Mehr Parkplätze? Mehr Aufenthaltsqualität? Umweltfreundlich? Klimaneutral? Fahrradschutzstreifen? Tempo 20? Wie wird die Mainzer Innenstadt attraktiv?

Vieraugengespräche sind das Eine. Laut und deutlich zum Mitschreiben seine Meinung zu äußern, ist etwas ganz anderes. Diese Erfahrung machen auch Journalist:innen immer wieder. Gleich, ob sie mit Vertreter:innen aus Wirtschaft oder Politik sprechen. So haben wir beim MAINZER in den vergangenen Jahren häufig Stimmen zu hören bekommen, die vehement gegen die Reduzierung von Parkplätzen in der Mainzer Innenstadt wetterten. Bis wir mit Block und Stift oder Aufnahmegerät ankamen. Dann war Sendepause. Klar ist aber, die Erreichbarkeit von Geschäften in der Mainzer Innenstadt spielt eine wichtige Rolle, geht es um den Umsatz, den diese Geschäfte generieren wollen und geht es darum, wie die Mainzer Innenstadt insgesamt attrativ wird.

Attraktive Mainzer Innenstadt für Alle?

Ein Thema, das schon vor der Corona-Pandemie die Gemüter bewegte und jetzt erst recht. Ursprünglich wollten wir die »Mehr-Parkplatz-auf-der-Straße-Fraktion« im Gespräch mit denjenigen, die Parkplätze umwandeln wollen in für alle nutzbare Räume, zusammenbringen. Die erst genannte Position wollte aber niemand öffentlich vertreten. Wir haben deshalb das Konzept geändert: Welche konkreten Ideen und Vorschläge haben diejenigen, die mit Handel und Dienstleistungen in der Mainzer Innenstadt Geld verdienen?
Friedrich Demmler, Mitinhaber von Kinderladen Wirth, ist ein mehrfach leidgeprüfter Fach-Einzelhändler. Er ertrug mit seinem Fachgeschäft die Umbaumaßnahmen der Bahnhofstraße, der Großen Langgasse und seit zwei Jahren den Umbau des Münsterplatzes mit Großer Bleiche und Schillerstraße. Ertragen heißt, die Erreichbarkeit seines Geschäftes Ecke Münsterplatz und Große Bleiche war und ist durch die Bauarbeiten immer wieder eingeschränkt. Seit Beginn der Corona-Pandemie spielt die physische Erreichbarkeit allerdings eine untergeordnete Rolle. Nicht nur deshalb hat Wirth, der Kinderladen seine Online-Präsenz ausgeweitet und liefert die Waren im Stadtbereich per VeloCarrier an die Kundschaft aus.

Den Bogen überspannt?

Wie kann der Mainzer Innenstadthandel in diesen Pandemie-belasteten Zeiten wieder angekurbelt werden, Herr Demmler, wollte der MAINZER wissen. Und: Welche Rolle spielt dabei die physische Erreichbarkeit der Facheinzelhandelsgeschäfte? Brauchen wir mehr Parkplätze in der Innenstadt, damit die Mainzer Innenstadt attraktiv wird? Am Telefon erläutert Friedrich Demmler seine Sicht der Dinge.
Mit Frau Eder sei er in Sachen Umgestaltung der Innenstadt und Förderung des Radverkehrs weitgehend einig gewesen, sagt Demmler. Allerdings habe die Ex-Verkehrsdezernentin den Bogen auch manchmal überspannt. Zum Beispiel in der Gärtnergasse. Die Radspur dort sei sinnlos. Ständig zugeparkt von denjenigen, die »kurz« in den Geschäften und Imbissen etwas holen wollten (siehe Foto). Warum hier nicht Tempo 20 einführen, fragt Demmler. Dafür die Fahrradstreifen entfernen. Dazu noch ein paar Ladezonen zum Be- und Entladen, ein, zwei Kurzzeitparkplätze. Fertig. Denn die Radler:innen bräuchten bei Tempo 20 keine eigene Spur.
Ein solches System sollte, ginge es nach Friedrich Demmler, auf den zentralen Innenstadt-Bereich ausgeweitet werden. Radler:innen in den fließenden Verkehr, kein Fahrzeug fährt schneller als 20 km/h. Demmler ist selbst häufig mit dem E-Bike unterwegs, macht beim Stadtradeln mit und schreibt der Verkehrsverwaltung, wo es Nachbesserungsbedarf für die Sicherheit von Radler:innen gibt.

Genügend Parkraum?

