Die Haltung von Politiker/-innen, genau zu wissen, was gut ist für die Bürger/-innen, ist Schnee von gestern.

Wer das nicht begreift, sollte sich als Berufspolitiker einen anderen Job suchen und als Ehrenamtspolitiker ein anderes Amt.

Diese drastisch formulierte Quintessenz resultiert aus meiner Beobachtung des ersten Mainzer Bürgerentscheids. Der sich um ein Bauwerk drehte. Nicht um etwas wirklich Essentielles, wie den Verkauf der Mainzer Wohnbau GmbH, zum Beispiel. Die Tatsache, dass mit dem Ja oder Nein eine Entscheidung für, bzw. gegen einen ersten Erweiterungsschritt des Gutenberg-Museum getroffen wurde, die ging völlig unter. Den Befürwortern des Bauwerks gelang es nicht, diesen Sachverhalt so zu verdeutlichen, dass er verstanden wurde.

Es ist schwierig zu erklären, wie ein Architektenwettbewerb funktioniert, wie der Planungsprozess eines öffentlichen Bauwerks abläuft. Zumal ein Großteil der Menschen sich erst dann einem Thema zuwendet, wenn es sie selbst betrifft. Oder, wie im Falle der »Bibelturm«-Abstimmung, wenn sie emotional angesprochen werden.

Erst als die »Bibelturm«-Gegner die Platz-Verkleinerung und den Verlust von Bäumen aufriefen, um für sich zu werben, begannen sich die Mainzer/-innen zu interessieren. Ich möchte emotionale Faktoren nicht diskreditieren. Der politische Diskurs, das Ringen um politische Kompromisse muss solche Befindlichkeiten einbinden. Auch wenn es schwerfällt das zu akzeptieren: Sachargumente wirken nicht so, wie die emotionale Ansprache. Eine seit langem bekannte Tatsache, die z.B. auch Architekten helfen kann, ihre Argumente in allgemein verständlicher Sprache zu formulieren. In den mehr als zweijährigen Diskussionen um den »Bibelturm« gab es dazu Gelegenheiten. Sie wurden nicht genutzt, um einen Großteil der Mainzer/-innen für diesen Erweiterungsschritt zu begeistern (!).

Stattdessen kristallisierte sich eine Haltung heraus, die den »Unwissenden« signalisierte, ihr habt ja keine Ahnung. Stimmt. Die meisten Mainzer/-innen hatte keine Ahnung. Bis die Gegner mit ihrer emotionalen Ansprache auftauchten. Die zudem ziemlich aggressiv wirkte. Wer die beiden Antipoden Johannes Gerster und Lars Reichow bei SWR4-Klartext erlebt hat, weiß wir sind auch in Mainz im Populisten-Sprech angekommen. Hier der »Volkstribun« Gerster, der poltert und schimpft, dort der Avantgardist Reichow, dessen Gestik und Mimik überheblich wirkt. Dazu die Sprache der »Bibelturm«-Gegner. Die auf Übertreibung, Aggressivität bis hin zu persönlicher Anmache setzt. Im offiziellen politischen Diskurs war das in Mainz bislang unüblich. Diese »Ansprache« hatte Erfolg. Sie wird Schule machen.

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