Das Weinhaus Bluhm in der Mainzer Altstadt existierte jahrzehntelang mit einfachster Kost.
Nun präsentiert Pierre Stadelmann bodenständige Gerichte mit kulinarischem Anspruch.
Mister X ist ein wenig unruhig, als wir durch die Mainzer Altstadt schlendern und uns dem Weinhaus Bluhm in der Badergasse unweit der Augustinerstraße nähern: »Bin echt gespannt, was der Pierre Stadelmann nach seiner Zeit im ‚Templer‘ in der Kapuzinerstraße und im ‚Chez Pierre‘ in Klein-Winternheim aus dem Weinhaus Bluhm gemacht hat.« Die Stirn in Falten gelegt, denkt er offensichtlich an den Shitstorm, der sich im vergangenen Jahr entladen hatte, als bekannt wurde, dass der Mietvertrag der bisherigen Betreiberfamilie nicht verlängert wird. »Der Pierre ist im Zuge dieses unwürdigen Spiels völlig zu Unrecht in die Schusslinie geraten. Aber anscheinend haben sich die Wogen ja geglättet«, setzt mich Mister X in Kenntnis über die Hintergründe.
Als wir um die Ecke biegen, eröffnet sich ein pittoresker Anblick. Da stehen einige Biertischgarnitur-ähnliche Tisch-Sitzbänke-Arrangements im Kleinformat vor dem historischen Fachwerkhaus, frohgemute Menschen chillen sich nach getaner Arbeit in den Feierabend. Beim Blick nach drinnen zeigen die beiden Gasträume Bestzustand. Burgunderrote Sitzbezüge und sehr gut harmonierendes dunkles Holz vermitteln den Eindruck, dass hier mit Behutsamkeit renoviert wurde, ohne dass der klassische Weinhaus-Charakter verloren ging.
Wir wählen zwei Plätze draußen in der Abendsonne. Binnen kurzer Zeit ist die komplette Weinhaus-Besetzung wechselweise bei uns am Tisch: zunächst ein freundlicher, weinaffiner Kellner, sodann seine charmante Kollegin, die hohen Weinsachverstand an den Tag legt. Dann erscheint Stadelmanns Tochter Murielle, die ihren Vater in der Küche tatkräftig und kreativ unterstützt. Und schließlich zeigt sich der Chef persönlich auf seine unnachahmliche Art, die das französische Deutsch derart kultiviert, dass man es gerade noch verstehen kann.
Pfiffige Wein-Aktion
Vorweg sei angemerkt, dass sich die Stadelmanns für die Zusammenstellung ihrer Weinkarte eine ganz besondere Aktion ausgedacht haben. In Kooperation mit der rheinhessischen Weinkönigin und dem Deutschen Weininstitut wurden 144 Weine ausschließlich von Winzern unter 35 Jahren verkostet. 14 Kreszenzen schafften es aufs Bluhm-Tableau, das aus individuellen, alles andere als langweiligen Tropfen zusammengesetzt sein sollte. Diese Strategie hat offensichtlich zum Erfolg geführt: Alle von uns probierten Weine sind erstklassig, positiv eigenwillig und bezahlbar.
Im Einzelnen kommen in unsere Gläser: eine fruchtige Cuvée aus Riesling, Scheurebe und Gewürztraminer vom Espenhof in Flonheim-Uffhofen (0,2 Liter zu 5,90 Euro, Flasche: 17,40 Euro) – der perfekte Sommer-Terrassenwein; ein veritabler, sehr sortentypischer Grauburgunder (6/17,50 Euro), ebenfalls aus dem Keller der Familie Espenschied; ein Riesling vom Weingut Frey (5/16,50 Euro), den eine raffinierte Nussigkeit zur Besonderheit macht; Hesslocher Grüner Silvaner aus dem Hause Dackermann (5,50/16,70 Euro), auch dieser Wein originär und charakteristisch. Der Spätburgunder vom Osthofener Weingut Steinmühle (5,50/17 Euro) und die rote, dezent tanninbetonte Assemblage aus Cabernet Sauvignon und Merlot von Frey (7,50/19 Euro) erfreuen uns nicht minder. Die Flaschenweine sind übrigens absolut fair kalkuliert: Einkaufspreis plus 12 Euro »Korkengeld«.
