Der Steigerhof in Harxheim kann weitaus mehr als nur Straußwirtschaft. Zudem wird hier im Sommer dem Gast ein wunderschöner Blick über die rheinhessische Hügellandschaft geboten.
Mister X brummt unverkennbar, als er die Speisen- und Getränkekarte studiert. »Darf ich was fragen?«, flöte ich in ehrfürchtigem Tonfall zu ihm rüber. »Mhmm« brummt es zurück, »Was ist ein Orange Wein?«. Ich liebe diesen gelangweilten Blick von unten über die Brille. Als er hörbar Luft durch die Nase zieht und kurz und knapp erklärt: »Weißwein, dessen Beeren wie ein Rotwein lange auf der Maische vergoren werden und deshalb mehr Tannin und Farbstoffe abgeben. Mehr Farbe, also Orange«.
Wir sind im Steigerhof der Winzerfamilie Ackermann. Selbst für eingefleischte Städter ist das hübsche Gut leicht zu finden, an der Rheinhessenstraße, kurz, bevor die Straße steil abwärts nach Harxheim führt, weist ein prächtiger Torbogen den Weg zur Einfahrt. In den zurückliegenden Jahren haben die Ackermanns – Vater und Tochter führen das Zepter im Weinberg und im Keller – viel investiert, ein Glasvorbau verbindet den Gastraum mit der neueren Vinothek. Im Sommer bietet eine Dachterrasse mit gut 50 Plätzen einen herrlichen Blick über die rheinhessische Hügellandschaft. Heute Abend sind wir aber in der Schänke, die sich mit eher spröder Ausstattung den alten Straußwirtschaftscharme erhalten hat.
Interessante Klassiker
Das Angebot an Spundekäs, Brezelchen, Handkäs und kalter Platte sowie die Käsewürfel mit Trauben dürfen als Verbeugung vor der Gastgeber-Tradition rheinischer Weingüter verstanden werden. Wir aber sind wegen der Küchenansprüche hier, die sich weit in der Region herumgesprochen haben. Dabei ist der überbackene Ziegenkäse mit Ahornsirup auf Portweinbirne und Artischocke, den es nach Belieben als Vor- oder Hauptspeise gibt (6,80/9,80 €) ebenso schon ein Klassiker des Steigerhofs wie das panierte Kotelett vom Bodenheimer Landschwein mit geschmorten Pilze, Zwiebeln und Beilage (13,80 €), das Wiener Schnitzel, (natürlich vom Kalb, 17 €) oder das argentinische Rumpsteak mit Kräuterbutter und Beilage nach Wahl (21,80 €). Und im Herbst, das wissen die Stammgäste, gibt es Gans, in Teilen und im Ganzen. Und weil Albert Ackermann auch Jäger ist, sind Hirsch, Reh und Schwarzkittel ebenfalls gern gesehene Hauptakteure der saisonalen Wochenkarte.
»Bist Du soweit?«. Mister X trommelt mit den Fingern auf den Tisch. Na, klar doch: Ich wähle eine Kartoffel-Lauch-Suppe mit Rosmarincroutons (5,20 €) und danach eine hausgemachte Wildschweinbratwurst an Apfel-Rotkohl und Bratkartoffeln (14,10 €). Mister X entscheidet sich für eine Hühnerbrühe mit Gemüsestreifen und Fleischeinlage (4,80 €) – und statt Gänsebrust und Gänsekeule nimmt er von der Hauptkarte die vom Rivaner »geküsste« Entenbrust auf buntem süß-saurem Gemüse an Butter-basmatireis (17,50 €). »Auf eine Nachspeise verzichten wir heute mal mit Blick auf die Lockdown-Folgen auf der Hüfte«, entscheidet Mister X.
