Es ist eines der wichtigsten Themen für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen: die Fachkräftesicherung.

In nahezu allen Branchen und in Unternehmen jeglicher Größenordnung fehlen sie: Menschen mit einer berufsspezifischen Ausbildung. Der Fachkräftemangel ist seit vielen Jahren Bestandteil aller Debatten über wirtschaftliche Entwicklungen. Ebenso lange wird versucht, gegenzusteuern.

Die IHK für Rheinhessen als Interessenverband von rheinhessischen Unternehmern und Betrieben, ist schon seit Jahrzehnten auf verschiedenen Ebenen aktiv, um den für manche Betriebe existenzbedrohenden Fachkräftemangel zu beseitigen.

»Wir gehen das Thema ganzheitlich« an, sagt Lisa Haus. Seit Oktober 2021 verantwortet die 32-Jährige die Bereiche Berufsbildung & Unternehmensservice bei der IHK für Rheinhessen. Lisa Haus spricht von einem Kreislauf: Der beginnt in den Schulen, geht über die Entscheidung für eine Ausbildung, führt über Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen während des gesamten Berufslebens und endet bei den »Silver Agern«.

Akteure in diesem Kreislauf sind Kinder und Jugendliche, Eltern und Großeltern, Lehrer:innen und Ausbilder:innen. Anzusprechen und zu vernetzen sind Schulen, Unternehmen und Weiterbildungseinrichtungen. Alle müssen bereit und fähig sein, Informationen und Förderprogramme zu nutzen. Die IHK stemmt diese Aufgabe nicht alleine, weiß die Leiterin der IHK-Kommunikationsabteilung, Melanie Dietz. Die Handwerkskammer und die Agentur für Arbeit seien wichtige Kooperationspartner, die politisch Verantwortlichen in den Ministerien und Verwaltungen sind Ansprechpartner:innen, um Programme aufzusetzen, um Gelder bereitzustellen.

Talente und Fähigkeiten

»Die duale Ausbildung sollte gleichwertig zur akademischen Ausbildung angesehen werden«, sagt Lisa Haus. »Es bringt uns nichts, wenn Jugendliche in akademische Berufe gedrängt werden – wir müssen die Talente und die Fähigkeiten der jungen Menschen entdecken und fördern.« Kompetenzorientierte Begleitung und Vorbereitung lautet die Devise. Mit Bildungsprojekten, die teils schon in der 5. Klasse ansetzen, »IT2school« ist eines davon. Außerdem ist die Vielzahl von Aufstiegs- und Karrierechancen der Berufe anschaulich zu verdeutlichen. Haus nennt ein Beispiel aus dem Einzelhandel von einer Drogeriemarktkette. Die Mitarbeitenden dort sind nicht nur zum Kassieren und zum Auffüllen da. Tatsächlich können Mitarbeiter:innen recht schnell die Filialleitung übernehmen, wenn die Qualifikationen stimmen. »Wir müssen hier Transparenz herstellen«, sagt Haus. Heißt: Mit Testimonials, Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen wie dem »Tag der Technik« (siehe Fotos) deutlich machen, was in den Berufen steckt, die teils überlieferten – und falschen – Vorstellungen von Einzelhandelskauffrauen und –männern (zum Besipiel) richtig stellen, sagt Dietz.




Ein anderer Ansatzpunkt ist die Wissensvermittlung zu »Wirtschaft«. »In den Schulen werden zu wenige ökonomische Kompetenzen vermittelt«, weiß Haus. Die IHK versucht mit dem Programm »Startup@school« gegenzusteuern. Informiert wird über Unternehmertum und Selbständigkeit, es gibt Lehrerfortbildungen und die Resonanz in den Partnerschulen sei gut. Ökonomische Bildung sollte viel stärker in den Unterricht einfließen, meint Lisa Haus. »Das Bildungssystem muss die Jugendlichen vorbereiten – auch wenn es um digitale Kompetenzen geht.« Denn, die »digital natives« können gut mit ihrem Smartphone umgehen – es mangele aber oft an IT-Kenntnissen, die darüber hinausgehen.

