Der MAINZER im Gespräch mit Bo Svensson, dem neuen Trainer des 1. FSV Mainz 05.

Bo Svensson, seit Anfang des Jahres Trainer der ersten Mannschaft des FSV Mainz 05, sprach im Juli mit unserem Sportredakteur über seine Arbeit mit den Mainzer Profis. Das Interview fand »Corona-gerecht« in einer Trainingspause online statt.

Unser Interview-Gast kam 2007, nach einer kurzen Zwischenstation in Gladbach, vom FC Kopenhagen nach Mainz, spielte hier 122 Pflichtpartien für die Profis und war anschließend ab 2015 Jugendtrainer. 2019 wechselte er zu dem »Red Bull-Club« FC Liefering nach Österreich, kam aber schon zum Jahreswechsel 2020/21 wieder zurück: als neuer Coach der Profis. Auf Anhieb gelang ihm das »Wunder von Mainz«: er führte das fast vollständig abgeschlagene Team noch auf einen Nichtabstiegsplatz.

DER MAINZER: Herr Svensson, als Sie 2019 mit einem Vertrag bis 2023 zum FC Liefering gewechselt sind gab es eine Ausstiegsklausel nur für den Fall einer Rückkehr zu Mainz 05 – jeweils zum Saisonende. Ihre Familie ist in Mainz geblieben. Das klingt nach einem Plan. Hatten Sie von Anfang an damit gerechnet, wieder nach Mainz zurückkehren zu können? Waren Sie quasi nur »auf Abruf« in Österreich?
Bo Svensson: Das hört sich zwar nach einem Plan an, die Klausel wurde aber nicht auf meinen Wunsch hinzugefügt. Sie wurde von den Vereinen ausgemacht. Meine Familie ist hiergeblieben, weil Mainz die Basis ihres Lebens ist. Das Fußball-Leben ist zeitweise schnelllebig – ich wollte nicht vorschnell alle Wurzeln abbrechen und die Familie mit nach Österreich nehmen.

Sie hatten ja von Österreich aus bestimmt immer ein Auge auf den FSV gehabt. Haben Sie Ende des letzten Jahres, während der dramatischen Talfahrt des Vereins damit gerechnet, dass eine Anfrage kommen könnte – waren Sie also schon innerlich vorbereitet als man an Sie herangetreten ist?
Es ist klar, dass man nach zwölf Jahren Kontakt behält. Ich schaue auch immer noch, was der FC Kopenhagen macht. Aber nein: Ich war nicht auf eine solche Anfrage vorbereitet und habe auch nicht damit spekuliert. Nach meiner Unterschrift in Österreich hatte ich eher damit gerechnet, dass meine Trainer-Karriere woanders weiter geht.

Mussten Sie lange überlegen?
Ja, ich musste schon einige Zeit überlegen. Ich war in Salzburg an einem guten Ort – das hat bei Red Bull alles bestens funktioniert. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt. In Mainz war die allgemeine Situation im Verein zu diesem Zeitpunkt nicht so gut, da hat einiges nicht gestimmt. Ich habe mir aber zugetraut, mit meinen Ideen und den Prioritäten, die ich als Trainer und Mensch setze, dazu beitragen zu können, die Dinge wieder in eine positive Richtung zu verändern. Ich habe allerdings schon einige Tage gebraucht, um das alles zu sortieren. Es war keine einfache Ent­scheidung.

Ihre Familie hat sich bestimmt gefreut?
Das war eben das Einzige was in Salzburg nicht optimal war: die Familie nur einmal in der Woche zu sehen. Ich habe ja nicht eine Frau und drei Kinder, um 600 km von ihnen entfernt zu wohnen. Das war natürlich auch ein Grund für meine Entscheidung – neben der beruflichen Herausforderung.



