In der Diskussion um den Ausbau der Mainzer Biotechnologie müssen Klimaschutz, wirtschaftliche Entwicklung, Arbeitsplätze und Wohlstand zusammen gedacht werden. Funktioniert das?

Die Stadt Mainz will «ein international anerkanntes und stetig wachsendes Biotechnologie-Cluster« aufbauen, «das eine starke Start-up-Szene sowie einen erfolgreichen Technologietransfer aufweist.« So steht es in der Zusammenfassung der Aktivitäten der Mainzer Stadtverwaltung 2022.
Gleichzeitig haben sich zahlreiche Umweltverbände gegen die Flächenversiegelung auf der landwirtschaftlich genutzten Fläche nahe der Mewa-Arena ausgesprochen, der Stadtrat hat kürzlich die Gründung der «biomindz« GmbH beschlossen und der Bebauungsplan für das «Hochschulerweiterungsgelände« wurde geändert.

Hängt das alles zusammen? Wenn ja, wie?

Verschiedene Flächen werden im Zusammenhang mit dem Ausbau des Biotechnologie-Standortes in Mainz genannt – und gebraucht: die Erweiterungsfläche für BioNTec auf dem Gelände der GfZ-Kaserne, das «Hochschulerweiterungsgelände« (Biotechnologie-Campus Mainz) und das Gelände nördlich von der Mewa-Arena. Auch der «Innovationspark Kisselberg« wirbt damit, dass der Gewerbepark auf der rechten Seite der Saarstraße (Richtung Mainz-Finthen) «ein umfangreiches Netzwerk aus Unternehmen verschiedenster Branchen wie Biotechnologie, Pharma, Life Sciences, Forschung und Technologie zusammenbringt.« Entwickelt wird dieser Gewerbepark von der Projektgesellschaft Kisselberg GmbH & Co. KG, einem Gemeinschaftsunternehmen der J. Molitor Immobilien GmbH und der Mainzer Aufbaugesellschaft mbH (MAG). Diese Flächen spielen in der, im März 2022 veröffentlichten Städtebaulichen Strategie für den Biotech-Standort-Mainz keine Rolle.

Hochschulerweiterung: Biotechnologie-Campus Mainz

Auf der linken Seite der Saarstraße (in Richtung Mainz-Finthen) sind vor den Studierenden-Wohnheimen erste Erdarbeiten zu sehen: hier befindet sich das sogenannte «Hochschulerweiterungsgelände« (siehe Foto). Der Bebauungsplan B 158 «Hochschulerweiterung südlich des Europakreisels« wurde bereits 2009 verabschiedet, musste bezüglich der Flächen infolge des Baus der «Mainzelbahn« erstmals angepasst werden. Zwischenzeitlich ist seine 3. Änderung im Gange: Am 30. November 2022 hat der Mainzer Stadtrat erneut die Aufstellung des Bebauungsplanes «Hochschulerweiterung südlich des Europakreisels B 158/ 3. Ä« beschlossen und im Amtsblatt vom 9. Dezember 2022 veröffentlicht. Absicht dieser aktuellen Änderung ist es, einen Beitrag zu leisten, um «die Stadt Mainz als (inter-)nationalen Wissenschafts- und Biotechnologiestandort zu etablieren.« Deshalb sollen künftig innerhalb des «Sondergebietes (SO) – Hochschule und hochschulnahes Gewerbe sowie Biotechnologie auch Forschungs-, Labor- und Dienstleistungsbetriebe der Branche Biotechnologie zulässig sein.«

BioNTec an der Goldgrube

Bleibt noch der BioNTec-Campus an der Goldgrube. In der o.g. Strategie wird das Gelände der ehemaligen GFZ-Kaserne wie folgt in die Entwicklung für die Biotech-Achse einbezogen: Fläche ca. 12 Hektar, direkte Nähe zu BioNTech, TRON und zur Uniklinik, Erweiterungsflächen für BioNTech vorgesehen, Bauaktivitäten laufen, geplant: Wohnbebauung & Mischgebiet für weitere Biotech-Unternehmen. Allerdings hat die Bedarfs-Analyse für die Entwicklung des Biotechnologie-Standortes in Mainz auch ergeben, es braucht weitere Flächen, um Mainz dauerhaft zu einem attraktiven Standort für Biotechnologie-Forschung und -Unternehmen zu machen.

Ausbau der Biotechnologie – mit Frischluft für Mainz?