Zum Essen. Die Speisekarte ist bewusst rheinhessisch formuliert. Ich transskribiere das einfach mal ins Schriftdeutsch, der besseren Lesbarkeit halber. Mister X wählt zunächst das Klassische Rinder-Tatar (180 Gramm, 16,90 Euro), das aus bestem Biofleisch von einem Betrieb aus der Region stammt. »Dieses Tatar ist von hochwertiger Fleischqualität und kreativ gestaltet. Das geöffnete Wachtel-Ei obenauf, die Rote-Bete-Scheibe darunter, Kapern und gerollte Sardellchen passen superb«, spricht Mister X und ist’s zufrieden. Ich labe mich derweil an original bretonischen Sardinen in der Dose (8,90 Euro), die im Zusammenspiel mit Kapern, Minitomaten, Perlzwiebel, einem Thymianzweig, hervorragendem Gewürzsalz und gutem Schwarzbrot eine schön anzusehende und schmackhafte Einheit bilden.
Legendäre Fischsuppe
Danach lässt sich X auf »Pierre’s legendäre Fischsuppe« ein. »17,50 Euro sind gutes Geld, aber ich denke, diese Kreation ist’s wert«, urteilt mein immerwährender Begleiter. »Den Teller dominiert eine Langustine, dreierlei Fisch, Miesmuscheln sowie leider ein wenig verkochte Jakobsmuscheln ergänzen das Gericht, zu dem eine Rouille gereicht wird«, konstatiert Mister X und zeigt sich wiederum zufrieden.
Geschmacklich und optisch regelrecht entzückt bin ich nun von »Murielle’s saftigem Hackbraten vom Weiderind« (14,50 Euro), der auf Kartoffelstampf ruht und von einem deliziösen Burgundersößchen begleitet wird. Der Spitzkohl on top passt ebenfalls bestens.
Mister X bekommt jetzt vollkommen entspannte Gesichtszüge: »Gut, dass wir das neue Weinhaus Bluhm ausprobiert haben. Pierre hat seine Küche noch einen großen Schritt nach vorne gebracht. Die eher einfachen Gerichte werden von ihm und seiner Tocher Murielle optimal in Szene gesetzt. Die natürliche Liaison zwischen Rheinhessen und Frankreich funktioniert hier prächtig.« Bevor X vor Überschwang zerfließt, gebe ausnahmsweise ich das Zeichen zum Aufbruch.
Fazit:
Das Weinhaus Bluhm hat eine neue Dimension erreicht. Wo es zuvor einfachste Kost zum Wein gab, wird nun kompetent der Kochlöffel geschwungen. Pierre und Murielle Stadelmann haben das Lokal in kürzester Zeit zum Anziehungspunkt wein- und essenbegeisterter Menschen gemacht. Die Weinkarte basiert auf einer ungewöhnlichen Aktion, auf die ein Gastronom erst mal kommen muss. Aber auch andere Getränke suchen auf den Karten des Gastgewerbes ihresgleichen: Fentimans Rosen-Ingwer-Limonade und Ginger Beer, Rince Cochons blondes Starkbier oder das Grand-Cru-Bier La Goulade. Die Stimmung im Bluhm ist vollkommen entspannt – summa summarum ein Hort des Wohlbefindens. | Lou Kull
ESSEN | 8,5 |
TRINKEN | 8,0 |
SERVICE | 8,0 |
AMBIENTE | 8,0 |
PREIS/LEISTUNG | 8,0 |
GESAMT | 40,5 : 5 = 8,1 KAPPEN |
Weinhaus Bluhm
Badergasse 1
55116 Mainz
Tel. 0 61 31 / 490 63 43
www.weinhaus-bluhm.de
Öffnungszeiten:
Di bis Do 16-23 Uhr
Fr 16 -24 Uhr, Sa 12-24 Uhr
So 16-23 Uhr, Mo Ruhetag