Das »Stellwerk« bietet eine ungeahnt kreative Küche, die begeistert. In einer ehemaligen Güterhalle hat ein junges Gastronomen-Duo Wegweisendes für die Region geschaffen.
Schon die Anfahrt macht Freude, sogar an einem trist-kühlen Herbsttag. Wie aus dem architektonischen Nichts taucht plötzlich in der Saulheimer Bahnhofstraße ein aufs Feinste restauriertes Natursteingebäude auf, das zum Eintritt geradezu auffordert. Drinnen eröffnet sich ein hoher Raum, der ehemals als Güterhalle diente und baulich geschickt aufgeteilt ist. Im Parterre, dessen Boden mit dunklen Holzdielen belegt wurde, laden Zweier- und Vierertische zum Platznehmen ein. Hohe Fensterfronten, die sich bei genauem Hinschauen als Türen entpuppen, spenden reichlich Licht. Eine graublaue Metalltreppe führt hinauf zu einer Galerie, die ebenso wie die dachtragende Konstruktion mit feinster Zimmermannsarbeit gefertigt wurde.
An jedem Tisch hängt ein kunstvoll angebrachter Weinkühler, der darauf hindeutet, dass im »Stellwerk« auch auf die Pflege der Weinkultur Wert gelegt wird. Wir sind mittags hier und befinden uns offensichtlich in der Gesellschaft nicht vieler, dafür aber kulinarisch kundiger Gäste. Der unaufdringlich-aufmerksame Maître bringt uns einen Gruß aus der Küche, der bereits einen Hinweis darauf gibt, was uns fürderhin erwartet. Auf einem runden Tellerchen ruht ein kresseverziertes Häubchen Feigencreme, dazu gesellt sich ein Metallkistchen, das etwa zur Hälfte mit groben Salzkörnern gefüllt ist. Auf diesem strahlend weißen Bett ruhen zwei silberfarbene Löffel, die in winziger Form Ziegenfrischkäse, weiße Balsamicoperlen, rote Bete und mexikanische Minigurke enthalten. Zweierlei Brötchensorten begleiten dieses Amuse gueule.
»Wo sind wir hier denn?«
»Wo sind wir hingeraten?«, fragt Mister X regelrecht verzückt angesichts dieser optischen wie geschmacklichen Köstlichkeit. Die Antwort erhalten wir spätestens mit dem Auftragen der Vorspeise. X hat ein Kürbiscremesüppchen mit Kürbiskernöl bestellt, das vom Service aus einer Glaskaraffe kunstvoll über ein paniertes und gebackenes Sesam-Kürbisbällchen gegossen wird. »Die Konsistenz zwischen Suppe und Mus ist hiermit perfekt getroffen«, konstatiert mein immerwährender Begleiter und lobt zudem den »hervorragend austarierten« Geschmack der Speise, die 7,50 Euro kostet.
Nicht minder erfreut mich das Räucherlachstatar mit Apfel und Honig-Senf-Soße, das auf einem Kartoffelpuffer serviert wird (12,50 Euro). Das Tatar ist wundervoll gewürzt, eine feine Säuerlichkeit schwingt durch dieses Gericht. Kleine Kresseblättchen bringen eine milde geschmackliche Note ins Spiel. Als Hauptspeise hat Mister X Kalbsfilet mit Pommes dauphine, Parmaschinken und Salbei (23,50 Euro) gewählt. Das Fleisch ist kunstvoll in die weiteren Zutaten gewickelt, zeigt sich schön rosa, aber einen Hauch trocken. Eine helle Soße umspielt das Ensemble, in dem sich auch einige frittierte Salbeiblättchen finden.
Ein exquisiter Baconburger
Ich freue mich auf den Baconburger mir Farmer fries und Cole slaw (Krautsalat) und werde nicht enttäuscht. Das Fleisch ist locker, ja regelrecht fluffig. Der Krautsalat lebt von einem süßlich-säuerlichen Spannungsbogen, und die Fritten haben belgisches Niveau. Berechnet wird dieses Burger-Highlight mit 10,50 Euro. Es geschieht eher selten, dass Mister X und ich ein Dessert nehmen. Im »Stellwerk« allerdings ergibt sich dies wie von selbst.
Unsere beiden Nachspeisen geraten nicht allein zur Abrundung des Mahls, sondern zu einem weiteren Höhepunkt. »Ein derartiges Panna cotta habe ich in der Tat weder gesehen noch gegessen«, schwärmt X von der Kreation aus Weinbergspfirsich, die genau wie die Frucht gestaltet ist. Zwei Brombeeren bilden den farblich-dunklen Kontrapunkt. 9,50 Euro kostet dieses Dessert. Derweil genieße ich den Macadamia-Pudding (10 Euro), der von winzigen Bällchen geeister Banane und karamellisiertem Bacon begleitet wird. Gut, dass wir uns diesen mittäglichen Ausflug aufs Land gegönnt haben!
| LOU KULL
ESSEN | 9,0 |
TRINKEN | 8,5 |
SERVICE | 9,0 |
AMBIENTE | 9,0 |
PREIS/LEISTUNG | 9,0 |
GESAMT | 44,5 : 5 = 8,9 KAPPEN |
FAZIT
Das »Stellwerk« kann man ohne Übertreibung als Edelstein in der rheinhessischen Gastronomielandschaft bezeichnen. Chris Schütz und Sandro Zapalla, die in der Branche reichlich hochkarätige Erfahrung gesammelt haben, führen das Restaurant seit Februar dieses Jahres und setzen der prosperierenden Szene in der Region ein weiteres i-Tüpfelchen auf. Allein schon der Service, den Chris Schütz leistet, macht Freude: Der Gast wird unaufdringlich, aber stets aufmerksam bedient. Sandro Zapalla, der die Speisen zaubert, weiß offensichtlich genau, was er tut; das spürt man beim Essen und auch im Gespräch. Er kocht mit Freude, Überlegung, handwerklichem Können und Kreativität – mit den besten Zutaten also, die man sich wünschen kann. Die Flaschenweinkarte des Restaurants füllt mehrere Seiten und führt große rheinhessische Namen sowie junge Talente der Szene auf. Die Preise für Speisen und Wein sind ob der gebotenen Qualität absolut angemessen, das Ambiete des »Stellwerks« begeistert mit Ideenreichtum und hoher Qualität der handwerklichen Ausführung.