Nachtragshaushalte, Machbarkeitsstudien, Finanzausgleichsumlage, Wachstumschancengesetz: Was dem Mainzer Finanzdezernenten Günter Beck so alles unter den Nägeln brennt.

Die Zeit, in der die Stadt finanziell aus dem Vollen schöpfte ist vorbei. Daran müssen sich die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung erst wieder gewöhnen. Vielleicht erinnert sich die Eine und der Andere noch an die Zeiten knapper Kassen in Mainz mit Schlagzeilen wie »Die Landesbehörde ADD hat nach sechsmonatiger Prüfung den Doppelhaushalt 2021/22 der Stadt Mainz gekippt – und plädiert auch für höhere Steuern« (AZ, 7.7.21).

Zur Grafik: Ein Projekt, das die Stadt Mainz in den kommenden Jahren auch finanziell stemmen muss: Der Neubau des Gutenberg Museums wird derzeit auf 81,6 Mio. € geschätzt. Auf der Grafik ist die geplante Außenfassade aus dem Siegerentwurf des Architektenbüros »h4a Gessert + Randecker Generalplaner GmbH« zu sehen.

So lange ist es nicht her, dass alle »Freiwillige Leistungen« im Etat unter Finanzierungsvorbehalt standen. Zum Beispiel die Sanierung des Rheinufers, der Neubau eines Sportplatzes, die Neugestaltung des Volksparks, der Neubau des Gutenberg Museums, die Sanierung des Schlosses und die Umgestaltung des Regierungsviertels: noch vor zwei Jahren wäre in Mainz niemand auf die Idee gekommen alle diese Projekte nahezu gleichzeitig in Angriff zu nehmen. Zumal da noch eine nicht ganz günstige Rathaus-Sanierung in Verbindung mit dem Ankauf des ehemaligen LBB-Gebäudeensembles auf der Agenda stand.

Aber der unerwartete Geldsegen durch die beträchtlichen Gewerbesteuern eines einzelnen Unternehmens hat den Blick geweitet – warum nicht Projekte wenigstens mal anzudenken, die gut zu der Stadt passen?

Great Wine Capital

Mainz ist eine Great Wine Capital und der Wein spielt zumindest im gesellschaftlichen Leben der Menschen hier eine wichtige Rolle. Insofern ist die Idee von Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz, ein Weinerlebniszentrum in Mainz zu etablieren, eigentlich überfällig – vielleicht ist das der KO-Tropfen für diese Idee: überfällig – im Sinne von: Dieses Vorhaben hätte viel früher auf den Tisch gehört, um wenigstens eine Chance auf Realisierung zu haben. Zwischenzeitlich hat sich die Haushaltslage geändert: »Das Weinerlebniszentrum ist keine kommunale Aufgabe«, sagt Finanzdezernent Günter Beck.

Wenn aber seitens des Wirtschaftsdezernates ein entsprechender Deckungsvorschlag unterbreitet wird, könne die diskutierte Machbarkeitsstudie aus Sicht der Finanzverwaltung den Gremien zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Beck verweist auf die Idee von OB Nino Haase, die Bademöglichkeiten im Rhein untersuchen zu lassen – auch das sei keine kommunale Aufgabe. Aber nachdem für diese Machbarkeitsstudie ein Deckungsvorschlag unterbreitet wurde, werde sie dem Finanzausschuss am 21. November zur Beschlussfassung vorgelegt. Ob die Mehrheit der Ampel-Fraktionen dem zustimmt, ist Mitte November noch offen.

Alles auf den Prüfstand?

Der Stadtrat hat Mitte Oktober 2023 einen Nachtragshaushalt für 2023 verabschiedet. Die für 2023 veranschlagten Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 620 Mio. € fallen um 254 Mio. € geringer aus – das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben ist wieder aus dem Lot geraten. Stefan Mossel, Leiter des Amtes für Finanzen, Beteiligungen und Sport, hat das alles im Blick. Da Biontech weniger Gewinn macht, wurden die Vorausschätzungen für die Gewerbesteuereinnahmen nach unten korrigiert, ein Nachtragshaushalt musste her: Anstelle des Jahresüberschusses in Höhe von 153.340.636 € ist jetzt ein Jahresfehlbetrag in Höhe von 34.883.847 € für 2023 prognostiziert.

V.l.: Günter Beck, Dezernent für Finanzen, Beteiligungen und Sport und Stefan Mossel, 
Leiter des Amtes für Finanzen, 
Beteiligungen und Sport (Archivbild)

V.l.: Günter Beck, Dezernent für Finanzen, Beteiligungen und Sport und Stefan Mossel, Leiter des Amtes für Finanzen, Beteiligungen und Sport (Archivbild)

Auch ein Nachtragshaushalt muss von der ADD geprüft werden, weist er ein Defizit auf: sind die Ausgaben höher als die Einnahmen, kommt alles auf den Prüfstand. Soweit kam es aber nicht, wegen der Finanzausgleichsumlage. Für diese Umlage werden rückwirkend Finanzkraft und Finanzbedarf der Kommunen berechnet: ist die Finanzkraft höher als der Finanzbedarf, muss die Kommune eine Finanzausgleichsumlage bezahlen.

