Endlich verabschiedet: Die »Leitlinien für die Bürgerbeteiligung« in Mainz.
Erinnert sich noch jemand an die Bürgerbeteiligung in Mainz zum Ausbau der Mainzelbahn? Viel Zeit verbrachten die Leitungsriege der Mainzer Verkehrsgesellschaft (heute Mainzer Mobilität) sowie Stadtvorstand und Oberbürgermeister in den Bürgerversammlungen, um den Anwohner:innen die Details zu erklären. Ziel war eine möglichst breite Unterstützung für die Straßenbahnführung durch Bretzenheim bis zum Lerchenberg – und so auch zu verhindern, dass Anwohner:innen gegen den Bau klagen. Auch die sogenannten Lu-Foren zählen zur Historie der Mainzer Bürgerbeteiligung. Wie viel Unmut manche Bürger:innen dort herausbrüllten – und das Ergebnis war spätestens Makulatur als der Investor ECE absprang.
Dann brachte 2018 ein Bürgerentscheid den Bau des »Bibelturms« zu Fall. Die Bürger:innen fühlten (!) sich von Politik und Verwaltung nicht ausreichend informiert. Es gibt weitere Beispiele für »Bürgerbeteiligung« in Mainz. Die drei genannten illustrieren aber grundlegende Ziele für künftige Beteiligungsverfahren der Einwohner:innen: Ein formaler Rahmen, in dem sachlich informiert und diskutiert wird; verbindliche Ergebnisse, die umgesetzt werden; frühzeitige Information und Einbindung der Bürgerschaft.
Keine Zeit für Grundsatzdebatten
Die »Leitlinien für die Bürgerbeteiligung«, die kürzlich vom Mainzer Stadtrat verabschiedeten wurden, sollen helfen, diese Ziele zu verwirklichen. Wie das funktionieren kann, war bereits in der »Arbeitswerkstatt Gutenbergmuseum« zu erkennen. Vorbereitet und moderiert von Fachleuten, funktionierten die Diskussionen lösungsorientiert, es blieb keine Zeit für Grundsatzdebatten. Auch die Erarbeitung der Leitlinien selbst zeigt, wo es künftig lang geht: Vertreter:innen der Verwaltung, der Politik und der Bürgerschaft diskutierten in einem paritätisch besetzten Gremium unter Leitung eines eigens dazu ausgewählten (und fachlich qualifizierten) Teams, erarbeiteten Entwürfe, die – immerhin einmal den Vertreter:innen von Bürgerinitiativen und der Öffentlichkeit – sowie den politischen Gremien des Stadtrats vorgestellt wurden, nahmen die Rückmeldungen zur Kenntnis und arbeiteten sie in den nächsten Entwurf ein – bis das Endergebnis im März 2022 vom Stadtrat verbschiedet wurde (und leider nur über das Ratsinformationssystem der Stadt Mainz abrufbar ist).
Die Verwaltung soll nun ein Umsetzungskonzept mit Standards für die verwaltungsinternen Abläufe erarbeiten und eine Geschäftsordnung für den noch einzurichtenden Beirat Bürgerbeteiligung als Begleitgremium entwickeln. Falls dieser Entwurf tatsächlich im Oktober vorliegt, könnten im November die letzten Verfahrensregeln vom Stadtrat beschlossen werden und die Leitlinien vollumfänglich zur Anwendung gelangen. Ob sie funktionieren hängt vom Engagement der Bürger:innen ab, von deren Bereitschaft, sich in der Freizeit mit komplizierten Planungsprozessen zu beschäftigen – und auch davon, die »Leitlinien für die Bürgerbeteiligung« überhaupt zu verstehen.
| SoS