Infos
Die Initiative »Working Family« ist ein Rheinland-Pfalz weites Netzwerk von Gastronomen und Hoteliers, die gemeinsam nach potenziellen Mitarbeitern suchen www.working-family.de;
Infos, Tipps und Veranstaltungsformate für Unternehmen, die Fachkräfte gewinnen, halten und fördern wollen www.ihk.de/rheinhessen, Such­begriff Fachkräftesicherung;
Die IHK Rheinhessen veranstaltet für Mitglieder ab 20. Juli 2022 als Webinare die »Summerschool Digitalisierung«, Infos und Anmeldung www.ihk.de/rheinhessen/…

Qualifizierung

Eine andere Klientel sind Minijobberinnen – die meisten sind weiblich. Wie können sie so (weiter-)qualifiziert werden, dass sie dem Arbeitsmarkt als Fachkräfte zur Verfügung stehen? Es könne damit beginnen, den Frauen klar zu machen, dass sie auch auf ihre soziale Absicherung und ihre Altersvorsorge achten müssen, sagt Haus. Das ist allerdings ein gesamtgesellschaftliches Thema, wobei: auch hier würden fundierte ökonomische Kompetenzen helfen. Frauen, die nach einer längeren Erziehungspause wieder voll ins Berufsleben einsteigen wollen, Menschen über 50, die über viel Erfahrung und viele Kenntnisse verfügen. Wie können diese soft skills genutzt werden und welche zusätzliche Qualifizierung ist erforderlich, um aktuellen Anforderungen für Fachkräfte zu entsprechen?

Digitale Schlüsselkompetenzen

Eines der wichtigsten Themen in diesem Alterssegment sind die digitalen Schlüsselkompetenzen: Sie fehlen an vielen Stellen und müssen nachgelernt werden. Eine große Aufgabe für kleine und mittlere Unternehmen. Deren Chefs und Abteilungsleiter:innen sind davon zu überzeugen, dass Schulungen unbedingt erforderlich sind für den Fortbestand des Unternehmens. Ebenso, dass die Erkenntnisse aus den Schulungen in den Betrieben angewendet werden. Beim »IHK-hub digitale Wirtschaft«, ein Netzwerktreffen, können sich die Entscheider:innen über digitale Themen informieren, austauchen und praxistaugliche Hilfe holen. Branchenspezifische Informationsveranstaltungen der IHK ergänzen das Themen-Tableau. Zum Beispiel zur Zukunft der Innenstädte: Wie kann der klassische stationäre Einzelhandel Anschluss an die digitalen Einkaufsmöglichkeiten finden? Wo kann der E-Commerce unterstützen? »Agiles Führen gehört ebenfalls zu diesem Bereich«, sagt Haus. Wenn die Mehrzahl der Mitarbeitenden im Homeoffice ist, wie funktionieren dann die Absprachen, wie führe ich die Belegschaft im Homeoffice? Auch das will gelernt sein.

Internationale Fachkräfte

Das können Flüchtlinge sein oder Migrantinnen und Migranten. »Recruiting aus dem Ausland« ist, weiß Lisa Haus, ein großer Aufwand für die Firmen. Es gilt bürokratische Hindernisse zu überwinden, den Spracherwerb zu unterstützen, auf die soziale Einbindung zu achten. Die vier »Welcome Center« der IHKs in Rheinland-Pfalz, eines davon in Mainz, beraten und unterstützen Unternehmen, die internationale Fachkräfte ausbilden und einstellen wollen. Hier gibt es konkrete Hilfen für die Sprachvermittlung und für die Berufsanerkennungsverfahren: Der im Heimatland erworbene Berufsabschluss soll in Deutschland anerkannt werden, damit die Menschen in ihren Berufen arbeiten können – sie werden als Fachkräfte gebraucht.

Im Kontakt mit den Ausländerbehörden verstehe sich die IHK als Lotse für die Betriebe und hat eigene Ansprechpartner:innen. »Aktuell haben wir in Rheinhessen 525 Azubis mit ausländischer Staatsangehörigkeit in unterschiedlichsten Branchen, wie Hotellerie, Gastronomie, Logistik, aber auch unter dem Top 1 der nachgefragten Ausbildungsberufe, dem/der Büromanager:in.«

Zum Abschluss die Gretchenfrage: Werden diese Maßnahmen dazu führen, dass wir in Deutschland keinen Mangel an Fachkräften mehr haben, Frau Dietz, Frau Haus?

Es sei eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft wissen die IHK-Kommunikations-Leiterin und die IHK-Geschäftsführerin aus ihrer jahrelangen Beschäftigung mit dem Thema Fachkräftesicherung und dass alle Akteure die Brisanz des Fachkräftemangels erkannt hätten. Deshalb arbeite die IHK für Rheinhessen auf unterschiedlichen Ebenen mit vielen Akteuren zusammen. An der Stellschraube »bessere Bezahlung«, z.B. in Gesundheitsberufen oder bei Reinigungsunternehmen könne die IHK aber nicht drehen, das sei Sache der Tarifpartner.

| SoS

 

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