Da die Umlage für 2023 auf den Zahlen des 4. Quartals 2021 und des 1. bis 3. Quartals 2022 basiert, muss Mainz 2023 250 Mio. € abführen – obwohll der 2023er Etat jetzt mit 34,89 Mio. € im Minus ist. Dass die ADD den Nachtragshaushalt dennoch nicht prüft, basiert auf den »Ausführungs- und Anwendungshinweisen für die Kommunalaufsicht«, die der reinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling im Mai 2023 verfügt hat: Der Etat 2023 der Stadt Mainz sei als ausgeglichen zu betrachten, weil die Stadt die hohe Finanzausgleichsumlage für 2022 zu zahlen hat. Diese Ausnahmeregelung gelte für Ingelheim und Idar-Oberstein ebenfalls, sagt Beck.

Die goldenen Zeiten sind vorbei!

Ist das bei Allen angekommen? Finanzdezernent Beck meint: Nein! Die Überschüsse aus den hohen Gewerbesteuereinnahmen 2021 mit einem Jahresüberschuss in Höhe von 1,09 Mrd. €, und aus 2022 mit einem Jahresüberschuss in Höhe von 490,8 Mio. € wurden genutzt, um Altschulden abzubauen: »Formal ist die Stadt entschuldet, es war immer mein Ziel, meinen Kindern keinen Schuldenberg zu hinterlassen«, sagt Beck. Außerdem floss viel Geld in »Vorsorge«: Die Wohnbau bekam 40 Mio. € für neue Wohnungsbauprojekte, die Mainzer Stadtbad GmbH 24 Mio. € für die Sanierung des Taubertsbergbades,

64,8 Mio. € fließen in den Haushaltsjahren 2023 und 2024 für die »Finanzielle Stärkung der Mainzer Stadtwerke AG und der Mainzer Verkehrsgesellschaft mbH« (u. a. in Wasserstoffbusse, in die Ersatz- und Neubeschaffung von Straßenbahnen, in den geplanten Ausbau des Straßenbahnnetzes, in die Erhöhung des Betriebskostenzuschusses an die MVG), die »Mainzer Stiftung für Klimaschutz und Energieeffizienz« erhielt 3 Mio. € u.a. für die Förderung von Solaranlagen; außerdem müssen die beschlossenen Projekte wie die Schloss-Sanierung (inkl. Neugestaltung des Regierungsviertels), der Neubau des Gutenberg Museums, Neubau und Sanierung von Kitas und Schulen finanziert werden: »In den nächsten zehn Jahren sind 1 Mrd. € in Investitionen gebunden«, stellt Beck klar. Finanziellen Spielraum gebe es noch aufgrund der Zinseinnahmen für das »geparkte Kapital«, aber: »Wenn diese Reserven aufgebraucht sind, brauchen wir wieder Investitionskre­dite – das wird teuer«, sagt Beck.

Noch ein Nachtragshaushalt

Für 2024 muss Mainz ebenfalls einen Nachtragshaushalt vorlegen. Stefan Mossel und sein Team sind dabei, die Zahlen zusammenzustellen. Sicher ist, der im Doppelhaushalt 2023/24 veranschlagte Überschuss in Höhe 1,3 Mio. € ist Makulatur. Die Finanzverwaltung rechnet nun ebenfalls mit einem Defizit. Beck und Mossel wirken mit Blick auf den Nachtragshaushalt 2024 angespannt: Erneut muss die Stadt, basierend auf der Berechnung von Finanzkraft und Finanzbedarf, rückwirkend  eine Finanzausgleichsumlage zahlen; derzeit wird sie auf 90 Mio. € geschätzt. Reicht das als Begründung, dass der Innenminister erneut die ADD anweist, den wahrscheinlich defizitären Nachtragshaushalt 2024 ohne Prüfung einzelner Ausgaben passieren zu lassen? »Wir sind in Gesprächen mit dem Innenministerium«, sagt Günter Beck. Ende der Durchsage.

Dem Finanzdezernenten brennt eine andere Unwägbarkeit unter den Nägeln: Das Wachstumschancengesetz der Bundesregierung. Die wolle sich an den kommunalen Steuereinnahmen bedienen, so die Sicht der Kommunen. Durch dieses Gesetz sollen u. a. Abschreibungsmöglichkeiten erweitert und Verlustvorträge im größeren Umfang als bisher berücksichtigt werden, was die Gewinne der Unternehmen reduzieren und damit die Gewerbesteuerzahlungen an die Kommunen schmälern würde. »Das müssen die Bundesländer im Bundesrat verhindern«, fordert Beck auch an die Adresse der rheinland-pfälzischen Landesregierung.

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