Zwei Standorte für die Ausweisung neuer Wohnquartiere in Verbindung mit der Einfrierung der Bodenpreise: Der Stadt Mainz ist ein überraschender Coup gelungen.

Es ist eines der drängendsten Probleme, das gelöst werden muss: Die Schaffung von bezahlbarem Wohnbau. Alle Auseinandersetzungen um die Frage, wie soll die Beschaffung von bezahlbarem Wohnraum funktionieren, betreffen grundlegende Auffassungen von Staat und Wirtschaft. Ob die Mietpreisbremse, die Festsetzung von Quoten für den sozialen Wohnungsbau (ohne staatliche Subventionen) oder das Einfrieren von Bodenrichtwerten: Instrumente die dem Staat zur Verfügung stehen, um den sozialen Wohnungsbau zu steuern werden von Seiten der Unternehmen meist als unzulässige Eingriffe in die freie Marktwirtschaft gecancelt oder mit dem Vorwurf überbordender Bürokratie gebrandmarkt.

Auch in Mainz mangelt es an bezahlbarem Wohnraum – der nicht nur Menschen ohne eigenes Einkommen ein Dach über dem Kopf sichern soll. Im Vergleich deutscher Städte befindet sich Mainz, mit München, Stuttgart und Frankfurt unter den zehn Städten mit den höchsten Mietpreisen wieder – da können auch viele Menschen in Vollzeitjobs nicht mehr mithalten. Die Tatsache ist schon lange klar, Linderung soll der Bau neuer Wohnungen schaffen. Mittelfristig ist in Mainz bis zum Jahr 2030/2035 aus den bereits in Umsetzung bzw. in der Bebauungsplanung befindlichen Flächen sowie der Innenentwicklung ein Potential von ca. 10.000 Wohneinheiten für ca. 20.000 Einwohner vorhanden. Und darüber hinaus? Wie kann die Kommune angesichts steigender Baukosten und Bodenpreise über den Zeitraum 2030/2035 hinausgehend mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen?

Einfrierung der Bodenrichtwerte

Die Stadt Mainz versucht es mit einer Kombination: Die Ausweisung neuer Baugebiete geht einher mit der Einfrierung der Bodenrichtwerte für diese Gebiete. Nachdem der Stadtrat am 6. März 2024 die grundlegenden Beschlüsse gefasst hatte, wurden im Amtsblatt vom 8. März 2024 drei Satzungen veröffentlicht. Geregelt wird damit, dass die Stadt ein Vorkaufsrecht für definierte Flächen in Ebersheim Süd und in Hechtsheim Nord hat und für diese Bereiche eine »Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme« einleiten wird. So soll die Bodenspekulation verhindert werden.

Grundlage für diese Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen sind Gutachten, um konkrete Angaben zu möglichen Bebauungspotenzialen zu erhalten: Wo könnten neue Wohnquartiere entstehen?

Wer sich in der »Landschaft« um Mainz herum umschaut, stellt fest, überall ist schon irgendetwas vorhanden: Straßen, Bahnschienen, Hochspannungsleitungen, Heizkraftwerke, Hochbrunnen, Regenrückhaltebecken, Gewerbe, Einkaufszonen, Landwirtschaftliche Bauten und Flächen, Bezirkssportanlangen … Nicht zu sehen, gleichwohl vorhanden sind die Kaltluft- und Frischluftentstehungsgebiete, die Naturschutzzonen, die Landschaftsschutzgebiete – die auch von der Bevölkerung zur Naherholung genutzt werden. Also: Wo ist Platz, um neue Wohnquartiere planen zu können? Bevor diese Frage einem Gutachter übergeben wurde, galt es zu prüfen: Wie viele Wohneinheiten könnten in der Innenstadt gebaut werden, wenn noch vorhandene Freiflächen bebaut und bereits Bebautes aufgestockt oder erweitert würde? Das Ergebnis war ernüchternd: ca. 900 Wohneinheiten könnten entstehen aber nur, wenn die Eigentümer das auch wollen.

Bodenspekulation verhindern

Der nächste Schritt war das Gutachten zur Außenentwicklung, das vom Raum- und Stadtplanungsbüro berchtoldkrass space&options erarbeitet und bereits im Sommer 2023 dem Stadtvorstand vorgestellt wurde. Auftrag war es, die Entwicklung der Mainzer Siedlungsstruktur (Siedlungsachsen gemäß dem Fünf-Fingerprinzip) fortzuschreiben und zu ergänzen. In einem komplexen mehrstufigen Verfahren wurde systematisch untersucht, wo es noch mögliche Flächenpotentiale im Stadtgebiet gibt, die sich für eine langfristige wohnbauliche Entwicklung eignen. Identifiziert wurden alle Bebauungsmöglichkeiten an den Rändern des Stadtgebietes (siehe Grafik) auf dieser Seite: nur die grünen Flächen gelten als »grundsätzlich denkbar« für eine Wohnbebauung).

