Bei den Kommunalwahlen im Juni 2024 werden sie wieder direkt gewählt, die Mitglieder der 15 Mainzer Ortsbeiräte und die Ortsvorsteher:innen; seit Jahren fordern sie mehr Kompetenzen: Warum?
Ein abstraktes Thema – einerseits: die Kompetenzen, Mitwirkungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der Mainzer Ortsbeiräte (OBR) und der 15 Ortsvorsteher:innen (OVR) in Mainz. Abstrakt, denn die Grundlagen deren Arbeit sind in der Gemeindeordnung eng gesteckt, die Sitzungen folgen formalen Regeln, bis die Entscheidungen umgesetzt sind, vergeht oft viel Zeit und manche Probleme in einem Stadtteil können weder OBR noch OVR lösen, weil andere politische Gremien, wie der Stadtrat zuständig sind oder Bundes- und Landesgesetze die kommunale Lösung ausschließen. Gar nicht abstrakt ist die Tatsache, dass die OBR und OVR bei Kommunalwahlen direkt gewählt werden. Macht es Sinn, Ortsbeiratsmitglieder und Ortsvorsteher:innen zu wählen, wenn die eh kaum etwas zu entscheiden haben?
Zum Foto oben: Mitreden wollen Ortsbeiräte z.B. auch bei Standortentscheidungen für Veranstaltungen – hier das Mainzer Marktfrühstück, das in den Beritt des Ortsbeirats Altstadt fällt.
Keine Informationspflicht für Mainzer Ortsbeiräte
Seit dem die OBR und OVR direkt gewählt werden können, gab es verschiedene Bestrebungen deren Kompetenzen zu erweitern. Laut § 75 der Gemeindeordnung (GemO) hat der Ortsbeirat «die Belange des Ortsbezirks in der Gemeinde zu wahren und die Gemeindeorgane durch Beratung, Anregung und Mitgestaltung zu unterstützen.« Er ist «zu allen wichtigen Fragen, die den Ortsbezirk berühren, vor der Beschlußfassung des Gemeinderats zu hören. Dem Ortsbeirat können bestimmte auf den Ortsbezirk bezogene Aufgaben wie einem Ausschuß des Gemeinderats übertragen werden.«
Aus dieser Bestimmung lässt sich ein Informationsgebot der Verwaltung gegenüber OBR und Ortsvorsteher:innen ableiten – allerdings keine Informationspflicht. Die wiederum könnte in der Hauptsatzung einer Kommune verankert werden. Die Mainzer Hauptsatzung enthält nichts dergleichen. Um die Gemeindeordnung zu ändern, braucht es eine Mehrheit im Landtag; um die Hauptsatzung zu ändern, braucht es eine Mehrheit im Stadtrat. Aktuell sind weder im RLP-Landtag noch im Mainzer Stadtrat solche Bestrebungen zu erkennen.
Kompetenzerweiterungen aushandeln
Was bleibt? Zwischen Oberbürgermeister als Chef der Verwaltung und OBR sowie OVR können Kompetenzerweiterungen ausgehandelt und vom Stadtrat verabschiedet werden. So geschehen 2011 unter dem damaligen Oberbürgermeister Jens Beutel. Eine Arbeitsgruppe erarbeitete einige Kompetenzerweiterungen für die OBR und OVR. Damals ging es z.B. um die frühzeitige Information von OBR bei Bauvorhaben in ihrem Stadtteil, die Bereitstellung von Haushaltsmitteln, über die OVR eigenständig bestimmen können, die Unterrichtung der OVR über Vorhaben der Dezernenten und Dezernentinnen (seither gibt es die jährliche Zusammenkunft des Oberbürgermeisters mit den OVR), über ein Antragsrecht für OVR im Stadtrat (seither gibt es den Tagesordnungspunkt «Anregungen aus den OBR in den Stadtratssitzungen). Ob und wie alle damals getroffenen Vereinbarungen umgesetzt wurden, ist nicht nachvollziehbar, eine Evaluation nicht bekannt.
Das Thema verschwand in der politischen Versenkung, auch wenn die ÖDP im Ortsbeirat Marienborn immer wieder entsprechende Anträge formulierte und z.B. im Dezember 2019 die Verwaltung bat, in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe Maßnahmen zu entwickeln, «um die Kompetenzen der Ortsbeiräte zu erweitern sowie die jährliche finanzielle Ausstattung deutlich zu verbessern, damit die Gremien vor Ort in eigener Verantwortung Verbesserungen für ihren jeweiligen Ortsteil vornehmen können.«
Anfragen sind das A und O für die Mainzer Ortsbeiräte
Es dauerte zwei weitere Jahre, bis Ex-Oberbürgermeister Michael Ebling aktiv wurde, allerdings nicht im Sinne von Kompetenzerweiterungen. Der SPD-Politiker wollte die Anzahl der Anfragen seitens der OBR an die Verwaltung begrenzen, da die Verwaltung mit der Bearbeitung und Beantwortung nicht mehr nachkomme. Solche Anfragen sind das A und O für die Arbeit der Ortsbeiräte und der Ortsvorsteher:innen: Wo soll ein neues Gebäude errichtet, wo ein Fahrradweg gebaut, wo eine Kita geplant werden. Aufgrund der Infos können Mitglieder der OBR ihre Vorort-Kenntnisse in die Planungsprozesse einbringen. Voraussetzung ist, die Verwaltung beantwortet frühzeitig und umfassend die Fragen. Das funktionierte aber schon seit einer geraumen Weile nicht mehr hinreichend.
