Mainzer Bürgerbeteiligung – ein Versuch, die Interessen der Bürger:innen zu kanalisieren,
ihnen zur Durchsetzung zu verhelfen; Voraussetzung ist, die Bürger:innen verstehen,
wie es funktioniert. Eine Analyse.

Anfang Februar 2023 hat sich der erste Beirat für Bürgerbeteiligung in Mainz konstituiert. In den Leitlinien für die Mainzer Bürgerbeteiligung, die vom Stadtrat im April 2022 verabschiedet wurden, ist dieser Beirat eines der zentralen Beteiligungsinstrumente für die Bürger:innen. Jeweils acht Vertreter:innen der Einwohnerschaft, der Stadtratsfraktionen und der Verwaltung sollen hier zusammenarbeiten. Bislang sind seitens der Einwohnerschaft allerdings nur fünf Mitglieder in diesem Beirat vertreten, von denen als Sprecher Rolf Schmitt und als stellvertretender Sprecher Dirk Hey gewählt wurden. Die 16 Mitglieder der Stadtratsfraktionen und der Verwaltung sind vollzählig; das Ungleichgewicht wird durch vier weitere Verwaltungsmitabeiter:innen in der Geschäftsführung des Beirats für Bürgerbeteiligung verstärkt: Diana Spengler als Hauptamtsleiterin und André Gerhardt als Abteilungsleiter Büro Oberbürgermeister sowie Renate Kochenrath als Sachbearbeiterin für Bürgerbeteiligung in der «Leitstelle für Bürgerbeteiligung und Monika Roth, die Leiterin der Stabstelle Bürgerbeteiligung.
Es gelte auf jeden Fall weitere Bürger:innen zur Mitarbeit im Beirat zu animieren, sagte Monika Roth anlässlich der Konstituierung des Beirats für Bürgerbeteiligung. Wie wahr! Ein Beirat für Bürgerbeteiligung, in dem fünf Bürger:innen und 20 Vertreter:innen aus Politik und Verwaltung dafür sorgen sollen, die Interessen der Einwohnerschaft abzubilden, ist absurd.
Auf MAINZER-Nachfrage erklärte die Pressstelle, die Verwaltung erarbeite derzeit ein Konzept für eine Werbekampagne, um weitere Beiratsmitglieder aus der Bürgerschaft zu gewinnen. Gesucht werden drei Beiratsmitglieder und weitere acht Stellvertreter:innen. In der Sitzung des Beirats für Bürgerbeteiligung am 18. April 2023 werde über das Konzept beraten und entschieden, im Anschluss soll die Werbekampagne starten.

Hinkt der Beirat für Bürgerbeteiligung den Entwicklungen hinterher?

Bürgerbeteiligung ist auch in Mainz nichts Neues. Jedes öffentliche Bauvorhaben wird offengelegt und bietet Einspruchsmöglichkeiten; weitreichende Vorhaben wie der Bau der «Mainzelbahn« oder das Projekt «Lu erleben« wurden von jahrelangen Prozessen der Bürgerbeteiligung begleitet. Aktuell läuft in Mainz das Beteiligungsverfahren für den Straßenbahnausbau «Innenstadtring«, für die Gestaltung des Mainzer Regierungsviertels, es finden Spielplatzbeteiligungen und Jugendkonferenzen statt, das Beteiligungsverfahren für den Straßenbahnausbau «Heilig-Kreuz-Viertel« ist angekündigt. In Ebersheim steht die Fortsetzung des Austauschs zur Vision «Ebersheim 2040« an, am Rheinufer das Beteiligungsverfahren für den 2. Bauabschnitt der Rheinufersanierung. In allen Verfahren engagieren sich mal mehr, mal weniger Einwohner:innen. Abgesehen von Zeit für die Teilnahme an den Sitzungen braucht es vor allem auch die Fähigkeit, teils komplexe und in formaljuristischem Deutsch verfasste Konzepte, Anträge und Gutachten zu verstehen, eigene Positionen zu formulieren und in den Diskussionen zu vertreten. Das können nicht alle Menschen; Sprachbarrieren müssen überwunden, Grundlagen einer demokratischen Diskussionskultur eingeübt und die Scheu, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, abgelegt werden.

Mainzer Bürgerbeteiligung lässt sich nicht aus dem Hut zaubern

Bürgerbeteiligungsprozesse sind immer komplex. Die Bürger:innen sollen sich einbringen, mitmachen und mitentscheiden. Aber nur soweit, wie die Entscheidungsmöglichkeiten der gewählten Volksvertreter:innen im Stadtrat nicht beschränkt werden. Die Außerkraftsetzung von Beschlüssen des demokratisch gewählten Mainzer Stadtrats lässt sich nur durch einen «Bürgerentscheid« erreichen. Den gab es in Mainz bislang nur einmal, der Bau des «Bibelturms« wurde so gekippt. Infolgedessen begann der Prozess, der über vier Jahre hinweg und moderiert von externen Fachleuten in die Verabschiedung der Mainzer Leitlinien für Bürgerbeteiligung mündete. Im Unterschied zu bereits praktizierten Beteiligungsprozessen können im Rahmen dieser Leitlinien auch freiwillige (informelle) Beteiligungsprozesse angeregt werden, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind (wie die Beteiligungsverfahren bei öffentlichen Bauvorhaben z.B.). Die Ergebnisse dieser informellen Beteiligungsprozesse sind in der Regel aber nicht rechtlich bindend.

