieren, bzw. weil sie in den Mitgliedsdateien nicht erfasst werden – so bei Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. D.h. die folgenden Angaben beziehen sich auf Abfragen der Parteimitglieder. In der SPD haben 3 Vorsitzende der Ortsvereine einen Migrationshintergrund und auf der Liste zur Stadtratswahl 2024 kandidieren 11 Menschen mit Migrationshintergrund. Ein Stadtratsmitglied der Linken und 5 Ortsbeiräte haben einen Migrationshintergrund, auf der Linke- Stadtratslisten sind es 10. Auf der Kandidatenliste der Freie Wähler Mainz sollen mindestens 5 Mitglieder mit Migrationshintergrund platziert werden (die Wahl findet im März statt). Bei der AFD treten »zwei oder drei« Kandidaten mit Migrationshintergrund an.