Kurzzeitparkplätze, schön und gut – und was machen diejenigen, die länger in der Stadt unterwegs sein wollen, aber nicht mit dem ÖPNV kommen wollen, Herr Demmler? Es gebe genügend Parkraum in den Mainzer Parkhäusern und die seien alle fußläufig gut zu erreichen, sagt Demmler. Ausnahme: das Bleichenviertel. Hier könne aber der Bau eines kleinen Parkhauses im Hof der ehemaligen Hauptpost Abhilfe schaffen. Und: es müsse dringend an einem Park-and-Ride-System gearbeitet werden. Parkflächen außerhalb der Innenstadt wie am Pariser Tor, am Gleisdreieck, an der Opel-Arena sollten mit einem eigenen Bus-System an die Innenstadt angebunden werden.
»Anfangen sollte man mit selbstfahrenden E-Bussen vom City-Port Bahnhof West über Schillerplatz, Langgasse und zurück, im 5-8 Minutentakt.« In ein solches System sollten die Subventionen fließen, die zur Reduzierung der Pandemie-Folgen von Land und Bund für die Attraktivitätssteigerung der Innenstädte zur Verfügung gestellt werden. Auch ein umweltfreundliches Logistik-System müsse mit diesen Staatshilfen etabliert werden. »Es braucht eine Stützung der Konversion zu umweltgerechten Logistik-Systemen, die unsere Fußgängerzonen nicht zuparken und auch noch die Luft verpesten.«

Mit dem ÖPNV in die Stadt?

Demmler glaubt nicht daran, dass kurz- bis mittelfristig ein beträchtlicher Teil der Menschen bereit ist, mit dem ÖPNV in die Stadt zu kommen. »Wer aus dem Umland in die Stadt will, fährt mit seinem Auto soweit es möglich ist.« Abholen, im Wortsinne ließen sich die Menschen aber vielleicht am Park and Ride Platz mit kleinen selbstfahrenden E-Fahrzeugen – die schon den Anschein verbreiten, regelmäßig vorbei zu kommen. Mit diesem System ließen sich auch die beträchtlichen Entfernungen innerhalb des verzweigten Mainzer Fußgängerzonen-Systems, das immerhin von der Hinteren Bleiche bis zum Bahnhof Römisches Theater reicht, überwinden. Der Fahrpreis müsse ins Parkticket integriert sein und: »die Handeltreibenden in der Stadt, wie auch die öffentliche Hand müssen zur Finanzierung eines solchen Systems ihren Beitrag leisten.“ Demmler sagt, er zahle ja auch für die „Parken aufs Haus-Gutscheine«, die er seiner Kundschaft in die Hand drückt, damit sie weniger Parkgebühr zahlen müssen. Dieser Betrag könne ebenso in das Hol- und Bring-System investiert werden. Was sich langfristig sicherlich mehr auszahle für jeden Einzelhändler, jede Einzelhändlerin. Generell hält der Kinderladen-Chef nicht viel von direkten Subventionen: Anstelle von Direktzahlungen wäre es sinnvoller, in die Systeme zu investieren, von denen die Handeltreibenden profitieren: Mobilität und Logistik. Wie kommt die Kundschaft ins Geschäft und wie kommen die Waren zur Kundschaft? Und das alles so umweltfreundlich, wie technisch möglich.

Liefergebühren Sponsoring?

Demmler benutzt hier den Begriff »Sponsoring«, denn »sehr geholfen hat im Winter beim klimaneutralen Transport der Aussendungen über die VeloCarrier, das Sponsoring der Sparkasse Mainz für die Mainzer Geschäfte mittels MAINZgebracht, was nun ausgelaufen ist.« Das bedeutet, Wirth, der Kinderladen zahlt jetzt über VeloCarrier 5,60 € pro Lieferung im Innenstadtbereich, 7,80 € im Nahbereich und 11,80 € in den Stadtrand-Bereich. Diese Kosten können nicht der Kundschaft in Rechnung gestellt werden. Nach Ansicht Demmlers wäre ein 50-Prozent-Sponsoring für die Lieferkosten nötig.
Kurz gefasst – Friedrich Demmlers Vorschläge: Durchgängige Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h in der zentralen Mainzer Innenstadt von Kaiserstraße bis Römisches Theater und vom Aliceplatz bis zum Flachsmarkt; Beseitigung aller Radfahrschutzstreifen in diesem Bereich; Einrichtung von Ladezonen, Ausweis von Kurzzeitparkplätzen; Einrichtung von Park and Ride-Plätzen in Verbindung mit einem Shuttle-System; staatliche Beteiligung an umweltfreundlichen Transport-Systemen.

SoS/Marion Diehl