Viele Infos, viele Zahlen, emotionale Wortgefechte, Schuldzuweisungen: Die Debatte um die Sanierung des Mainzer Rathauses erscheint wie die Inszenierung eines Dramas. DER MAINZER dokumentiert Auszüge aus dem Drehbuch.

Der Generalplaner agn hat zwischen Juni 2016 und November 2017 drei Varianten zur Sanierung am alten Standort erarbeitet, abgeleitet aus dem Ideenwettbewerb 2014, der Bürgerbeteiligung und Planungswerkstatt 2015 und eigenen Vorschlägen 2016.

Nun liegen die »Bestandsvariante« (das Bestehende wird erneuert), die »Vorzugsvariante« (mit grundlegenden Eingriffen in die Geschoss- und Raumaufteilung) und die »Konsensvariante« (eine Mischung aus Bestands- und Vorzugsvariante) zur Entscheidung vor; in allen drei Varianten wird die Technik komplett erneuert, die Fassade saniert (alte Platten runter und durch neue ersetzt); dabei müssen auch die Wände »angefasst« werden, die direkt hinter der Fassade liegen; die Fassadengitter sollen nachgebaut und wieder angebracht werden; Fenster zum Öffnen mit Lichtschutzglas werden eingebaut.

Die Vorzugs- und Konsensvariante geifen einen Teil der Wünsche der Bürgerschaft wie der Fraktionen auf, darunter ein zweistöckiges Bürgerforum mit Großer Galerie (was die Denkmalschützer als zu starken Eingriff in den Denkmalschutz ablehnen), Verlagerung und Neubau der Kantine mit Öffnung zur Rheinfront und Neuaufteilung der Büros. Ein Neubau wäre laut Wirtschaftlichkeitsberechnung, ohne Grundstückskosten 15 Mio. € teurer als eine Sanierung; außerdem würde ein Neubau wegen der Gremienberatungen, der Bürgerbeteiligung, der Architektenwettbewerbe, der europaweiten Ausschreibungen für Generalplanung und Bauleistungen sehr lange dauern – es bestünde die Gefahr, dass der marode »Fuchsbau« zwischenzeitlich geräumt werden müsste.

Alternativen

1. Schloss/Allianz-Haus: 2015 hatte die CDU vorgeschlagen, die bisher im Rathaus angesiedelten Teile der Verwaltung in das Kurfürstliche Schloss und in einen Neubau im Bereich der Großen Bleiche zu verlagern (Allianz-Haus) und den Arne-Jacobsen-Bau an einen Investor zu verkaufen; den Vorschlag brachte die CDU am 15. 7.15 in den Stadtrat ein und forderte, beide Rathausstandorte (Arne-Jacobsen-Bau und Schloss/Allianz-Haus) zeitgleich zu untersuchen; die Stadtratsmehrheit von SPD, Grünen und FDP lehnte dies ab und beschloss stattdessen, das bisherige Rathausgebäude weiter zu beplanen und den CDU-Vorschlag lediglich durch eine Machbarkeitsstudie zu prüfen. Bei dieser kam heraus, dass eine Sanierung des Arne-Jacobsen-Baus sinnvoller sei; eine Begründung lautete, das Schloss könne nur 13% der Verwaltung aufnehmen.

2. Umzug in die Große Bleiche: die ehemaligen Flächen der Westdeutschen Immobilienbank und Teilflächen der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) wurden als Alternative zur Sanierung im November 2017 vorgestellt; die Aareal Estate AG hat der Stadt das Gebäude für circa 20 Mio. € zum Kauf oder für jährlich 1,2 Mio. € zur Miete angeboten; da nur 9.000 qm Fläche für die Verwaltung zur Verfügung stehen, müssten für etwa 500.000 €/Jahr zuzüglich Nebenkosten weitere Flächen für die Verwaltung angemietet werden, plus Tagungs-Räume für Stadtrat und Ausschüsse.

Kosten

600.000 € zahlt die Stadt pro Jahr für Strom im Rathaus. Nicht teurer als 50 Mio. € dürfe die Sanierung laut Stadtratsbeschluss von 2015 werden; die CDU hielt den Deckel für völlig unrealistisch; November 2017: Oberbürgermeister Ebling nennt nun 60 Mio. € – die nicht zu halten sein werden, sagt der Sanierungsbeauftragte Graffé.

Die »Bestandsvariante« ist mit 58,035 Mio. € beziffert, die »Vorzugsvariante« mit 60,956 Mio. € und die »Konsensvariante« mit 59.661 Mio. €.; eine Reihe von Kosten sind unklar, bzw. nicht beziffert; das detaillierte Leistungsverzeichnis mit allen Kostenstellen wird den Stadträten nur in nicht-öffentlichen Sitzungen zur Verfügung gestellt; egal ob 60 oder 80 Mio. € für die Sanierung veranschlagt werden, 10 % der jeweiligen Bausumme müssen zusätzlich einkalkuliert werden für »Unvorhergesehenes«.

60% der Sanierungskosten können über den Landeshauptstadtansatz finanziert werden und die Stadt könne den Rest stemmen, ohne, dass andere Investitionen zurückgestellt werden müssten, sagt der Oberbürgermeister – und Finanzdezernent Günter Beck sieht das genauso.

Kostenrisiken:

a) Schadstoffe und deren Entsorgung; bekannt sind aufgrund der gutachterlich festgestellten Belastungen und Schäden für die Schadstoffbeseitigung Mehrkosten in Höhe von 3 Mio. € im Vergleich zu 2015; es ist nicht auszuschließen, dass noch mehr oder neue Schadstoffe auftauchen und entsorgt werden müssen;
b) Denkmalschutz: 3,9 Mio. €, müssen in den Austausch der Natursteinfassade und 3,3 Mio. €, in die architektonisch prägende Gitterfassade investiert werden; es könnten weitere Denkmalschutzauflagen hinzu kommen;
c) Zeit: die Baukosten steigen pro Jahr um fast 3 %.

