Das Ergebnis der Kommunalwahl in Mainz ist ein besonderes: Es trotzt den Trends und eröffnet neue Möglichkeiten; die bisherige Koalition aus Grünen, SPD und FDP braucht Mitstreitende.
Glück gehabt? Oder sind die Ergebnisse der Kommunalwahl in Mainz dem Engagement der hiesigen Parteien zu verdanken? Der Wahlkampf war intensiv, die Kandidierenden waren nicht zu übersehen – auch bei vielen, Stadtteilbezogenen Veranstaltungen. Gelungen sind den ehrenamtlichen Politiker:innen Ergebnisse jenseits der Trends bei der Europawahl.
Befürchtungen im Vorfeld der Wahl gab es einige: Erstarken der AFD, Abstrafen der Mainzer Ampel-Parteien (Grüne, SPD, FDP) für die Politik in Berlin, geringe Wahlbeteiligung – aber: 63,6 % Wahlbeteiligung (2019: 62,1 %.) können sich sehen lassen!
Die Grünen haben zwei Sitze verloren, bleiben aber mit 15 Sitzen stärkste Fraktion; die CDU bleiben bei 14 Sitzen, die SPD hat ihre 12 gehalten und die FDP hat 3 Sitze erreicht (minus 1). Heißt: Die bisherige Ampel-Koalition (Grüne, SPD, FDP) kommt auf 30 von 60 Sitzen im Stadtrat und hat keine Mehrheit mehr; wenn sie weitermachen will braucht sie neue Partner.
Die nächsten fünf Jahre stehen einige dicke Brocken auf der Agenda der Mainzer Stadtpolitik:
- Die Wärmewende: welche Wohngegenden können an die Fernwärme angeschlossen werden, wo sind andere Lösungen gefragt?
- Die Mobilitätswende: Ausbau des Straßenbahnnetzes und dessen Finanzierung, Radwegekonzept, Bewohnerparken;
- Ausbau des Biotechnologiestandortes – u.a. Entscheidung über den B 158, nahe der MEWA-Arena;
- Digitalisierung der Verwaltung – u.a. Umsetzung des Online-Zugangs- Gesetzes.
Auf den ersten Blick naheliegend: Die Ampel arrangiert sich mit Volt, die mit 3 Sitzen im neuen Stadtrat vertreten sind (2019: 1 Sitz, Tim Scharmann kooperierte mit der Grünen-Fraktion).
Rechnerisch wäre auch eine Mehrheit ohne die FDP möglich: SPD (12), Grüne (15), Volt (3), ÖDP (2) – macht 32 Sitze. Die ÖDP erreichte 2024 3,8 % der Stimmen (2019: 4,2 %); Claudius Moseler gewann die Ortsvorsteher Stichwahl gegen Lennart Brumby (SPD).
Entgegen dem Trend bei den Europawahlen (21,6 %, minus 7,5 % gegenüber 2019) haben die Mainzer Grünen nur wenig verloren: sie erreichten 24,8 % (2019: 27,6 %) und bleiben mit 15 Sitzen stärkste Fraktion im Mainzer Stadtrat. Über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen würde eine Mitgliederversammlung befinden, teilte Philipp Dörisch dem MAINZER mit. Bei der Stichwahl der Ortsvorsteher:innen am 23. Juni 2024 gewannen fünf Grüne: In der Neustadt Christoph Hand gegen Yvonne Wuttke (SPD), in der Altstadt Brian Huck gegen Fabian Christen (SPD), in der Oberstadt: Daniel Köbler gegen Melissa Enders (CDU), in Hartenberg-Münchfeld Christin Sauer gegen Jutta Lukas (CDU), in Gonsenheim Josef Aron gegen Sabine Flegel (CDU).
Rechnerisch ist auch eine Stadtratsmehrheit aus Grünen, CDU und SPD möglich. Die CDU schaffte in Mainz 23,6 % (2019: 23,4 %; Europawahl: 22 %) und ist die zweitstärkste Fraktion. Joachim Kleintitschen wurde im ersten Wahlgang als Ortsvorsteher in Drais gewählt. In der Stichwahl der Ortsvorsteher:innen gewannen am 23. Juni 2024 in Bretzenheim Manfred Lippold (CDU) gegen Florian Kärger (Grüne), in Hechtsheim Ulrike Cohnen gegen Ylva Dayan (SPD), in Ebersheim Anette Odenweller gegen Johannes Blüm (SPD) und in Laubenheim Norbert Riffel gegen Ina Neuhäuser (SPD): Macht, wie bei den Grünen, insgesamt fünf Ortsvorsteher:innen.
Wird die zweitstärkste Fraktion in die Mehrheitsfindung einbezogen?