Bürgerbeteiligung ist komplex

Um die Mainzer Leitlinien für Bürgerbeteiligung zu erläutern, braucht es 51 Seiten. Der Anspruch, der zu Beginn ihrer Erarbeitung öffentlich formuliert wurde, dass breite Schichten der Mainzer Bevölkerung angesprochen werden und mittun, wurde nicht erfüllt. Die teilnehmenden Bürger:innen waren ausgewählt worden und bereits im Erarbeitungsprozess war die «Übermacht« von Verwaltung und Politik mit dem «trialogischen Prinzip« angelegt: Können acht Vertreter:innen der Bürgerschaft dem Wissen und der Erfahrung von Gremienarbeit der jeweils acht Vertreter:innen von Politik und Verwaltung standhalten? Diese – rhetorische – Frage lässt sich nicht beantworten, denn die Sitzungen, in denen die Leitlinien erarbeitet wurden, fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, die Mitglieder waren zur Verschwiegenheit angehalten.
Es geht der Autorin übrigens nicht darum, den Vertreter:innen von Verwaltung und Politik «Böses« zu unterstellen. Die langjährige Beobachtung öffentlicher Veranstaltungen bisheriger Bürgerbeteiligungsprozesse wie «Lu-Foren«, Neubau des Karstadt-Areals, Bau der Mainzelbahn, Arbeitswerkstatt Gutenbergmuseum, Runder Tisch Fahrrad, Fahrrad-Forum, Radkonsens, etc. mündet aber in die Erkenntnis, dass Politiker:innen und Verwaltungsmitarbeiter:innen ihre Interessen wirkungsvoller vertreten können als Bürger:innen. Warum? Weil Mitglieder des Stadtrates geübt darin sind, komplizierte Sachverhalte in Amtsdeutsch zu entschlüsseln, eigene Positionen zu formulieren und zu verbreiten; weil Mitarbeiter:innen der Verwaltung die gesetzlichen Vorschriften und die internen Abläufe kennen. Hinzu kommt, dass die Verwaltungsmitarbeiter:innen die Aufgaben im Rahmen der Bürgerbeteiligung als Teil ihrer Arbeit wahrnehmen, die Stadtratsmitglieder es gewohnt sind, in ihrer Freizeit ehrenamtlich Politik zu machen; die Bürger:innen müssen sich diese Zeitfenster erst schaffen und bereit sein, über einen längeren Zeitraum ihre Freizeit dafür einzusetzen. Was dem Enthusiasmus einiger weniger keinen Abbruch tut  – und das ist gut so.

Es dauert! Wird es was mit der Mainzer Bürgerbeteiligung?

Zwei Monate nach der Konstituierung des Beirats für Bürgerbeteiligung ist der neue Internetauftritt für die Mainzer Bürgerbeteiligung online. Abgeschlossene und aktuelle Beteiligungsvorhaben sind aufgelistet, der Mainzer Umweltladen wird als Meldestelle für Problemfälle genannt und das Mainzer Ehrenamtsbüro als «weitere Anlaufstelle«; wer «Projekte für die Bürgerbeteiligung« anregen möchte, findet hier Ansprechpartnerinnen. Die sogenannte Vorhabenliste, in der seitens der Verwaltung alle Planungsverfahren eingetragen werden sollen, fehlt noch. Diese Liste ist eines der wesentlichen Instrumente für eine vorausschauend-gestaltende Bürgerbeteiligung, denn: «Bei Vorhaben handelt es sich um wichtige Planungen und Projekte der Landeshauptstadt Mainz – beispielsweise in den Bereichen Stadtplanung, Bauen, Umwelt und Verkehr, Kultur, Soziales und Wirtschaft –, die das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl der Einwohnerschaft nachhaltig berühren und die in der Zuständigkeit des Stadtrats liegen.« Hier können sich Interessierte jederzeit informieren, was in ihrer direkten Umgebung, in ihrem Stadtteil und in der gesamten Stadt geplant ist, sich mit eigenen Ideen einbringen und aktiv mitwirken. Ein echter Fortschritt im Vergleich zu den gesetzlich verankerten Beteiligungsprozessen in Planungsverfahren. Voraussetzung ist allerdings, dass die zuständigen Mitarbeiter:innen in der Verwaltung es schaffen, die jeweiligen Vorhaben zeitnah in die Listen einzutragen und zu veröffentlichen. Die Details dazu sind auf vielen Seiten in den Leitlinien zur Bürgerbeteiligung aufgeführt. Damit die Verwaltung weiß, wie sie damit umgehen soll, ist ein «Handbuch zur Umsetzung« veröffentlicht worden. Laut Präambel konkretisiert es deren Ziele und Qualitätskriterien, beinhaltet Empfehlungen zu Verwaltungsabläufen in den Fachämtern und unterstützt die einheitliche Handhabung von Beteiligungsprozessen in der Verwaltung. Gut, dass daran gedacht wurde, die Verwaltung zu informieren, wie sie die neu gestaltete Bürgerbeteiligung in ihre Arbeitsabläufe integriert. Schlecht, dass eine solche Handreichung für die Bürger:innen nicht vorliegt.

Marion Diehl (SoS)