Die nächste Frage hat man Ihnen sicherlich schon oft gestellt. Als Sie nach Mainz kamen, was haben Sie für realistischer ge­halten: Klassen­erhalt oder Abstieg und anschließender Aufstiegskampf in der Saison 2021/22?
In diesen Kategorien habe ich nie gedacht: Mir ging es primär darum, hier etwas Neues aufzubauen, die Identität zu stärken, auch mittelfristig etwas zu erreichen. Etwas aufbauen, was auch dann noch Bestand hat, wenn der Trainer nicht mehr Bo Svensson heißt. Das ist für mich immer noch das Hauptziel. Natürlich macht es auch mehr Spaß, Spiele zu gewinnen und nicht abzusteigen.

Sie haben dann – gemeinsam mit dem Team – etwas geschafft, was in den Medien oft als »Wunder von Mainz« bezeichnet wird. Gibt es ein bestimmtes Ereignis, einen bestimmten Umstand, der für dieses »Wunder« ausschlaggebend war? Oder war es ein Zusammenspiel vieler Komponenten?
Das ist die 1 Million Euro-Frage: Was ist genau das Gewürz, das ich hier rein gemacht habe, damit das Gericht schmeckt? Ich kann das nur so sagen: Ich bin wie ich bin als Mensch, ich sehe das Fußballgeschäft in einer bestimmten Art und das habe ich versucht umzusetzen. Das hat dann gut funktioniert. Ich will den Fußball vermitteln, von dem ich denke, dass ihn Mainz 05 spielen soll – ich finde es wichtig, dass eine Mannschaft top funktioniert. Es gibt 1000 Dinge, für die ich stehe – und die habe ich reingebracht. Ich bin gekommen und habe versucht das vorzuleben, an das ich glaube. Etwas anderes wäre auch nicht authentisch.

In der Hinrunde ein Abstiegskandidat, in der Rückrunde eines der stärksten Teams. Hätte Mainz 05 bereits in der Hinrunde so stark gepunktet wie in der Rückrunde unter Ihnen, hätte das Team die Saison auf Platz vier abgeschlossen und hätte in der Champions League gespielt. Ein verrücktes Gedankenspiel, das aber dadurch gestützt wird, dass wir am letzten Spieltag beim Champions League-Teilnehmer Wolfsburg gewonnen haben. Erzeugt das nicht einen großen Druck auf Sie und das Team: »Mit Svensson punkten wir auch in der nächsten Saison so weiter – und Europa ist nahe«…
Ich weiß nicht, ob man das in Mainz erwartet, aber selbst wenn es so wäre, würde das meinen Job nicht beeinflussen. Wenn Fußball nur Mathe wäre, dann wäre er auch einfacher. Ich kann keine Punkte garantieren – das wollte ich nicht am ersten Tag und kann es auch heute nicht. Ich kann aber versprechen, dass ich jeden Tag daran arbeite, dem Team alles zu vermitteln, an das ich glaube. Wir werden wieder eine geile Mannschaft haben, bei der viel über das Kollektiv kommt. Eine Mannschaft, bei der die Leute ins Stadion gehen und sagen »Vielleicht gewinnen sie nicht, aber die Spieler kommen auf den Platz und hauen alles raus.« Ob das für die Champions League oder nur für 15. Platz reicht, werden wir sehen – wie immer bei Mainz.

Bis zur letzten Saison galt in Mainz die Devise: Wir sind ein »Ausbildungsverein«. Damit verbunden war eine hohe Fluktuation unserer jeweils besten Spieler. Täuscht der Eindruck, dass sich das unter der neuen Führung etwas ändert?
Man muss immer sehen, wo sich Mainz in der Fußballwelt befindet. Wir haben Konkurrenten, die über wesentlich mehr finanzielle Mittel verfügen. Der FSV spielt jetzt in der 13. Saison ununterbrochen in der ersten Liga. Wenn man daneben sieht, wieviel große Clubs in der zweiten Liga spielen, ist das eine Leistung, die nicht zu unterschätzen ist. Ich höre den Begriff »Ausbildungsverein« nicht so gerne. Ich nenne uns lieber einen »Weiterbildungsverein«. Wir wollen alle unsere Spieler weiterbilden, besser machen – ganz egal ob sie 18, 26 oder – wie Ádám Szalai – 33 Jahre alt sind. Und natürlich müssen wir mit dem einen oder anderen auch Geld verdienen. Wir verlangen viel von den Spielern, müssen aber auch viel von uns selbst verlangen, um ihnen eine gute Entwicklung zu ermöglichen.

