Im »Civitas Die Weinstube« am Niersteiner Markt stehen die Reben im Mittelpunkt. Aber auch die Speisenkarte kann überraschen.

Nierstein kennt jeder rheinhessische Autofahrer als ärgerliches Nadelöhr, Weinwirtschaftler kennen es als viertgrößte Weinbaugemeinde Rheinhessens, Weintrinker als die Rieslingstadt am Roten Hang, der auch international einen vorzüglichen Ruf hat. Seit etlichen Jahren haben auch Feinschmecker die kleine Stadt am Rhein auf ihrem Zettel. Das mannigfaltige Angebot reicht vom Gourmetrestaurant bis zur Gutsschänke.

Ein kleiner Genuss-Hotspot ist der historische Marktplatz im alten Ortskern geworden. Dort stehen die Gastronomiebetriebe Mauer an Mauer nebeneinander. Im Sommer vergangenen Jahres hat endlich auch das »Civitas« wieder eine Pächterin gefunden. Chefin Simone Richter betreibt – darauf legt sie Wert – das Lokal als Weinstube, nicht als Restaurant.

Die Änderung des Konzepts und die Renovierung haben dem Charme des 400 Jahre alten Hauses keinen Abbruch getan. Es hat die Wehrmauer der Martinskirche mit ihrem Bibelgarten als Hinterwand, im Innern verbreiten dunkles Holz beim Mobiliar, helle Wände und fröhliche rote Farbtupfer einen Hauch von Romantik.

Da wir einen warmen Spätsommerabend erwischt haben, bleiben wir draußen unter der 200-jährigen Eiche, die vor der Eingangstür steht, mit Blick auf den Marktplatz. Sofort liegen Standard- und Getränkekarte sowie eine Schiefertafel mit den Tagesangeboten auf dem Tisch.




Im Civitas gibt es passendes Essen zum Wein

Auf den ersten Blick fällt auf: Bei Essen und Getränken wird Regionalität großgeschrieben. Auf den zweite Blick: Vegane und vegetarische Gerichte sind als Ergänzung ebenso selbstverständlich wie ökologisch erzeugte Weine. Dritter Eindruck: Hier gibt es nicht passende Weine zum Essen, sondern passendes Essen zum Wein.

Mister X, noch leidend an den Nachwehen eines Zahnarztbesuchs, fragt, ob er statt der üblichen Brezelchen auch weiches Brot zum Spundekäs (6,50 €) haben kann. Kein Problem. Ein ebenfalls georderter veganer Perlgraupensalat (9.50 €) kommt mit hausgemachter Vinaigrette und minzig-frisch daher. Die Chefin schneidet die frische Minze direkt aus dem Kräuterbeet neben unserem Tisch. Gerade bei den vielfältigen Salaten fallen die vielen veganen Zubereitungen – auf Wunsch auch mit veganem Hühnchen-Imitat – auf. Als eher deftigen Starter habe ich mich für einen Pfefferbeisser (8 €) von der Metzgerei aus der Nachbarschaft entschieden. Zu der mundgerecht geschnittenen kräftigen Wurst gibt es gemischte Tomatenviertel, Cornichons, Senf und Bauernbrot. In Ruhe in Groß-Gerau gereift ist der Fausthandkäs, der mit Riesling-Vinaigrette, Kümmel, Zwiebeln und frischem Pfeffer angeboten wird (6,50 €) oder als »Handkäs trifft Mittelmeer« mit Roséwein-Vinaigrette, Peperoni, Chili, mediterranen Kräutern, Zwiebeln und Piment (7 €). Auch hier gibt es dazu Bauernbrot und Butter.

In Merlot gegart

Aus den angebotenen vier gekochten Gerichten wählen wir ein Ragù alla Bolognese (14 €) und eine asiatische Chicken Bowl (15,50 €). In Merlot gegartes Rinderhack hat alle Chancen, die Tagliatelle zu adeln, doch Mister X vermisst dennoch den erwartet-würzigen Pfiff. Ganz anders die Chicken Bowl. Mit aromatischen buttergebratenen Champignons, Mango und Melisse glänzt das Asiengericht mit vielfältigen Aromen. Ein scharfes Thai-Curry gibt dem Reisgericht ordentlich Dampf.

Da kommt die Getränkekarte ins Spiel. Nach einem eher mat­ten und kraftlosen Rotschiefer (6,50 €) vom heimischen VdP-Erzeuger St. Antony, der als cremig und »trinkig« (hoffentlich ist das Gegenteil davon nicht »essig«) avisiert wird, hält ein trockener Riesling vom Martinshof in Dienheim (4,50 €) mit lebendig-spritziger Säure und feiner Pfirsich-Frucht dem scharfen Curry mühelos stand. Chapeau!

Mister X trinkt heute – wegen Zahnarzt und Führerschein – einen alkoholfreien Sauvignon Blanc von Seebrich in Nierstein (0,2 l für 5,50 €) und erkennt an, dass die typische Aromenpalette der Rebe unter dem Alkoholentzug nicht allzusehr gelitten hat. Ein »Virgin Hugo« (0,2 l für 6 €) mit Holundersirup, Ginger Ale, Limette und Minze versüßt den Abend spritzig-fruchtig.

Heimlicher Star unserer kleinen Weinprobe ist heute aber die Scheurebe von Neef Emmich aus Bermersheim (6 €). Ein kräftiges Kräuterbouquet strömt aus dem Glas, auf der Zunge gesellen sich Grapefruit und Stachelbeere hinzu. So schmeckt der Spätsommer.

| Lou Kull

ESSEN7,0
TRINKEN7,5
SERVICE8,0
AMBIENTE8,0
PREIS/LEISTUNG8,0
GESAMT38,5: 5 = 7,7 KAPPEN

Fazit

Freundliche Menschen, regionale Küche (auch für Veganer) mit internationalen Ausflügen, lokale und regionale Weine von klassisch bis ökologisch und eine heitere Landhausnote – was will man mehr. Ja, für ein  Gasthaus ist das Speisenangebot zu klein, aber für eine Weinstube geht das Angebot deutlich über hierzulande gewohnte Käsewürfel, Schinkenbrote und Hackbraten hinaus. Die Weinkarte beschränkt sich auf den Umkreis von Nierstein und das südliche Rheinhessen und gibt einen guten Überblick über diese Region. Besonders ist die Auswahl an ökologisch erzeugten Weinen, die einen unmittelbaren Vergleich zur klassischen Erzeugung ermöglicht. Der Service ist herzlich, weinkompetent und flott. Der Gästebereich verteilt sich auf mehrere Stuben und schafft eine unverkrampfte gemütliche Atmosphäre. Die Preise für das Gebotene sind angemessen.

Civitas Die Weinstube
Marktplatz 9
55283 Nierstein
Telefon: 06133 4 92 35 30
https://civitas-die-weinstube.business.site
Öffnungszeiten
Mi bis Fr 17 bis 22 Uhr
Sa/So 16 bis 22 Uhr
Mo und Di Ruhetage