Michael Ebling (SPD), 2012 erstmals als Mainzer Oberbürgermeister gewählt, schaffte 2019 die Wiederwahl in der Stichwahl gegen den parteilosen Nino Haase. Zwei Themen aus seinem Wahlkampf, die Stadtwache und der Wohnungsbau, erörterten wir im Interview.

Dieser Amtsantritt passt in diese Zeit: Michael Ebling tritt am 18. April 2020 seine zweite Amtszeit als Oberbürgermeister von Mainz an. Ohne Feierlichkeiten. Die ursprünglich dafür vorgesehene Sondersitzung des Stadtrats wurde abgesagt – wie fast alles, in diesen Zeiten.

In «Woche Eins des Corona-Ausnahmezustands» sitzen wir, weit voneinander entfernt, am großen Konferenztisch in der MAINZER-Redaktion. Der alte und neue Oberbürgermeister nutzt ein kleines Zeitfenster, um einen Blick auf seine zweite Amtszeit zu werfen. Denn: Die Zeit wird kommen, in der wir nicht mehr rund um die Uhr mit Corona und der Anpassung unseres Alltagslebens beschäftigt sein werden. Die städtische Verwaltung funktioniert, politische Entscheidungen müssen getroffen werden. Für jetzt und für später.

Herr Ebling, Sie hatten im OB-Wahlkampf 2019 angekündigt, in Mainz eine «Stadtwache» einrichten zu wollen. Warum braucht es das?

Ebling: »Die Stadtwache soll Anlaufstelle für die Bürger/-innen sein, die Arbeit des Zentralen Vollzugs- und Ermittlungsdienstes ZVE sichtbarer machen. Unser gesellschaftliches Leben erfordert Rücksichtnahme und die Einhaltung von Regeln, wir müssen das Schutzbedürfnis der Menschen beachten und – auch der Lebensfreude Grenzen setzen, in dem wir auf die Einhaltung von Regeln drängen. Dazu gehört, dass wir die personelle Stärkung des ZVE fortsetzen.

Die Ordnungskräfte sollen im Stadtbild sichtbar sein und auch als Zivilstreifen kontrollieren. Hinzu kommt der Eigenschutz des ZVE: bei Großveranstaltungen wie dem Marktfrühstück müssen sie zu viert unterwegs sein, die Respektlosigkeit gegenüber Ordnungskräften betrifft auch den ZVE, weshalb wir im Verbund mit anderen Städten in Rheinland-Pfalz eine Gesetzesänderung des Landes erreichen wollen: Auch kommunale Ordnungskräfte sollen mit Bodycams ausgestattet werden dürfen, um sich selbst schützen zu können.«

Im März 2021, also in einem Jahr ist schon die nächste Landtagswahl: Ist es realistisch, dass eine solche Gesetzesänderung noch in dieser Legislaturperiode erfolgt?

»Wir sind guter Dinge – Sie wissen, ich bin ein grundsätzlicher Optimist – aber wir wollen bis zum Ende des Jahres noch erreichen, dass das Polizei- und Ordnungsbehördengesetz des Landes geändert wird, damit wir unsere Ordnungskräfte mit Bodycams ausstatten können.«

Ordnungsdezernentin Matz äußerte sich vor einigen Wochen im MAINZER-Interview zur Anzahl der Mitarbeitenden im ZVE mit dem Satz «Wir kommen zurecht.» Sie sagen nun, die Anzahl der Mitarbeitenden solle weiter erhöht werden?

»Die Ordnungskräfte sollen im Stadtbild präsenter sein, der ZVE ist 24 Stunden am Tag im Einsatz – übrigens sind wir die einzige Kommune in Rheinland-Pfalz, in der das der Fall ist – wir wollen mehr und häufigere Zivilstreifen einsetzen, dann wird es auf Sicht eine weitere Aufstockung, ich denke auf 50 ZVE-Mitarbeitende, geben müssen. Gerade die Zivilstreifen sind erforderlich, damit die Menschen merken, wenn sie sich daneben benehmen, hat das sofort Konsequenzen.«

Wann kommt die Stadtwache, Herr Ebling?

»Wir haben zwei Standorte in der Innenstadt ins Auge gefasst – die wir aber noch nicht verraten – bis Ende des Jahres wird es eine Entscheidung geben. Aber: die derzeitigen Umstände können dazu führen, dass wir solche Entscheidungen hintenanstellen müssen.«

Die Stadtwache
Michael Ebling hatte im OB-Wahlkampf 2019 gegenüber dem MAINZER kundgetan, eine »Stadtwache« in der Innenstadt einrichten zu wollen, um den Zentralen Vollzugs- und Ermittlungsdienst ZVE sichtbarer zu machen. Der ZVE, dem Standes- Rechts- und Ordnungsamt zugeordnet, hat viele Aufgaben: er geht Beschwerden über Lärm nach, kontrolliert freilaufende Hunde, verhängt Verwarnungsgelder gegen Passanten, die ihren Müll fallen lassen, und kann im Gefahrenfalle die Einweisung in Psychiatrische Einrichtungen veranlassen. Wiesbaden hat seit April 2018 eine »Innenstadt­wache der Stadtpolizei«, die in der Mauritiusgalerie 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche besetzt ist und als ein ständiger Anlaufpunkt für alle Sicherheitsfragen in Wiesbaden gilt.

Wohnungsbau

Wohnen – es war ihr großes Thema im Wahlkampf 2019. Bis 2025 werden in Mainz 5.500 neue Wohnungen gebaut, davon sind 950 Wohnungen sozial gefördert. Reicht das, damit Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen in Mainz ihre Miete bezahlen können?