Umfangreiche Weinkarte
Die Weinkarte verrät allein schon vom Umfang her, dass wir hier in einer Gutsschänke sind. Alle Weine stammen aus dem Weingut. Für jeden, der möchte und kann, also eine willkommene Gelegenheit, die Lagen aus Harxheim und Nackenheim intensiv zu erschmecken – und wer mag, kann sich auch auf den Praxistest mit dem erwähnten Orange Wein einlassen. Mister X bestellt einen trockenen 2018-er Harxheimer Schloßberg Riesling Hochgewächs (4,80 €), ein klassischer Riesling, der auch bereits mit Auszeichnungen gewürdigt wurde. Ich entscheide mich für einen süffig-fruchtigen Gutswein, nämlich einen 2019-er Rivaner feinherb (4,40 €). Positiv anzumerken: Alle Flaschenweine werden auch glasweise angeboten, auf Wunsch sogar im führerscheinfreundlichen Piffchen.
»Guten Appetit«. Die Suppen sind da. Ich schwelge schon nach dem ersten Löffel dieser leckeren Kartoffel-Lauch-Cremesuppe, die angenehm pfeffrig daherkommt und mit den Rosmarincroutons einen knusprigen Kontrast hat. Bei Mister X geht es da ein wenig profaner zu: »Gemüsestreifen und Hühncheneinlage ok, die Brühe pikant.« Mehr Emotionen versprüht er, als er kurz darauf eine – sehr große – Entenbrust auf dem Teller vor sich sieht. Perfekt rosa gebraten, die Haut knusprig, das Ganze begleitet von frischem Schmorgemüse und glänzenden Bratkartoffeln. Einzig das Brustfleisch ist dem Meister ein wenig zu fest. Bei meiner Wildschweinbratwurst gibt es gar nichts zu meckern. Eine grobe Wurst, deren Wildheit von kundiger Hand mit kräftiger Würze gebändigt wurde, dazu ein fruchtig-mildes Rotkraut und, wie bei Mister X, nahezu perfekte Bratkartoffeln.
Reservierung empfohlen
Mittlerweile sind die Tische in den beiden Räume der Gutsschänke alle besetzt, wer jetzt noch kommt und nicht reserviert hat, kann allenfalls Glück haben und noch einen der Plätze in der benachbarten Vinothek ergattern, die sonst geschlossenen Gesellschaften zur Verfügung steht.
Mister X bemerkt, dass ich den Blick über die Nachbartische schweifen lasse. »Suchst Du was?«. Ertappt. Ich fühle, wie bei mir eine leichte Röte aufsteigt. »Na ja, ich habe gelesen, dass alle drei Töchter der Wirtsfamilie schon Weinprinzessinnen in Harxheim oder sogar für ganz Rheinhessen waren«. Der Meister ist fassungslos: »Aha, und jetzt hast Du gehofft, dass eine der Majestäten sich persönlich um Dein Wohlergehen kümmert? Ich schlage vor, ich zahle und geleite Dich dann persönlich zu meiner Kutsche draußen auf dem Parkplatz«.
| Lou Kul
ESSEN | 7,5 |
TRINKEN | 7,5 |
SERVICE | 7,5 |
AMBIENTE | 7,0 |
PREIS/LEISTUNG | 8,0 |
GESAMT | 37,5 : 5 = 7,5 KAPPEN |
Fazit
Der Steigerhof in Harxheim bewegt sich mit seiner Gutsschänke geschmackssicher in der Grauzone zwischen Straußwirtschaft und den ambitionierten Ansprüchen eines Restaurants. Mit ihren Klassikern auf der Hauptkarte hat die Küche längst ein Stammpublikum gebunden, die stets aktuelle Wochenkarte setzt in Ergänzung dazu saisonale und regionale Glanzlichter. Das ist für ein Weingut, das 20 Hektar Rebfläche bewirtschaftet, die beste Grundlage, um sein reichhaltiges Angebot passend zum Essen zu präsentieren. Dies alles zu sehr vernünftigen Preisen.
Die Schoppenweine bewegen sich zwischen drei Euro und 4,60 €. Für Lagenweine kostet das Glas bis zu 5,20 € für einen 2018-er Grauburgunder Orange oder 5,50 € für einen auch international ausgezeichneten 2015-er Cabernet Mitos aus dem Barrique. Und Hauptspeisen sind im Steigerhof schon um zehn Euro zu haben. Den aufmerksamen und freundlichen Service gibt es obendrein. Wer sich noch mehr Appetit anlesen möchte: Die gepflegte Internetseite der Ackermanns ist mit den aktuellen Angeboten stets auf dem Laufenden.