Horizontal, vertikal und ressourcenschonend: Die »konzernweite Digitalisierungsstrategie« der Stadt Mainz hat es in sich. Aber die Umsetzung schleppt sich dahin.

Anfang Februar 2022 wurde die Digitalisierungsstrategie von den Mainzer Stadtratsmitgliedern zur Kenntnis genommen und auf der Webseite der Stadt Mainz veröffentlicht.

Den Medien wurde die Strategie in einer Videokonferenz vorgestellt. Für die Bürger:innen sei sicherlich am wichtigsten zu erfahren, was bringt uns die Digitalisierung, sagte Oberbürgermeister Michael Ebling bei der Gelegenheit und sprach von einem Mehrwert – an Lebenszeit und Lebensqualität. Wer von zuhause aus einen neuen Personalausweis beantragen kann, muss nicht ins Bürgeramt oder in eine Ortsverwaltung, verbraucht auf dem Weg dorthin keine Energie und stößt keine Schadstoffe aus, spart Zeit ein. Voraussetzung ist: die Bürger:innen verfügen über die entsprechenden Geräte und Programme, die elektronische Kommunikation funktioniert ohne Unterbrechung, die Formulare auf dem Bildschirm bauen sich nicht im Schneckentempo auf und die Zahlung per e-Payment ist sichergestellt. Mindestens so wichtig, sind die Voraussetzungen, die der Staat zu schaffen hat.

Zur Grafik: Mainz Digital – Ausschnitt eines Zukunftsbilds im Mainzer Digi­talisierungsprozess als Graphic Recording von Franziska Ruflair

Dazu braucht es ein Zusammenspiel von Bund, Land, Kommune, um z.B. die Beantragung eines Personalausweises vom heimischen PC aus zu bewerkstelligen. Ein Zusammenspiel, das nicht reibungslos funktioniert, wie OB Ebling feststellt. Deshalb werde mit großer Wahrscheinlichkeit auch noch 2023 der neue Personalausweis im Bürgeramt oder in einer Ortsverwaltung persönlich beantragt werden müssen.

Wo hakt es?

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet Bund und Länder, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 über Verwaltungsportale auch digital anzubieten. Seit einigen Jahren bietet das Bürgeramt der Stadt Mainz eine Reihe von Online-Dienstleistungen an. Um dieses Angebot auszuweiten braucht es technische und rechtliche Voraussetzungen, die auch mithilfe des OZG geschaffen werden sollen. Für dessen Umsetzung ist eine Arbeitsteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen vereinbart worden. Eine Arbeitsteilung, die Sinn macht. Es muss nicht jede Kommune für jede einzelne Dienstleistung eine digitale Lösung finden. Das ist Zeit- und Ressourcenverschwen­dung. Damit aber alle von den Lösungen der anderen profitieren, sie anwenden können, müssen erst einmal alle ihre Hausaufgaben gemacht haben, was nicht der Fall ist.

Der Mainzer OB spricht von horizontalen und vertikalen Verknüpfungen quer durch die Republik. Sicher ist, die OZG-Vorgabe bis Ende 2022 knapp 600 Verwaltungsleistungen zu digitalisieren, wird nicht umzusetzen sein. Das liege, so der OB, an der Komplexität des ganzen Prozesses und an den vielen Beteiligten, die eingebunden werden müssen. Dabei gebe es keine »schwarzen Peter« zu verteilen, stellt Ebling klar. Dann nennt der Mainzer OB eine weitere Hürde auf dem Weg ins digitale Zeitalter, den »Medienbruch«: Noch müssen manche digital generierten Daten manuell erfasst werden, um sie weiter bearbeiten zu können. Was keinen Sinn macht – schon gar nicht mit Blick auf das Ziel »Mainz wird klimaneutral«. Auch dieses Hindernis gilt es zu beseitigen.

Handlungsfelder der Digitalisierung

Christian Metzler ist Chief Digital Officer (CDO) der Stadt Mainz. Bei ihm laufen die Fäden für die Digitalisierungsprozesse zusammen, er koordiniert die Strategieprozesse und nennt die fünf Handlungsfelder der Mainzer Digitalisierungsstrategie:

  • Intelligente Infrastruktur
  • Digitale Verwaltung
  • Mobilität, Umwelt u. Urbane Entwicklung
  • Wirtschaft, Innovation und Kooperation
  • Bildung u. Zusammenleben.