Jetzt kommen die 50 Hektar ins Spiel, die angrenzend an das Gelände «Hochschulerweiterung« (Bebauungsplan B 158 3.Ä), entlang der Saarstraße bis zur Bahnlinie Mainz-Alzey ins Auge gefasst sind. Hier ist bislang als einziges größeres Gebäude die Mewa-Arena zu sehen. Und hier kommt die Kritik der Umweltschutzgruppen zum Tragen, es geht u.a. um Frischluft-/Kaltluftschneisen: Werden die landwirtschaftlich genutzten Flächen an diesem Standort zugebaut, wird es in der Stadt Mainz wärmer, so eine der Befürchtungen.
Die Umweltinitiative MainzZero fordert – nach eigenem Bekunden im Einklang mit der Vernetzungsgruppe zahlreicher Umwelt- und Nachhaltigkeitsgruppen in Mainz – bezüglich des Biotechnologie Hubs, der Klimaschutz müsse bei allen Abwägungen an erster Stelle stehen. Die konkreten Forderungen an die Stadtpolitik lauten:
1. Mainz braucht Frischluft! Frischluftschneisen dürfen nicht weiter versiegelt werden. Dies hat bereits 2017 die Klimprax-Studie für Mainz und Wiesbaden eindeutig aufgezeigt. Seitdem gibt es wesentlich mehr Hitzetage und tropische Nächte.
2. Naturschutz und Erhalt von wertvollem Ackerland müssen vollumfänglich berücksichtigt werden, es darf keine neue Versiegelung in diesem Gebiet geben.
3. Umnutzung und Bauen im Bestand müssen ernsthaft geprüft werden, so z.B. das Allianzhaus / LBWB-Bau für Büroflächen, Gewerbegebiet Hechtsheim oder das Nestlé-Gelände. Semi-zentrale Lösungen müssen gleichberechtigt evaluiert werden. Daher darf die Campus-Idee mit einer zusammenhängenden Lösung nicht stärker gewichtet werden als der Klimaschutz.
4. Aufgrund der Relevanz dieses Themas für die Entwicklung von Mainz müssen alle weiteren Entscheidungen bis nach der OB-Wahl vertagt werden.

Was wollen die Mainzer:innen?

Ein anderes, sehr viel grundsätzlicheres Thema betrifft die Bevölkerungsentwicklung in Mainz: Verkraftet eine Stadt wie Mainz die weitere Zunahme der Bevölkerung? Wer fragt eigentlich die Mainzer:innen und Mainzer, wie sie sich ihre Stadt in zehn oder 20 Jahren vorstellen? Bislang spielen diese Themen bei der Entwicklung des Biotechnologie-Clusters keine Rolle. Allerdings hat die Ampel-Koalition im Mainzer Stadtrat in ihrem Haushaltsbegleitantrag am 30. November 2022 gefordert: «Zur Entwicklung einer städtebaulichen Vision für ‘Mainz im Jahre 2035/2050’ soll ein Prozess mit großangelegter Bürgerbeteiligung gestartet werden. Hierfür werden Planungsmittel in Höhe von 150.000 Euro jeweils im Jahr 2023 und im Jahr 2024 bereitgestellt.«
Ebenfalls in der Stadtrats-Sitzung vom 30. November 2022 wurden Voraussetzungen geschaffen, die das Mainzer Biotechnologie-Cluster voranbringen sollen, darunter «die Gründung der biomindz Standortentwicklungsgesellschaft Mainz mbH als 100%-ige Tochtergesellschaft der Zentrale Beteiligungsgesellschaft der Stadt Mainz mbH (ZBM).« Die ZBM war im November 2021 von der Stadt Mainz beauftragt worden, die Konzeption, Steuerung und Projektplanung eines Biotechnologie Hubs zu unterstützen und hatte im Juli 2022 eine Bedarfsanalyse für den Biotechnologiestandort Mainz vorgestellt. Ziel der neuen Gesellschaft «biomindz« ist es, «eine zuständige und transparente unternehmerische Einheit, die sich voll auf das Vorhaben fokussieren kann und eine klare Verteilung von Verantwortlichkeiten ermöglicht. Dementsprechend soll das bei der ZBM eigens für die Entwicklung des Biotechnologiestandortes aufgebaute Personal in die neue Gesellschaft überführt werden. Gleichzeitig wird die Sichtbarkeit nach außen durch Gründung einer zuständigen Gesellschaft klarer und entspricht dem Anspruch der Stadt Mainz, sich zu einem international sichtbaren Biotechnologiestandort zu entwickeln.«

Kapitalstärkung für die GVG

Für die Grundstücksverwaltungsgesellschaft GVG wurde am 30. November 2022 eine «disquotale Kapitalerhöhung« i.H.v. 6.875.000 EUR durch Zuzahlung in die Kapitalrücklage der GVG beschlossen. Auch hier ist die Entwicklung des Biotechnologie Clusters ausschlaggebend für diesen Schritt:
«Zur Sicherstellung wichtiger städtischer Wirtschaftsfördermaßnahmen, insbesondere der Förderung des Biotechnologie-Standorts Mainz, benötigt die GVG eine Stärkung ihres Kapitals. Die Mittel sollen zum Bau eines Biotechnologiezentrums durch die Technologiezentrum Mainz GmbH (TZM) verwendet werden, an der das Land RLP mit 60 %, die GVG mit 38,43 % und die ZBM mit 1,57 % beteiligt sind. Die Investitionskosten für den Bau eines Technologiezentrums durch die TZM werden derzeit auf ca. 50.000.000 EUR geschätzt. Davon sollen ca. 3.000.000 EUR aus eigenen Mitteln der TZM und ca. 12.500.000 EUR durch EFRE Zuschüsse der EU finanziert werden. Der Restbetrag i.H.v. 34.500.000 EUR wird von den Gesellschaftern der TZM in Höhe ihrer jew. Beteiligungsquote aufgebracht. Dabei entfallen 13.258.350 EUR auf die GVG und 541.650 EUR auf die ZBM.«