 

 

Schaut man sich die aktuellen Transfers des Vereins an überwiegen die Abgänge – darunter auch bekannte Namen wie Pierre Kunde, Danny Latza, Phillipp Mwene, Levin Öztunali, Robert Glatzel. Neu im Kader sind inzwischen der frühere Bielefelder Anderson Lucoqui, 24 Jahre, 1,80 groß, der nach eigener Aussage am liebsten links in der 5er Kette spielt aber sich auch für alle anderen Positionen nicht zu schade ist. Inzwischen ist Mainz 05 auch für die Position eines rechten Verteidigers fündig geworden: Silvan Widmer vom FC Basel, 28 Jahre,1,83 groß hat einen Vertrag bis 30.06.2024 unterschrieben. Jetzt besteht eigentlich nur noch Handlungsbedarf im Angriff. Mainz 05 ist bekannt dafür, dass in seinem Umfeld keine Transfergerüchte entstehen. Daher nur ganz allgemein gefragt: Wird es noch Zugänge geben, oder glauben Sie, dass sie mit dem jetzt aktuellen Kader ihre Ziele in der nächsten Saison erreichen?
Ich glaube sehr stark noch an Zugänge. Es sind noch sechs Wochen bis zum ersten Spiel und zwei Monate, bis sich das Transferfenster schließt. Natürlich werden noch Spieler kommen – ganz klar.

Bei der Frage nach dem Saisonziel hat man in den vergangenen Jahren von den Verantwortlichen des Vereins immer nur eine Antwort bekommen: »Klassenerhalt«. Ist das in dieser Saison auch wieder so? Anders gefragt: Was wollen bzw. können Sie mit dieser Mannschaft in den nächsten Jahren erreichen?
»Klassenerhalt« hörst du bei den meisten Mannschaften, außer bei den ganz großen. Ich will es jetzt nicht nur auf »Klassenerhalt« reduzieren. Es gibt Dinge, die sind wichtiger für uns: Das ist die Identität, die Art, wie wir uns präsentieren wollen, auf das sich die Zuschauer verlassen können, wenn sie sich eines unserer Spiele anschauen. Das ist unser Hauptziel. Wir wollen uns aber natürlich auch fußballerisch weiter verbessern.

Sie waren 18 Monate in Österreich. An meisten hat Ihnen dort, wie Sie eben schon sagten, die Familie gefehlt. Haben Sie in dieser Zeit auch etwas von der Stadt Mainz vermisst?
Ich wohne in Gonsenheim und den ganzen Stadtteil habe ich vermisst; beispielsweise die Spaziergänge mit meinen beiden Hunden durch den Gonsenheimer Wald. Ich genieße es aber auch, in die Stadt zu fahren, am Rheinufer zu sitzen oder auf dem Domplatz einen Kaffee zu trinken. Am meisten haben mir aber die Leute gefehlt, mit denen ich immer sehr gut klar kam. Diese gewisse Gelassenheit, die die Mainzerinnen und Mainzer mitbringen; dass man einige Dinge des Lebens nicht allzu ernst nehmen soll; dass man auch mal selbstironisch mit sich umgeht. Diese Gelassenheit passt auch gut zu mir, weil ich selbst so bin.

Mit der Fastnacht haben sie sich also auch angefreundet?
Ja, ich habe mich nur in den ersten Jahren etwas schwer damit getan. Heute finde ich es aber komisch, wenn man da nicht voll daran teilnimmt.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Svensson. Wir wünschen Ihnen und der Mannschaft viel Erfolg in der neuen Saison!

| MDL

 

Mainz 05: Volker Kersting im Interview