Wie funktioniert der Gemüseanbau in Corona-Zeiten? Ohne die gewohnten Erntehelfer aus Osteuropa? Kai Reinheimer kann auf die Unterstützung von allen bauen.
Dreimal pro Woche verkauft der Gemüsehof Reinheimer seine Erzeugnisse auf dem Mainzer Wochenmarkt, in Ginsheim ist der Hofladen montags bis samstags geöffnet. »Es ist die härteste Zeit meines Lebens«, stellt Kai Reinheimer fest. Der 46-Jährige ist Chef des Gemüsehofs Reinheimer, 60-70 Kulturen baut er im Jahresverlauf an und vermarktet sie selbst. Als wir Mitte April miteinander telefonieren, plagen ihn außer der Trockenheit noch die Nachtfröste. Zwischen 1 und 2 Uhr nachts stehe er auf und schalte die Beregnungsanlage an: das 4 Grad »warme« Wasser hilft den jungen Pflanzen nicht zu erfrieren. Wie fast allen Landwirten und Gemüseanbauern in Deutschland fehlen auch den Ginsheimern Arbeitskräfte. Die festangestellten Vorarbeiter konnten nach dem Heimaturlaub nicht mehr rechtzeitig wieder einreisen. Die verbliebenen 14 Mitarbeiter/-innen schafften gemeinsam mit den elf Familienmitgliedern die Arbeit nicht, die im Frühjahr auf einem Gemüsehof anfällt.
Die Erntehelfer-Profis fehlen – also helfen 100 Freiwillige
In dieser Notlage machte Kai Reinheimer eine Erfahrung, die ihm, denkt er daran oder spricht er davon, noch immer Gänsehaut beschert. Über WhatsApp informierte er Freunde, Bekannte und Kundschaft, dass er nicht pflanzen und ernten kann, weil ihm die Leute fehlen. Binnen 24 Stunden standen 100 Freiwillige auf seinem Hof, um zu helfen.
In kürzester Zeit hatten alle zusammen das an Arbeit geschafft, was die Familie mit den Festangestellten allein nicht schaffen konnte. Das Wintergemüse komplett einbringen, Frühlingskulturen säen, pflanzen und ernten, was bereits gewachsen war. »Mir gibt diese Erfahrung ein gutes Gefühl, ich kann darauf vertrauen, dass in einem ähnlichen Notfall erneut genügend Menschen helfen würden.« Ob der wieder eintritt, ist Mitte April offen. Reinheimer hat gerade die Berichte über die aus Rumänien eingeflogenen Erntehelfer/-innen verfolgt. Und meint, er könne die Menschen unter Einhaltung der Abstandsregelungen auf seinem Hof nicht unterbringen. »Soll ich extra ein Containerdorf aufbauen, fernab von unserem Hof? Nein, das passt nicht zu uns!«
Wertschätzung: Ansporn, die Krise durchzustehen
Noch kommt Kai Reinheimer mit den zwölf Freiwilligen zurecht, die er mit seiner Familie zwei Wochen lang angelernt hat. Die Einarbeitung war, trotz des guten Willens der Ungeübten, ein organisatorischer Kraftakt für die Familie. Spargel stechen z.B. ist eine körperlich anstrengende Arbeit, an die die Neuen allmählich, stundenweise herangeführt wurden. Auch die Arbeitsabläufe auf einem Gemüsehof zu durchschauen, braucht einiges an Übung. Wo stehen welche Gerätschaften, wo sind welche Felder? Wächst hier Unkraut oder könnten es junge Salatpflanzen sein? Anlernen und in die Arbeit einweisen ist normalerweise Sache der Vorarbeiter. Diese fehlen, die Familienmitglieder sind gefragt. »Da braucht es starke Nerven, Humor hilft auch und die Reaktionen unserer Kundschaft, die bauen unheimlich auf. Es kommt sehr viel Wertschätzung für unsere Arbeit bei uns an, das tut gut und gleichzeitig ist es Ansporn, um schwierige Situationen durchzustehen«, sagt der Gemüsebauer.
Wird die Wertschätzung für die Arbeit in der Landwirtschaft von Dauer sein? Kai Reinheimer hält es für möglich. Auch aufgrund der Berichterstattung über die Sorgen und Nöte der Landwirte in Corona-Zeiten sei vielen bewusst geworden, was es bedeutet, Gemüse und Obst direkt von regionalen Erzeugern kaufen zu können, vielleicht würden auch mehr Menschen wieder häufiger selbst kochen?
»Wenn ich sauber rauskomme aus der Krise, dann werden wir das Geld, das wir mit den vielen Freiwilligen erwirtschaftet haben, für einen sozialen Zweck spenden«, hat Kai Reinheimer seinen Helfer/-innen versprochen. Außerdem steht noch ein Jubiläumsfest in diesem Jahr an: der Gemüsehof Reinheimer wird 100 Jahre alt. Wann das stattfinden kann, das steht allerdings noch in den Corona-Sternen.
| SoS