Ingelheimer Winzerkeller ist Denkmal-Prachtbau, Vinothek, Tourist-Information, Restaurant – und einen Besuch wert.

Nach aufwändiger Sanierung wurde der im Geist des Jugendstils konzipierte Denkmal-Prachtbau »Ingelheimer Winzerkeller« als Treffpunkt für Weinkultur in der Moderne wiedergeboren: der offene, mediterrane Innengarten unter dem Glasdach der ehemaligen Kelterhalle, nebenan die moderne Ortsvinothek und die Tourist-Information, der Gastraum des Restaurants mit seiner klaren Linie. Das Anthrazit der Wände wird gebrochen von hellen Holzdielen und beleuchteten Kleinvitrinen (»Weintresore«), in denen Ingelheimer Weingüter ihre Weine präsentieren. Die Tische sind aus hellem Holz, daneben nachtblaue Polsterbänke und –stühle, an der Decke große LED-Ringe: modern und gemütlich, das gelingt nicht jedem so gut wie hier.

Allerdings ist beim Blick in die Speisenkarte  die Richtung nicht so klar wie beim Design. Das Angebot der Küche verneigt sich einerseits vor der Region (Schwartenmagencarpaccio, Roulade, Himmel und Erde) und sucht andererseits Internationalität (Clubsandwich, Wiener Schnitzel, Burger) und mediterrane Akzente (Caramelli Pasta, Pulpo). Auch Vegetarisches kommt nicht zu kurz. Wir wählen eine bunte Mischung aus all dem.

Im voll besetzten Gastraum (Reservierung sehr empfohlen) kommen die Gerichte zügig auf den Tisch, auch wenn die Servicekräfte mitunter den Überblick zu verlieren drohen.




Winzersuppe mit wenig Geschmack

Nach einer Begrüßung aus der Küche mit grobporigem Weißbrot, Tomaten-, Kürbis- und gesalzener Butter erweist sich die Winzersuppe (7,90 €) als mit Sahne montierte Mehlschwitze mit wenig Eigengeschmack. Ein paar halbierte Träubchen signalisieren wohl »Winzer«suppe, krachende Sauerteig-Croutons geben Crunch. Ein Schuss Wein oder Sekt hätten der Brühe an diesem wein-trächtigen Ort sicherlich gut getan.

Dagegen schlagen sich zwei Kartoffelpuffer mit Apfelkompott (7,90 €) als Vorspeise erstaunlich gut. Das Gericht stammt eigentlich von der Kinderkarte. Schön, dass die Order auch für Erwachsene angenommen wird, die die knusprigen Puffer und vor allem das zimtig-warme Kompott mit zarten Apfelstücken auch genießen dürfen.

Zarter Pulpo

In Ordnung ist auch der zarte Pulpo (13,90 €). Ungewohnt dazu ein großperliges Couscous mit Rucola und Tomatenpesto. Der eigentlich schön zusammengestellte Teller hätte jedoch deutlich mehr Würze vertragen.

Bei den Hauptgerichten erhalten wir ein gemischtes Bild. Sowohl Rinderfilet-Geschnetzeltes mit Pappardelle und gehobelter Belper Knolle in (sehr salziger) Senfrahmsauce (25,90 €) als auch der wunderschön rosa gebratene Hirschrücken(32,90 €) mit Maronenpüree, Rosenkohl, Apfelragout und Cassisjus liegen wie nach einem Küchen-Auffahrunfall durcheinander. Apropos Salz: Davon haben die Pommes, die einen Portobello Cheese Burger (17,90 €) begleiten, allzu ordentlich abbekommen. Ansonsten ist der festfleischige Schirm des Riesen-Champignons gefüllt mit Rotweinkäse, Camembert, Preiselbeercrème und typischer Burger-Garnitur. Die Buns hätte es da gar nicht gebraucht.

Loup de Mer wie gemalt

Ganz anderes Bild: Mein Loup de Mer auf Salzzitronen-Risotto, mit frisch-grünem Pak Choi und Orangenschaum (24,90 €) kommt perfekt dekoriert, wie gemalt und mit klarer Aromenstruktur auf den Tisch. Die auf der Haut gebratenen Filets werden spannend kontrastiert von salzig-fruchtigen Noten des schlotzigen Risottos und den Bittertönen des asiatischen Senfkohls. Himmlisch.

Umgeben von einer Orts-Vinothek bieten die zwanzig offenen Weine im Restaurant einen guten Querschnitt durch das Qualitätsangebot der Weinstadt Ingelheim. Ein trockener Grauburgunder von Dautermann (7,50 €), ein trockener gelber Muskateller von Hamm (8,80 €), ein feinherber Weißburgunder von Nöth (7,50 €) und ein trockener Syrah von Dautermann (10,90 €) legen bei unserem Besuch mit einer sortentypischen kräftigen Nase, lebhafter Säure und intensiven Beerentönen, der Syrah überdies mit deutlicher Gerbsäure und

Tabaknote, davon Zeugnis ab. Aromen ganz anderer Art gönnen wir uns zum Schluss: eine Tonkabohnen Panna Cotta (11,90 €) mit Karamellnoten und ein Mango- und Passionsfruchtsorbet werden geschmacklich getoppt von den Gewürzkirschen zum Sahnedessert.

| Lou Kull

ESSEN7,5
TRINKEN8,5
SERVICE7,0
AMBIENTE9,5
PREIS/LEISTUNG8,0
GESAMT40,5: 5 = 8,1 KAPPEN

Fazit

Wir erlebten eine handwerklich versierte Küche, die aber im Einzelfall mutiger im Umgang mit Aromen (nicht nur Salz) und fantasievoller beim Dekorieren der Teller sein dürfte. Die Preise sind, im Ganzen betrachtet, angemessen. Wer es noch nicht kennt: ausprobieren.

Ingelheimer Winzerkeller
Binger Straße 16
55218 Ingelheim
Telefon: 06132 – 99 99 160
www.ingelheimer-winzerkeller.de
info@winzerkelleringelheim.de
Öffnungszeiten
Montag bis Freitag 16 bis 23 Uhr,
Samstag/Sonntag/Feiertag 12 bis 23 Uhr