Eine temporäre Aktivität, die einen Test und eine Anregung darstellt – und die in der Stadtgesellschaft für Empörung sorgte: Das Bürgerbeteiligungsformat Mainzer «Interventionen im Regierungsviertel«.
Vom 10. Juli bis zum 6. August 2023 war die große Bleiche in ihrem unteren Abschnitt für den Auto- und Busverkehr gesperrt. Die ersten beiden Wochen Sperrung waren notwendig für den Auf- und Abbau des SWR-3-Konzerts am 15. Juli 2023. Einen Abend lang Konzertstimmung und knapp zwei Wochen Auf- und Abbau – das ist halt so. Direkt im Anschluss blieb dieser Straßenabschnitt gesperrt: Die Mainzer Interventionen im Rahmen des Bürgerbeteiligungsprozesses zum Regierungsviertel beanspruchten die Freiflächen am Ernst-Ludwig-Platz, den Parkplatz am Schloss, den Straßenraum inkl. Parkplätze auf diesem Abschnitt der Großen Bleiche.
Nur zwei Wochen nach Abschluss dieser Interventionen präsentierten Baudezernentin Marianne Grosse, Axel Strobach (Leiter des Stadtplanungsamtes) und Erik Flügge (Geschäftsführer des prozessbegleitenden Büros S&N Kommunalberatung) die Ergebnisse der Umfrage, die parallel zu den Interventionen stattfand.
Die drei waren sich einig darin, dass diese Interventionen ein Erfolg gewesen seien. Trotz des nassen Wetters, das die Anzahl derjenigen, die sich vor Ort am Ernst-Ludwig-Platz ein Bild und Vorschläge machen wollten, stark dezimierte. «Wir haben viel ausprobiert und als Verwaltung viel dabei gelernt«, bekannte Marianne Grosse. Schließlich sei es das erste Bürgerbeteiligungsverfahren in Mainz, das mit derart vielen unterschiedlichen Formaten durchgeführt werde.
«Vorläufige Empfehlungen an die Politik«
An der Umfrage hatten bis zum 10. August 2023 1.249 Bürger:innen teilgenommen. Diese – aus Sicht der Verantwortlichen – große Zahl an Rückmeldungen zeige, dass die Mainzer:innen, egal ob unmittelbar Anwohnende, dort Arbeitende oder Besucher:innen des Regierungsviertels, ein reges Interesse an der Entwicklung des Regierungsviertels hätten. Mehrheitlich würden die Bürger:innen den beispielhaft erlebten Umgestaltungen, der Sperrung der Großen Bleiche und der Umgestaltung von Parkplätzen in Grün- und Erholungsflächen, zustimmen. (Details der Umfrageergebnisse lesen Sie hier.) Die Erkenntnisse aus der Umfrage werden im 3. Forum am 20. September 2023 erörtert und sollen gemeinsam mit allen bisherigen Erkenntnissen des Beteiligungsprozesses als «vorläufige Empfehlungen an die Politik« formuliert werden. Geplant ist, diese Empfehlungen, nachdem sie die städtischen Gremien durchlaufen haben, als Grundlage für einen Freiraumwettbewerb über die zukünftige Gestaltung des Regierungsviertels zu nutzen.
Mainzer «Interventionen« für den Konsens
Ziel des umfangreichen Bürgerbeteiligungsverfahrens zum Regierungsviertel war und ist es, einen stadtgesellschaftlichen Konsens über die städtebauliche Entwicklung des Regierungsviertels zu erreichen. Erarbeitet werden konkrete Empfehlungen für die Umgestaltung des Bereichs zwischen Großer Bleiche, Kurfürstlichen Schloss, Landtag und Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz.
In dem Verfahren gilt es zu unterscheiden zwischen dem «Forum Regierungsviertel« und der Öffentlichkeitsbeteiligung. Das «Forum Regierungsviertel« setzt sich aus fünf «Bänken« mit ca. 60 Vertreter:innen gesellschaftlicher Gruppierungen, Expert:innen, Anlieger:innen sowie der Politik und Verwaltung zusammen, die bislang zu zwei Foren zusammenkamen; das nächste ist für den 20. September 2023 anberaumt. Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist zwischen Forum 1 und Forum 2 eingebettet; dazu gehörte eine Jugendbeteiligung an zwei Tagen im April 2023 und eine Online-Sitzung, bzw. Präsenzveranstaltung für alle Bürger:innen an zwei Tagen im Mai. Es folgte Ende Juli und Anfang August das Beteiligungsformat «Interventionen im öffentlichen Raum«: Verschiedene Flächen und Bereiche im Regierungsviertel wurden mit neuen Nutzungen ausgestattet, z.B. luden umgestaltete Parkplätze zum Sitzen und Verweilen ein, mobile Spielgeräte, Sportmöglichkeiten, mobiles Grün sowie künstlerische Gestaltungen wurden angeboten, das Areal insgesamt zu einer Art «Außenwohnzimmer« umfunktioniert.
Mainzer «Interventionen«: Beteiligen, Mitmachen
In der Öffentlichkeit wurde der Interventions-Zeitraum zwischen dem 22. Juli und dem 6. August überwiegend mit der Sperrung der Großen Bleiche, dem Wegfall von Parkplätzen und der Umleitung von Bussen in Verbindung gebracht. Tatsächlich wurde die Buslinie Nr. 6 über Bauhofstraße und Kaiserstraße umgeleitet. Das Verkehrsaufkommen war, wie in Sommerferienzeiten üblich, relativ gering; allerdings wurde fast jeder Stau, der sich auf Kaiser- und Rheinstraße bildete mit der Sperrung des unteren Abschnitts der Großen Bleiche in Verbindung gebracht. Dabei war just zu diesem Zeitpunkt die Theodor-Heuss-Brücke in beide Richtungen nur einspurig befahrbar – was zwangsläufig zu Rückstaus auf Rhein- und Kaiserstraße bis in die Straßen der Neustadt hinein führt. Aber die Mainzer Stadtgesellschaft reagiert oft sehr emotional auf die Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs.
Das Format «Interventionen« setzt auf Beteiligung, Mitmachen, Ausprobieren und erfordert möglichst viele Menschen, die sich einbringen. Während der Sommerferien sind erfahrungsgemäß weniger Mainzer:innen in der Stadt – warum fand das außergewöhnliche Beteiligungsformat ausgerechnet in dieser Zeit statt? Axel Strobach erklärte bei der Vorstellung der Umfrageergebnisse: da die Ergebnisse der «Interventionen« im 3. Forum am 20. September zur Sprache kommen sollen, habe es nur diesen engen Zeitkorridor zwischen den Veranstaltungen wie Johannisnacht und SWR-Festival gegeben.
Planung, Organisation und Umsetzung von Bürgerbeteiligungsprozessen kosten Geld, das in der Regel von den Steuerzahlenden aufzubringen ist. Für den gesamten Planungsprozess im Regierungsviertel sind für die Jahre 2023 und 2024 jeweils 200.000 € veranschlagt, informiert Axel Strobach. Diese jährlich verfügbaren Mittel dienten jedoch nicht nur dem Regierungsviertel-Forum (Moderation, Raummieten, Interventionen, etc.), sondern auch dem sich anschließenden Verfahren für einen Freiraumwettbewerb.