Wie weiter?

In der ersten Hälfte 2018 will OB Ebling eine endgültige Entscheidung durch den Stadtrat: Sanierung oder Umzug; die Aareal Bank als Eigentümer der Immobilie Große Bleiche hält ihr Angebot bis 06/18 aufrecht; Ende November 2017 nimmt der Stadtrat die Vorschläge des Generalplaners agn zur Kenntnis; im Dezember sollen in Sitzungen weitere Fragen der Stadtratsmitglieder beantwortet werden; im Januar 2018 könnte der Stadtrat über den Bürgerentscheid zur Rathaussanierung beschließen; der könnte mit dem Bürgerentscheid zum »Bibelturm« an einem Tag im ersten Quartal 2018 stattfinden; stimmt die Mehrheit der Wahlberechtigten der Sanierung zu, könnte der Stadtrat bis Juni 2018 den Beschluss zur Sanierung fassen; dann braucht es sechs Monate bis zur Genehmigungsfähigkeit (Absprachen mit den Denkmalschutzbehörden, Beantragung der Landesgelder, Baugenehmigung), dann sechs Monate Ausführungsplanung: frühestens Mitte/Ende 2019 könnte die Sanierung beginnen – realistischer ist Anfang 2020.

Bürgerentscheid

OB Ebling will eine »breite Mehrheit« für die Entscheidung Sanierung oder Umzug. Die Stadtratsmehrheit von SPD/GRÜNE/FDP scheint ihm nicht zu reichen, also schlägt er einen Bürgerentscheid vor; die CDU will dem Antrag nicht zustimmen; auch andere Fraktionsmitglieder haben Vorbehalte geäußert (DER MAINZER wird die Frage, »Bürgerentscheid Ja oder nein?« in der Januar 2018-Ausgabe ausführlicher diskutieren).

Rathaus-Tiefgarage

Die Sanierung der Rathaus-Tiefgarage muss von der Stadttochter Parken in Mainz GmbH bezahlt werden; das Sanierungskonzept kann erst erarbeitet werden, wenn das Sanierungskonzept für das Rathaus fertig ist; Grund: die Frischluft der Tiefgarage wird durch die Abluft des Rathauses gespeist; wird diese Zufuhr gekappt, muss die Frischluftzufuhr in der Tiefgarage neu geplant werden.

Offene Fragen (eine Auswahl)

Wer würde das Rathaus kaufen?
Stehen an den Verwaltungsstandorten Zitadelle und Stadthaus ebenfalls Sanierungen an? Wie viel werden die kosten?
Wäre eine »Entwidmung« als Denkmal möglich? Könnten so die Kosten für Denkmalschutzauflagen begrenzt werden?
Warum wird bei einer Generalsanierung der Keller nicht hochwassersicher gemacht?
Hinweis: Die o.g. Infos stammen aus der Pressekonferenz vom 14.11.17, der gemeinsamen Sitzung von Haupt- und Personalausschuss, sowie Ortsbeirat Altstadt am 22.11.17, Rückfragen an die CDU-Frak­tion und die Mainzer Pressestelle.

| SoS

Kommentar

Zu beneiden sind sie nicht, die Stadtratsmitglieder. Sie sollen eine Entscheidung treffen, für die Un­mengen an Daten und Fakten zu verstehen und zu hinterfragen sind. Eine »einfache« Gegenüberstellung der tatsächlichen Kosten von Sanierung, Neubau und Umzug gibt es nicht. Kann es nicht geben, so das Mantra derjenigen, die sich hauptberuflich damit beschäftigen und die politische Entscheidung herbeiführen müssen. Würden sich alle Stadtratsmitglieder, die fachlich in der Lage sind, die technischen Fragen und die Zahlenwerke zu analysieren, zusammensetzen und ihr Wissen mit- und unter­einander austauschen, müsste eine qualifizierte und vor allem sachorientierte Entscheidung der Ehrenamtler möglich sein. Schließlich geht es um das Geld der Bürger. Die Chancen, dass es dazu kommt, sind nicht gut. Politisches Kalkül hat Vorrang. Der Oberbürgermeister will eine breite Mehrheit für eine Entscheidung; das impliziert, entweder die größte Oppositionsfraktion im Stadtrat stimmt ebenfalls der Sanierung zu oder die Bürger müssen ran. Ebling will sich nicht im Kommunalwahlkampf 2019 und im daran anschließenden Oberbürgermeister-Wahlkampf vorwerfen lassen, er ziehe auf Kosten der Bürger eine Sanierung durch, die aufgrund der Unwägbarkeiten teurer werden kann, als angekündigt. Die CDU will sich nicht die Chance entgehen lassen, den OB und die Rot-Grün-Gelbe-Mehrheit genau damit zu konfrontieren. Verweigert sich die CDU, sollen die Bürger/-innen die »breite Mehrheit« liefern. Warum auch nicht. Seit Jahren fordern wir mehr Mitsprache. Nur: aufgrund welcher faktischen Grundlage sollen die Bürger entscheiden? Reichen die (öffentlich zugänglichen) Infos? Wer versteht sie? Wie viele Bürger/innen nehmen sich die Zeit, um sich sachorientiert auseinanderzusetzen? Es wird wohl zu einer Bauchentscheidung kommen: Wer den Arne-Jacobsen-Bau mag, stimmt für die Sanierung; wer ihn nicht mag, stimmt für einen Umzug. | SoS