Ludwig Holle beantwortete die MAINZER-Frage ob sich die CDU vorstellen kann, mit den Grünen und der SPD eine Koalition einzugehen, so: Die CDU wolle mit allen Parteien zusammenarbeiten, die aktiv die Stadt gestalten wollten. Hat die CDU Anfragen zu einer Mehrheitsbildung erhalten? »Wir sind aktuell im Austausch mit den anderen Parteien im Mainzer Stadtrat und hoffen, dass wir eine gemeinsame Basis für vertiefende Gespräche finden.« Holle wurde als Fraktionsvorsitzender im Amt bestätigt. Für die Partei steht 2026 der einzige Posten im Mainzer Stadtvorstand auf dem Spiel:
Manuela Matz ist bis Dezember 2026 im Amt; die Leitung für das Wirtschafts- und Ordnungsdezernat muss im November 2026 gewählt werden. Kaum vorstellbar, dass eine Stadtratsmehrheit aus Grüne, SPD, FDP und Volt, die CDU-Politikerin im Amt bestätigen würde. Eher ringen FDP (die bislang nur durch den ehrenamtlich agierenden Fördermitteldezernenten Volker Hans im Stadtvorstand vertreten sind) und Volt um einen Dezernatsposten miteinander.
Das Ergebnis bei den Europawahlen (16,3 %, minus 1,5 % gegenüber 2019) hat die SPD in Mainz pariert: 19,5 % (minus 1 % gegenüber 2019) und ihre 12 Sitze behauptet. Christian Kanka (Mombach), Alper Kömür (Lerchenberg) und Ralf Kehrein (Weisenau) wurden als SPD-Ortsvorsteher direkt gewählt. In der Stichwahl am 23. Juni 2024 gewann Manfred Mahle gegen Semih Cavlak (CDU). Insgesamt vier SPD-Ortsvorsteher.
Die Partei befindet sich, laut Auskunft der beiden Vorsitzenden Jana Schmöller und Ata Delbasteh in ersten Sondierungsgesprächen mit allen demokratischen Fraktionen des neuen Stadtrates. Ziel sei es, für die kommenden fünf Jahre eine partnerschaftliche Koalition zu schmieden, die die bestmöglichen Chancen für eine erfolgreiche Weiterentwicklung unserer Stadt biete, mit einer deutlichen sozialdemokratischen Handschrift. Wie lange mögliche Koalitionsverhandlungen und Beschlüsse der Partei andauern könnten, sei offen. Erste Ansprechpartner:innen seien die bisherigen Partner in der Ampel, das Wahlergebnis habe neue spannende Konstellationen eröffnet, z.B. mit Volt.
Dass Günter Beck nicht weitermacht, ist sicher: Der jetzt 67-Jährige darf altersbedingt nicht mehr antreten. Seit Februar 2010 ist er Finanz- und Beteiligungsdezernent, im Mai 2017 wurde er vom Stadtrat im Amt bestätigt – die Leitung des Finanz- und Beteiligungsdezernats muss 2025 neu besetzt wer- den. Da die Grünen im Stadtrat die meisten Sitze haben, werden sie Anspruch auf die Dezernatsleitung erheben: Wer käme als Nachfolger:in in Frage? Ob Katrin Eder Lust hätte aus der Landespolitik in die Stadtpolitik zurück zu wechseln?
Marianne Grosse wurde am 17. Mai 2017 für eine zweite Amtszeit gewählt – auch ihr Dezernat (Bauen + Kultur) muss 2025 wieder oder neu besetzt werden. Tritt die 1962 geborene Politikerin noch einmal an?
Dr. Eckhart Lensch (geboren 1960) wurde als Chef des Sozialdezernats im Mai 2017 gewählt, muss 2025 wieder antreten oder das Dezernat ist neu zu besetzen.
Janina Steinkrüger ist seit 1. September 2021 im Amt – über die Besetzung des Umwelt- und Verkehrsdezernats kann, muss aber nicht vor der Kommunalwahl 2029 entschieden werden.
Volt als Zünglein an der Waage bei der Koalitionsbildung? Die drei Volt-Mitglieder im Stadtrat würden die 30 Stimmen von Grünen, SPD und FDP auf eine Mehrheit von 33 Stimmen erhöhen.
»Wir sind in der Kennenlernphase«, sagt Volt-Fraktionsvorsitzender Sascha Kolhey im Telefonat mit dem MAINZER. Es gebe Gespräche mit allen demokratischen Parteien im Mainzer Stadtrat. Wichtig sei es herauszufinden, »ob es auf persönlicher Ebene klappt«. Themenschwerpunkte seien Digitalisierung der Verwaltung, sozialer Wohnraum und »Freiräume«, wie die »Heilige Makrele« oder ein Badesee im Steinbruch und die Aufhebung des Verbots von Lautsprecherbeschallung am Mainzer Rheinufer. »Wir sind keine Verhinderer«, verdeutlicht Kolhey, »wir schauen was pragmatisch machbar ist.« In Sachen Digitalisierung der Verwaltung brauche es endlich einen Wandel in der Denkweise: digitale workflows seien erforderlich, um eine leistungsfähige Verwaltung trotz der anstehenden Pensionierungswelle und dem Fachkräftemangel zu gewährleisten. Kolhey, der hauptberuflich Geschäftsführer der Volt-Fraktion im Wiesbadener Magistrat ist, sieht sowohl mit Grünen wie mit der SPD Schnittmengen: bei Klima, sozialer Wohnraum, soziale Gerechtigkeit.
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