Die Veröffentlichung des Gutachtens wurde zurückgehalten bis die beteiligten Dezernate und Ämter das Instrumentarium für die Unterbindung von Bodenspekulationen fertig hatten: Die Einleitung der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme in definierten Entwicklungsgebieten in Hechtsheim Nord und Ebersheim Süd. Damit wurde der »entwicklungsunbeeinflusste Anfangswert« (der Bodenrichtwert vor der Bekanntmachung der beschlossenen vorbereitenden Untersuchungen) als Verkehrswert gesichert. Übt die Stadt ihr Vorkaufrechts in den definierten Gebieten aus, würde sie nicht in den bestehenden Kaufvertrag zu den darin festgelegten Bedingungen (u. a. dem Kaufpreis) einsteigen, sondern Grundlage für die Ermittlung des Kaufpreises wäre der als Anfangswert gesicherte Verkehrswert.

Bei den beiden Arealen, die vom Grundsatz her als geeignet eingestuft wurden und nun vertieft untersucht werden, handelt es sich um eine Fläche in Hechtsheim-Süd (ca. 13,5 ha) sowie um Flächen in Ebersheim von ca. 43 ha. Auf diesen Flächen könnten – abhängig von der Dichte der Bebauung – zwischen knapp 1.850 und 3.300 Wohneinheiten entstehen. Das tatsächlich realisierbare Entwicklungspotential ist erst im Zuge weiterer Planungen abschätzbar.

Zurückhaltung von Informationen

Interessant ist, obwohl die vorbereitenden Arbeiten, in Form von Vorstellung des Gutachtens, Erarbeitung der rechtlichen Grundlagen aufwändig waren und bis zur Information der politischen Gremien in einer gemeinsamen Sitzung am 27. Februar 2024 mehrere Monate dauerten, wurde nichts in der Öffentlichkeit bekannt. Diese Zurückhaltung von Informationen diente dem Ziel, die Bodenpreise auf dem aktuellen Stand einzufrieren. Warum diese Verschwiegenheit? Es ist üblich, dass nach offizieller Ausweisung eines Baugebietes die Quadratmeterpreise für diese Flächen in die Höhe gehen. Die Stadt Mainz will das für die Baulandausweisung auf den definierten Flächen verhindern, um eine Grundlage für den kostengünstigeren Bau von neuen Wohnungen zu schaffen.  Stand jetzt, investiert die Stadt 1,8 Mio. Euro in die vorbereitenden Untersuchungen (Bürgerbeteiligung, Büro für die vorbereitende Untersuchung, Gutachten und rechtliche Beratungsleistungen). Diese Kosten sollen durch die absehbaren maßnahmenbedingten Bodenwertsteigerungen refinanziert werden.

Nach Veröffentlichung der Satzungen  kann die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme ausführlich diskutiert werden, z.B. anlässlich der Ortsbeiratssitzungen in Ebersheim (am 2. Mai 2024 und in Hechtsheim (am 8. Mai 2024). Wie üblich bei städtebaulichen Planungsprozessen wird es einige Zeit dauern, bis endgültig entschieden wird, wo wie viele Häuser mit welchen Geschosshöhen gebaut werden können.

Die große Lösung für die Schaffung von bezahlbarem Wohnbau in Mainz wird diese Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme nicht.  3.300 Wohneinheiten für 9.000 bis 10.000 Einwohner:innen auf Grund niedrigerer Grundstückspreise kostengünstiger zu bauen, reicht nicht aus. Allein für den Biotechnologie Hub werden 5.000 neue Arbeitsplätze prognostiziert.

Anhebung der Förderquote

Ein anderes Instrument, das der Stadtrat am 6. März 2024 verabschiedet hat, ist die »befristete Anhebung des Anteils an gefördertem Wohnungsbau in bestehenden und neuen Bebauungsgebieten« – auf bis zu 80 % in einzelnen Baufeldern. Hintergrund ist, dass das Land Rheinland-Pfalz weiterhin seine Fördermittel anbietet und neben günstigen Konditionen auch sehr attraktive Tilgungszuschüsse gewährt, deshalb steige das Interesse der Investoren an der Schaffung von gefördertem Wohnraum, heißt es in der Begründung der Maßnahme.

Dem kommt der Stadtrat entgegen, in dem er eine zeitlich befristete Steigerung der Förderquote von derzeit 33 % auf bis zu 80 % beschloss. »Diese Regelung kann auch auf Baugebiete mit bereits abgeschlossenen städtebaulichen Verträgen Anwendung finden, wenn alle Vertragspartner einer Quotenerhöhung im Vorfeld zustimmen« – was bedeutet, auch im Heilig-Kreuz-Viertel kann – nachträglich – für einzelne Baufelder eine 80-Prozent-Quote vereinbart werden.

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