Für die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie wurden in jedem Handlungsfeld »Leuchtturmprojekte« und »Schnellboote« vereinbart. Gemeint sind Projekte, die vorrangig umgesetzt werden sollen, bzw. deren Umsetzung bereits eingeleitet ist. Wie z.B. der Aufbau der Datenplattform MainzDIGITAL im Handlungsfeld »Intelligente Infrastruktur«. Beschrieben wird dieses »Leuchtturmprojekt« wie folgt: »Die Mainzer Stadtwerke haben die »Daten Kompetenzzentrum Städte und Regionen GmbH« (DKSR) beauftragt eine Open-Source-Datenplattform bereitzustellen, um diese in einem ersten Pilotprojekt erproben zu können. Erste Anwendungsfälle befinden sich in der Umsetzung. Neben dem Nutzen der konkreten Anwendungsfälle lernen wir die Herausforderungen und Mehrwerte einer solchen Plattform kennen. Mit Abschluss der ersten Pilotphase kann zielgerichtet über den zukünftigen Weiterbetrieb und möglichen Ausbau der Datenplattform mainzDIGITAL entschieden werden. Gleichzeitig beschäftigen wir uns ganz praktisch mit den Themen Datensouveränität, Data Governance und Data Analysis.«

Zur Veranschaulichung skizziert OB Ebling folgendes Beispiel: Der städtische Mülleimer hat einen Sensor, der dem Entsorgungsbetrieb anzeigt: Leeren. Ein Müllfahrzeug holt den Müll – und prüft auf dem Weg dorthin die Beschaffenheit des Straßenbelags, um der Verwaltung mitzuteilen: hier sind Schlaglöcher, die müssen ausgebessert werden. Zeit- und Ressourcenersparnis wäre die Folge. Voraus­gesetzt, die Daten für Straße und Mülleimer sind sowohl dem Entsorgungsbetrieb als auch der Verwaltung zugänglich und deren Übertragung in das Fahrzeug hinein funktioniert. Um eine solche Datenplattform aufzubauen und dann auch noch als Open Data für alle zu öffnen, muss jeder Datensatz, der dort eingestellt wird, aber eigens geprüft werden, stellt CDO Metzler klar.

Kosten
Die AFD-Fraktion im Mainzer Stadtrat wollte von der Verwaltung wissen, wie hoch die Ausgaben für Berater und Beratungsdienstleistungen der Stadt Mainz im Jahr 2019, 2020 und 2021 waren. In der Antwort der Verwaltung heißt es u.a. die Firma Ramboll GmbH Hamburg erhalte für die Digitalisierungsstrategie »mainz digital« 142.094,20 Euro.

Partizipation

Viele Menschen fühlen sich von den Anforderungen der Digitalisierung überfordert. Das gilt für den privaten Bereich und für das Arbeitsleben und ist beileibe nicht nur eine Altersfrage.
Den Sinn und Zwecke digitaler Dienstleistungen für die Bürger:innen zu erklären und deren Meinung dazu einzuholen, ist ebenfalls Bestandteil der Mainzer Digitalisierungsstrategie. Multiplikatoren und Multiplikatorinnen aus Wirtschaft, Institutionen und der Bürgerschaft werden eingebunden und wirken gleichzeitig in die Stadt­gesellschaft hinein. Datenschutz und -sicherheit spielen dabei eine Rolle. Ein Beirat wird die Umsetzung begleiten und steuern. Noch in diesem Jahr sollen – unter Berücksichtigung der pandemischen Lage – digitale und analoge Beteiligungsformate zu den ersten Schlüsselprojekten an­geboten werden; angekündigt wurde auch eine Umfrage zur Mainzer Digitalisierungsstrategie.

Wie viel Steuergeld die Umsetzung der Mainzer Digitalisierungsstrategie kostet, lasse sich nicht beziffern, so OB Ebling. Es gebe keinen gesonderten Etat dafür, die Finanzierung laufe über die Etats der Dezernate und Ämter, der Stadttöchter und Eigenbetriebe. Auszugehen sei von einem »satten zweistelligen Millionenbetrag«. Wie viele Jahre es dauern wird, bis die Strategie mainzDIGITAL zur Erhöhung der Lebensqualität und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Mainz sowie zum Ausbau der Beteiligungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten beiträgt, ist nicht absehbar. OB Ebling spricht von einem »Zeitstrahl«, auf dem interne zeitliche Vorgaben festgehalten sind, ohne sie dezidiert in der Digitalisierungsstrategie zu verankern.

| SoS

 

Mainzer OZG-Umsetzung

 

Mainz macht auf Digital