Im Restaurant »Wingert Wein- und Esskultur« in Ingelheim zelebriert Küchenchef Elvir Boloban sein Faible. Bei aller Kunstfertigkeit kann aber auch schon mal die eine oder andere Zutat vergessen werden.

Ingelheim hat sich mächtig gemacht. Hochmoderne, attraktive Architektur kann heute dort bewundert werden, wo früher städtebauliche Tristesse dominierte. Und so ist es ein Vergnügen, auf der Terrasse des neuen Restaurants »Wingert Wein- und Esskultur« zu sitzen und den Blick auf das Ensemble aus Rathaus, großer Freitreppe, großzügig angelegtem Fridtjof-Nansen-Platz sowie Kultur- und Kongresshalle zu genießen. Letztere könnte – mit ein wenig Phantasie – eine kleine Ausgabe der Hamburger Elbphilharmonie sein. Bei all diesem Genuss ist die sehenswerte Stätte auch noch bestens mit dem Auto zu erreichen. Das hell illuminierte Parkhaus unter dem Platz bietet reichlich Parkraum gegen un­fassbar niedrige Gebühr. Hier haben die städtischen Entscheider wohl all ihre Intuition spielen lassen, um Geschäften und Kunden optimale Bedingungen zu bieten.

Wir haben Glück an diesem Diens­tagnachmittag. Das Wetter hält, lediglich ein paar Regentropfen fallen gegen Ende unseres Besuchs herab, was aber unter den großen Schirmen auf der Terrasse des Restaurants nicht ins Gewicht fällt. Die weibliche Bedienung erweist sich als pfiffig und kontert unsere kleine Beschwerde, dass die tatsächliche Speisekarte der im Internet in einigen Positionen nicht entspreche, mit Charme, Witz und guten Argumenten.



Attraktive Linguini-Kreation

Mister X bestellt zunächst die Steinpilz-Trüffel-Linguini mit Parmesan, Nussbutter und frischem Eigelb als Vorspeiseportion. Als reguläre Hauptspeise kostet dieses Gericht 17 Euro. »Das Eidotter auf der Pasta lässt eine Anmutung von Carbonara aufkommen. Bei den Steinpilzen bin ich mir nicht sicher, ob sie frisch oder getrocknet verwendet wurden. Das Trüffelöl über den Nudeln macht sich ausgesprochen gut. Ein attraktives Gericht.« Was hier etwas stakkatomäßig erscheint, ist eindeutig Zuspruch. Gut, dass wir alle Mister X‘ unnachahmliche Art kennen.

Unsere Begleiterin wählt als Vorspeise das Bunte-Bete-Carpaccio zu 9 Euro. In feinen gelben und roten Scheiben liegt die Bete auf dem Teller, begleitet von Ziegenkäse-Crumble und altem Balsamico. Dekorative lila Blüten sind die ersten Boten, die auf die Leidenschaft von Küchenchef Elvir Boloban hinweisen: Er ist diplomierter Wildkräutersommelier und lebt dieses Faible, wie sich bei folgenden Speisen zeigen wird, in vollen Zügen aus. Unsere Tischgesellin vermutet, dass es sich bei den Blüten auf ihrem Teller um Zaun-Wicke handeln könnte.

Zudem findet sich noch eine schwarze, ein wenig krümelige Paste auf dem Teller, die süßlich-salzig schmeckt und sich auf Nachfrage als eine Olivencreme entpuppt. »Die Bete sind roh und mengenmäßig recht überschaubar«, bringt unsere Tischnachbarin Kritik an.

Riesiger kleiner Handkäs-Salat

Meine Vorspeise ist tadellos. Es ist der »Kleine Handkäs-Salat« (7 Euro), der eher als gutgemeint-mächtige Portion aufgetragen wird. Hier wird Handkäs in extrem kreativer Form zelebriert, mit Rotweinzwiebeln, Kümmel und – etwas zu viel – Apfelstückchen und Walnüssen. Obenauf liegt ein Zweiglein, das wie Dill aussieht, aber nicht so schmeckt. Die schwarze Olivenpaste ist ebenfalls mit von der Partie, des Weiteren eine kleine lilafarbene Gewürzstaude. Das beigelegte Bauernkrustenbrot schmeckt köstlich.

Nun widmet sich Mister X dem Hauptgang – Wiener Schnitzel von der Landmetzgerei Dobroschke mit lauwarmem Kartoffelsalat, eingelegten Gartengurken und frittierten Kapern (21 Euro). Das Fleisch sei tipptopp, die Panade erstklassig luftig, höre ich meinen immerwährenden Begleiter urteilen. Allerdings ist von den Gartengurken und den Kapern weit und breit keine Spur. Nach X‘ Reklamation bedauert die Servicekraft das Manko zutiefst und bringt eine bisher nicht gekannte Gurken-Creme-Kreation. Die Kapern bleiben derweil verschwunden.

Auf Zutatensuche begibt sich zwangsläufig auch die Dame in unserer Gesellschaft. Bei dem Spinat-Parmesan-Serviettenknödel fehlen der avisierte Käse und die versprochenen Steinpilze. »Darüber hinaus finde ich, dass der Sa­lat durchaus hätte angemacht sein dürfen«, lautet ein weiterer Kritikpunkt. Dafür sind aber die angekündigten eingelegten Cranberries und der Schmand vorhanden. Das Mahl wird mit 14 Euro berechnet.

Mein Kichererbsencurry mit Jasmin-Duftreis, sehr vielen Erdnüssen, Koriander und Kokos erscheint als mächtige Portion, die ich – zumal nach dem Berg Handkäs – beim besten Willen nicht schaffe. Geschmacklich ist das 14-Euro-Gericht solide, aber kein Aufreger.

Die aufmerksame Bedienung hat durchaus wahrgenommen, dass wir summasummarum nicht ganz zufrieden sind. Sie meldet dies in der Küche, und prompt kommt der Chef zu uns an den Tisch. Es entwickelt sich ein sympathisches Gespräch, in dessen Verlauf wir erfahren, dass der Gastronom heute managementmäßig ordentlich unter Druck steht und nicht alles so im Blick haben kann, wie es üblicherweise der Fall ist. Wir akzeptieren das und wünschen dem im Aufbau befindlichen Restaurantprojekt die Zukunft, die sich Elvir Boloban vorstellt.
| Lou Kull

ESSEN7,5
TRINKEN7,5
SERVICE8,0
AMBIENTE8,0
PREIS/LEISTUNG7,5
GESAMT38,5 : 5 = 7,7 KAPPEN

FAZIT

»Wingert Wein- und Esskultur« zeigt spannende Ansätze mit recht hohen Ansprüchen von Seiten des Küchenchefs, die noch nicht durchgängig verwirklicht werden. Aber wir denken, dass Elvir Boloban, der zuvor in renommierten Häusern gearbeitet hat, seine Ziele erreichen kann. Die Weinkarte ist gut bestückt mit Kreszenzen der Ingelheimer Weingüter Arndt F. Werner, Wasem, Bettenheimer, Mett & Weidenbach sowie Fleischmann aus Gau-Algesheim, Seebrich aus Nierstein und Anette Closheim von der Nahe (Langenlonsheim).

Wingert Wein- und Esskultur
Fridtjof-Nansen-Platz 3
55218 Ingelheim
Tel. 0 61 32 / 4220106
hallo@wingert-ingelheim.de
www.wingert-ingelheim.de
Öffnungszeiten:
Di bis Fr 17 bis 23 Uhr
Sa und So 12 bis 23 Uhr