Sie wird von vielen beschworen, vom Einzelhandel, Arbeitgebern, Gastronomen, Hoteliers, den Kulturschaffenden, den Kinobesitzern und letztendlich von uns allen: die Rückkehr zur Normalität. Es wird darunter ein Leben ohne Einschränkungen verstanden, alles soll sein wie bisher. Sollten wir uns nicht die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, was wir aus der Pandemie lernen?

Während die pandemieerfahrenen asiatischen Länder blitzschnell reagiert haben, taten wir uns schwer: lebensbedrohliche Seuchen gibt es nur in anderen Kontinenten, in unserem zivilisierten Land kann es so etwas nicht geben, Masken tragen widerspricht unserer Kultur…

Die Legitimation und Glaubwürdigkeit der staatlichen Institutionen und der Wissenschaft, Maßnahmen zu ergreifen und durchzusetzen, wurde nicht nur von den Querdenkern infrage gestellt, auch von großen Teilen der Öffentlichkeit, die geradezu entrüstet war, dass in ihre Gewohnheiten eingegriffen wird.



Es wurde plötzlich sehr deutlich wohin sich unsere offene Gesellschaft entwickelt hat: zunehmend zu einer Ansammlung von autonomen Personen, die selbst entscheiden, mit wem sie in einen sozialen Austausch treten. Wie eine Gesellschaft langfristig über- und zusammenleben kann, hat für mich eindrucksvoll die einfache Erkenntnis auf den Punkt gebracht: Mein Ausatmen ist Dein Einatmen. Ich trage eine Maske, weil ich meine Mitmenschen schützen will. Vielleicht rechnet mal ein kluger Kopf aus, wie viele Menschen nicht sterben mussten, weil wir Masken trugen.
Das Unvorhergesehene wird unser Leben in Zukunft stärker bestimmen, dazu tragen wir alle in unserer reichen Gesellschaft bei: wir wollen reisen ohne Einschränkungen, wir wollen zu jeder Jahreszeit das gleiche Angebot an Lebensmitteln vorfinden, wir wollen alles möglichst billig und es interessiert nicht, wo und wie produziert wird; für Hygiene, Sauberkeit und Ordnung soll die Stadtverwaltung sorgen.

Auch die Wetterkatastrophe hat uns vor Augen geführt, dass das Unvorhergesehene und Unvorhersehbare unsere Begleiter sein werden und wir lernen müssen damit umzugehen. Dafür brauchen wir eine andere Form der Bildung in unseren Schulen, die bewusst die Schüler mit Ungewohntem und Fremden konfrontiert. Die Stadtplanung sollte sich die Frage stellen, wie in Städten wie Mainz, die drohen »aus allen Nähten zu platzen«, den unterschiedlichsten Interessen der Menschen besser Rechnung getragen werden kann. Wo können sich Menschen begegnen und feiern? Wo sind »geschützte Räume« der Ruhe? Wollen wir irgendwann wirklich noch in die Innenstadt, wenn dort nicht mehr eingekauft wird, weil alles online bestellt wird, wenn dort die Büros ins Homeoffice verlegt werden, und die Kinos schließen, weil Netflix und Co. attraktiver sind?

Werden wir den Mut haben, diese und weitere Fragen ohne den zunehmenden Populismus zu diskutieren oder geht es uns nur um »Normalität«?

| Mogunzius

 

Mogunzius und sein Mainz: Das Sitte-Trauma