Die Personalgewinnung der Mainzer Stadtverwaltung erlebt einen »Paradigmenwechsel« bilanziert der Jahresbericht der Stadtverwaltung 2022. Was bedeutet das?

439 unbesetzte Stellen gibt es derzeit in der Stadtverwaltung. Bei einem Mitarbeiterstand von knapp 5000 klingt die Zahl nicht ganz so furchterregend. Aber: in den kommenden Jahren gehen (Stand 2020) knapp 700 Mitarbeiter:innen in den Ruhestand. Es grüßt der demographische Wandel! Mithin eine Tatsache, die lange absehbar war. Wurde nicht rechtzeitig, nicht ausreichend reagiert? Eine Frage, die Regina Franta im Raum stehen lassen muss. Die Recruiterin und Active Sourcerin arbeitet erst seit zwei Jahren in der Mainzer Stadtverwaltung. Zuvor war sie in diesen Funktionen bei diversen privaten Unternehmen weltweit tätig. 60 Stunden-Woche inklusive. Mit 56 Jahren wechselte die gebürtige Mainzerin in die Mainzer Stadtverwaltung – hier wird sie nach Tarif bezahlt, arbeitet als Angestellte 39 Stunden in der Woche und hat den Begriff Boni aus ihrem Wortschatz gestrichen.

Regina Franta skizziert die Leitmotive für die Personalgewinnung wie folgt: Zu den Zielpersonen gehören z.B. Menschen, die für »ihre« Stadt arbeiten wollen, die viel Erfahrung und Expertise in ihrem Berufsleben angesammelt haben und die nicht nur daran interessiert seien, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu verdienen.

Persönliche Ansprache

Im Wettbewerb um hohe Gehälter könne eine öffentliche Verwaltung kaum mithalten, das Korsett des TVöD (Tarifvertrag im öffentlichen Dienst) sei zu eng. Gefragt seien »neue Wege«, sagt Franta und meint damit nicht nur die Kommunikationswege. Facebook, Linkedin, XING – auf den Business-Plattformen bewegen sich alle, die händeringend Personal suchen. »Persönliche Ansprache« sei angesagt, so die Active Sourcerin, mit »Angeboten« die sich auf die Work Life Balance, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Aufstiegsmöglichkeiten in einem großen Unternehmen konzentrieren. Tatsächlich ist die Mainzer Stadtverwaltung eine der größten Arbeitgeberinnen in der Region mit 20 Ämtern und drei Eigenbetrieben, in denen vom Müllwerker bis zur Architektin, von der Verkehrsplanerin bis zum Juristen in 100 verschiedenen Berufen 4.900 Menschen aus ungefähr 60 Nationen zusammenarbeiten.

Ergänzend zu den üblichen und für eine öffentliche Verwaltung verpflichtenden Stellenanzeigen im Amtsblatt der Stadt Mainz sowie Anzeigen in Branchenmagazinen, wird die neue Ansprache in der Personalgewinnung über die Dachmarke #MachDeinsMachMainz kommuniziert. »Wir wollen keine 200 Bewerbungen, es reichen uns 20 und wenn wir zwei im persönlichen Gespräch überzeugen, bei uns zu arbeiten, haben wir unser Ziel erreicht«, sagt Franta. Klingt bescheiden. Aber: diese Bewerbungsgespräche sind aufwendig. Es gilt über die fachlichen Qualifikationen hinausgehend die individuellen Bedürfnisse und Ansprüche der Bewerber:innen zu erkennen und, im Rahmen der Möglichkeiten des TVöD, passgenaue Lösungen zu finden. Der junge Vater, der sich mit seiner Frau die Erziehungszeiten teilen will: wie kann dessen Arbeitszeit gestaltet werden, dass er seinen Job gut macht und sich um das Kind kümmern kann? »Das funktioniert nicht in allen Bereichen«, schränkt Franta ein. Z.B. sei nicht überall Homeoffice möglich, auch nicht wochenweises Arbeiten.