»Ich möchte hier einen Blick zurück werfen. Der sozial geförderte Wohnungsbau lag Anfangs der 2000er Jahre am Boden, wir hatten hier null sozial geförderten Wohnungsbau – immerhin haben wir nun die Trendwende eingeleitet. Sozialen Wohnungsbau können wir nur dort durchsetzen, wo wir über städtebauliche Verträge mitentscheiden können, so wie im Heilig Kreuz-Viertel. Bei privaten Bauvorhaben haben wir keine Möglichkeit, 25 % sozial geförderten Wohnungsbau durchzusetzen – aber es gibt Bauträger, wie am Hildegardis-Krankenhaus, die von sich aus der 25 %-Regelung zustimmen.«

Apropos 25 % Regelung: warum setzen Sie, bzw. der Stadtrat nicht die Quote höher? Sie könnten in diesen Baugebieten doch auch 35% oder 45 % sozial geförderten Wohnungsbau durchsetzen?

»Wir denken beim Bauen auch daran, dass in zehn, zwanzig Jahren das, was heute gebaut wird von den Menschen noch akzeptiert wird und wir haben aus der Vergangenheit gelernt, dass es Sinn macht, Wohngebiete zu durchmischen. Niemand würde heute mehr ein Wohnquartier mit überwiegend Sozialwohnungen umsetzten wollen.«

Sie hatten, um langfristig mehr Wohnraum schaffen zu können in Mainz, vorgeschlagen, einen neuen Stadtteil zu bauen. Ist das angesichts des Klimawandels überhaupt noch zu vertreten?

»Das Rhein-Main-Gebiet, dazu gehört auch Mainz, ist eines der prosperierenden Gebiete in Europa. Das können wir nicht aufhalten, aber wir können darauf eine regionale Antwort liefern. Wir haben die Zusammenarbeit in Rheinhessen intensiviert, sind Mitglied in der FrankfurtRheinMain GmbH – alles mit dem Ziel, das Wachstum der Region gemeinsam zu planen – und nachhaltig. Fridays for Future war ein Weckruf, wir müssen in unserer Entwicklung die klimatischen Folgen mitdenken und entsprechend handeln. Aber das müssen wir mit wirtschaftlichem Erfolg und mit sozialer Gerechtigkeit verbinden.

Außerdem wird nicht nur Mainz wachsen müssen, auch die Umlandgemeinden und dabei wird der dörfliche Charakter in Frage gestellt werden, auch in den Umlandgemeinden wird es Geschosswohnungsbau geben müssen, um den Menschen Wohnraum anbieten zu können.«

Sie wollen die Gemeinderäte in den rheinhessischen Gemeinden davon überzeugen, Baugebiete auszuweisen, in denen nicht nur Einfamilienhäuser stehen sollen?

»Wir setzen auf die Kraft der Überzeugung bei denjenigen, die einsehen, dass es auf Dauer nicht anders gehen wird. Wir sehen ja im Bereich Verkehr und Mobilität, da bewegt sich einiges, es wird mehr miteinander geplant, die umliegenden Gemeinden wollen an den städtischen ÖPNV angeschlossen werden und ÖPNV-Anbindungen sind ein Wachstumsmotor für die Wohnraumentwicklung. Die Bevölkerung in den Umlandgemeinden wird zunehmen, also braucht es dort mehr Wohnraum – auch Geschosswohnungsbau.«

Wo ist nun in Mainz eine Fläche, auf der künftiger Wohnungsbau möglich wäre – unter Berücksichtigung der Frischluftschneisen sowie anderer Naturschutz- und Umweltauflagen?

»Nach dem klassischen Fünffinger-Prinzip, dem Mainzer Stadtentwicklungsprinzip aus den 70er Jahren, das zwischen den fünf Fingern der Bebauung immer Abstände für den Luftaustausch, für die Frischluft-Schneisen vorsieht – und an dem wir auch nicht rütteln werden – liegt immer noch ein Entwicklungs-Potenzial von Hechtsheim in Richtung Ebersheim. Aber neue Entwicklungsgebiete entstehen nicht, weil ich sie ausrufe.

Wir werden in den nächsten Jahren von klugen Menschen, die sich damit auskennen, untersuchen lassen, wo wir in Mainz Potenziale haben für Wohnen und Gewerbe – und hier werden wir klar die regionalen Dimensionen, die Wohnraumschaffung in dem Gemeinden um Mainz herum mit einbeziehen.«

Herr Ebling, das klingt alles sehr durchdacht, sehr langfristig – bezahlbare Wohnungen werden aber jetzt gebraucht. Was sagen Sie Menschen, die z.B. in Ihrer Sprechstunde von Ihnen fordern, dafür zu sorgen, dass sie eine bezahlbare Wohnung bekommen?

»Ich erlebe dabei anrührende und berührende Situationen, denen ich mich auch persönlich nicht entziehen kann, gar nicht entziehen will. Dann muss ich erklären, was wir vorhaben, dass Bauen und Stadtentwicklung langfristige Angelegenheiten sind, auch dass wir gegen Kräfte wie die Wohnungsspekulation angehen müssen – die wir aber nur beeinflussen können, in dem wir über den Marktmechanismus, Erhöhung des Wohnungsangebots, gegensteuern.«

| SoS

 

Oberbürgermeisterwahl: Sicher ist, es wird ein Mann