Zusammenarbeit mit dem Land beim Ausbau der Mainzer Biotechnologie

Die Stadt Mainz arbeitet beim Thema Entwicklung des Biotechnologie Standorts mit dem Land Rheinland-Pfalz zusammen. Der Austausch sei intensiviert worden, heißt es im «Sachstandsbericht Biotechnologie-Standort Mainz 2022«, zusätzliche Abstimmungsebenen seien geschaffen worden. Beispielsweise sei der Landeskoordinator für Biotechnologie regelmäßiger Gast in den Abstimmungsrunden zwischen Stadt und ZBM. «Weiterhin ist der/die Oberbürgermeister:in der Stadt Mainz in allen relevanten Abstimmungsrunden des Landes bis hin zum Landesbeirat für Biotechnologie vertreten. Auch auf Arbeitsebene erfolgt ein enger inhaltlicher Austausch.«

Es geht weiter  mit dem Ausbau der Mainzer Biotechnologie

Der «Ideenwettbewerb« könnte hinsichtlich des 50 Hektar-Geländes nahe der MEWA-Arena Kriterien definieren, die die klimatischen Bedingungen mit den wirtschaftlich/ökonomischen Erfordernissen in Einklang bringen. Gelänge das, könnte die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt vormachen, wie Wirtschaft und Klima (endlich) zusammengedacht werden. In der «Städtebaulichen Strategie für den Biotechnologie-Standort Mainz« wird das wie folgt formuliert:
«Um Ideen zu sammeln, wie der Biotechnologiestandort gestaltet werden kann, ist die Durchführung eines Ideenwettbewerbs für definierte Teilräume maßgeblich. Die klimatischen Auswirkungen der einzelnen Wettbewerbsbeiträge soll mittels einer wettbewerbsbegleitenden mikroklimatischen Beurteilung geprüft werden, um Beeinträchtigungen von Kaltluftbahnen weit möglichst zu verhindern bzw. weitgehend zu verringern. Die bislang angedachte Erweiterung der bestehenden Achse (vom BioNTec-Campus in der Oberstadt über Uniklinikum, Universität, Hochschule bis zum Hochschulerweiterungsgelände nahe der Mewa-Arena, Anm. Red.) wird auf das Gelände westlich des Hochschulerweiterungsgeländes (Bebauungsplan 158) fokussiert. Entsprechend umfasst die Fläche für den Ideenwettbewerb den Bereich zwischen dem Bebauungsplan ‚Hochschulerweiterung (B 158)‘ im Osten, die Bahnlinie Mainz-Alzey im Westen. Im Norden ist sie von der Saarstraße und im Süden durch den Dalheimer Weg begrenzt. Der Ideenwettbewerb soll zeigen, wie ein nachhaltiges und innovatives Quartier mit nur wenig Beeinträchtigung der Kaltluftbahnen gelingen kann. Darüber hinaus soll ein Quartier entstehen, das die verschiedenen Funktionen miteinander vernetzt und qualitätsvolle Freiräume für das Quartier und die Umgebung schafft.«

Umweltschützer:innen in der Jury?

Der Auslobungstext für diesen Ideenwettbewerb ist am 30. November 2022 im nicht-öffentlichen Teil der Stadtratssitzung verabschiedet worden. Dem Vernehmen nach ist vorgesehen, dass zwei Mitglieder von MainzZero in der Jury für die Auswahl der an diesem Ideenwettbewerb teilnehmenden Büros sitzen.

Marion Diehl (SoS)
Hinweis: die angeführten Berichte und Beschlüsse der Stadtratssitzung vom 30. November 2022 sind im Ratsinformationssystem der Stadt Mainz eingestellt, das für alle Bürger:innen zugänglich ist;  einen guten Überblick zum aktuellen Sachstand bietet hier der «Sachstandsbericht Biotechnologie-Standort Mainz 2022«  (Drucksache 1592/2022), der am 30. November 2022 vom Stadtrat zur Kenntnis genommen wurde.
Hier erfahren Sie, was die Kandidatinnen und Kandidaten für die Mainzer OB-Wahl im Februar 2023 zur Entwicklung des Biotechnologie-Clusters meinen.
Hier wird erörtert, ob der Mainzer Biotec-Traum platzen kann.