Der »Paradigmenwechsel« in der Personalgewinnung begann etwa 2016. Hauptamtsleiterin Diana Spengler und Martin Pitsch, Abteilungsleiter Personal im Hauptamt, bereiteten die neuen Wege vor. Mit einer umfangreichen Organisationsuntersuchung, mit Datensammlungen über Fluktuation und Krankenstand. Wo möglich wurde bereits gegengesteuert, z.B. beim BEM (Betriebliches Eingliederungsmanagement nach längerer Krankheit). Für die Bearbeitung von BEM-Fällen sei vor vier Jahren zusätzlich eine Vollzeit- und eine Teilzeitstelle geschaffen worden, erläutert Martin Pitsch und geht damit auf die Kritik ein, die Stadtverwaltung reagiere nicht auf den hohen Krankenstand unter den Mitarbeitenden. Die BEM-Fälle würden teilweise auch von den zehn Personalberater:innen bearbeitet, die sich aufgrund ihrer eigentlichen Arbeit und möglichen Zuständigkeitsüberschneidungen dem aber nicht so umfänglich widmen könnten. Einschränkend wirkten sich zudem die andauernde Personalfluktuation und Arbeitsüberlastung sowie die – auch in der Personalabteilung – zeitweise hohen Krankenstände aus.

Warum dauert das alles solange?

Zwischenzeitlich hat das Jahr 2023 begonnen. Die Landingpage #MachDeinsMachMainz ist ein knappes halbes Jahr online – und immer noch sind über 400 Stellen unbesetzt? Die Verantwortlichen in der Mainzer Verwaltung haben nicht geschlafen, stellt Ellen König, Pressesprecherin der Stadt Mainz, fest. Mainz teile das Problem, viele offene Stellen besetzen zu müssen, mit anderen Kommunen in Deutschland – und mit der freien Wirtschaft. Bauingenieure werden in der Mainzer Gebäudewirtschaft und in der Mainzer Bauverwaltung gesucht – und in der privaten Bauwirtschaft. König erinnert auch daran, dass die Stadt Mainz nach wie vor jede zusätzliche Stelle in der kommunalen Verwaltung von der ADD (Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion) genehmigen lassen muss. Außerdem könne der öffentliche Dienst nicht einfach mal so ein paar Millionen raushauen, um Mitarbeiter:innen zu gewinnen. Das Korsett des Tarifvertrags öffentlicher Dienst setzt finanzielle Grenzen – gewährt aber auch Freiräume: Sicherheit, Konstanz, beständige Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen. Das sind Kriterien, die manche und manchen inzwischen eher reizen als 500 Euro mehr im Monat und am Jahresende die Boni.

Einschränkungen für die Bürger:innen?

430 offene Stellen, davon 90 Erzieher:innen: Ist es denkbar, dass künftig die Bürger:innen auf gewohnte Dienstleistungen verzichten müssen, weil das Personal in der Verwaltung fehlt? Martin Pitsch antwortet, die Verwaltung versuche alles, die Bedürfnisse der Bürger:innen zu bedienen.

Die Personalsituation in der Stadtverwaltung

Die Stadt Mainz beschäftigt derzeit 4.874 Personen, OHNE Auszubildende, Praktikanten und Praktikantinnen oder Ehrenamtler:innen; in den kommenden fünf Jahren werden – laut Prognosen des Personalberichtes 2021 (Stand: 31.12.2020!) rund 691 Mitarbeitende ihren Ruhestand antreten.

Der Mangel an Mitarbeitenden betrifft mittlerweile alle Ämter, insbesondere: Amt für soziale Leistungen, Amt für Jugend und Familie (Kita-Personal), Kommunale Datenzentrale, Stadtplanungsamt und Gebäudewirtschaft. Ämter, in denen der Altersdurchschnitt aktuell mehr als 45 Jahre beträgt sind: Amt für Stadtforschung und nachhaltige Stadtentwicklung, Revisionsamt, Amt für Finanzen, Beteiligungen und Sport, Schulamt, Peter Cormelius-Konservatorium, Gutenberg-Museum Mainz, Naturhistorisches Museum Mainz (nhm), Bauamt und die Gebäudewirtschaft Mainz.

Besonders gefragte Berufsgruppen sind: Techniker, Ingenieure, Meister, Erziehungskräfte und Mitarbeitende im Bereich der Verwaltung. Der jährlich ansteigenden Anzahl der Einwohner:innen (von 198.055 im Jahr 2000 auf 222.879 am 15.08.2022) folgen zusätzliche Aufgaben für die Verwaltung, der Personalstamm wuchs in den vergangenen Jahren per anno um rund 250-300 Stellen. Mit dem Stellenplan 2023/2024 werden insgesamt rund 278 neue Stellen geschaffen (inkl. 19 neue Stellen der Eigenbetriebe). Das durchschnittliche Wachstum an Personal lag zuletzt, laut Personalbericht 2021, bei ca. 2 % p. a., muss jedoch nach oben angepasst werden (ca. 2,5-2,7% p.a.).

| SoS
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Fachkräfte: Die Menschen dort abholen, wo sie stehen