Im Oktober 2021 vereinbarte Ebling mit den Sprechern der Ortsvorsteher:innen ein Konsenspapier, in dem u.a. für ein Probejahr «ein Gesamtbudget von 300 Beschlüssen (dies entspricht einer Richtzahl von 20 Beschlüssen pro Jahr und Ortsbeirat), für die ein schriftlicher Sachstandsbericht von der Verwaltung erarbeitet wird« vereinbart wurde.
Kompetenzen der Mainzer Ortsbeiräte ein Wahlkampfthema
Dann wurde es erneut still um das Thema, bis der parteilose Nino Haase in seinem Wahlkampf 2022 ankündigte, die Ortsbeiräte stärken zu wollen. In seiner Antrittsrede bezeichnete Haase die Ortsbeiräte sogar als »Keimzelle der Demokratie«. Und dann? Bekannt ist, Nino Haase hat sich im April 2023 mit den Ortsvorsteher:innen getroffen und sich bei einigen Ortsbeiräten bereits persönlich vorgestellt. Weitere Treffen mit den Ortsvorsteher:innen und einen Erfahrungs- und Meinungsaustausch mit den 194 Mitgliedern der Ortsbeiräte im Herbst 2023 sind möglich. Worum es den OBR aktuell geht, illustriert die «Wunschliste« der CDU im OBR HaMü: gewünscht werden z.B. Fortbildungen, die Erhöhung der digitalen Kompetenz, die Stärkung der Ortsverwaltungen im Personal- und Technikbereich, die Gestaltung der Information bei wichtigen Vorhaben im Ortsbezirk. Darüber hinaus geht es aber auch um strukturelle Änderungen, wie die Autorin in Gesprächen mit den Ortsvorsteher:innen aus der Altstadt, Bretzenheim und aus Marienborn: Brian Huck (GRÜNE), Claudius Moseler (ÖDP) und Claudia Siebner (CDU) erfuhr. Konkret wurde erörtert:
1. Was sollte in der Zusammenarbeit zwischen OBR, OVR und Verwaltung besser werden?
Brian Huck identifiziert als «strukturelle Probleme«: zu späte oder gar keine Information, häufige Klein-Klein-Planung ohne Blick aufs Ganze, Ping-Pong-Spiel der Zuständigkeiten, endlose Verschleppungen, schlechte Qualität der Antworten auf Anfragen, schleppende Bearbeitung der Anträge mit wenigen konkreten Erfolgen; Huck meint außerdem, die Verwaltung betrachte die Ortsbeiräte in Bauangelegenheiten als «unbeteiligte Dritte«, denn laut Hauptsatzung der Stadt sei der Bauausschuss das zuständige Entscheidungsgremium.
Der Altstadt-Ortsvorsteher regt an: »Gerade in der Altstadt wäre es wichtig, wenn wir im Ortsbeirat mehr auf dem Laufenden gehalten werden würden, z.B. über die Verhandlungen zum städtebaulichen Vertrag der Ludwigsstraße. Stattdessen hören wir immer wieder, dass wir »zu gegebener Zeit« informiert würden — die Erfahrung zeigt, dass das erst stattfindet, wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind und die Beschlussfassung im Stadtrat kurz bevor steht. Das ist keine frühzeitige Einbindung.«
Auch Claudius Moseler bemängelt den Informationsfluss: «Die Ortsbeiräte sowie die Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher müssen über sämtliche Entwicklungen im Stadtteil rechtzeitig informiert werden. Deshalb dürfen z.B. Ortsbeiräte im Gremienverlauf nicht erst am Ende beteiligt werden.« Der Marienborner Ortsvorsteher regt an: »Die jeweiligen Ortsbeiräte brauchen in der Verwaltung eine/n festen Ansprechpartner/in, der/die sich um die entsprechenden Anliegen, Anfragen und Probleme kümmert.«
Claudia Siebner findet, die Zusammenarbeit funktioniere an vielen Stellen gut. Sie bemängelt aber, dass die Verwaltung nicht so aufgestellt ist und nicht so kommuniziert, wie es von einer modernen und professionellen Verwaltung erwartet werden könne und wie sie es aus anderen Städten kennt. Siebner meint, im Zeitalter von Smartphone und Messenger Diensten müsse es möglich sein, mit Amtsleiter:innen und anderen Verwaltungsmitarbeitenden schnell und unkompliziert z.B. einen Termin für ein Telefonat oder eine Besprechung vereinbaren zu können – der kurze Draht, wie sie es nennt, funktioniere aber oft nicht, zumal die Ortsvorsteher:innen nicht rund um die Uhr erreichbar seien, denn neben ihrer Teilzeittätigkeit als Ortsvorsteher:innen hätten sie noch andere Jobs. Im Unterschied zu Huck und Moseler erkennt Siebner ein Informationsgebot der Verwaltung gegenüber OBR und Ortsvorsteher:innen aus § 75 der Gemeindeordnung: «Wenn wir die Gemeindeordnung ernst nehmen und wieder zu den Verfahren kommen, mit denen wir seit der Direktwahl der OBR und Ortsvorsteher:innen gut gefahren sind, dann ist das in Ordnung.«
2. Was kann der Oberbürgermeister zu einer besseren Zusammenarbeit beitragen?
Brian Huck: Für Anfragen und Beschlüsse, die in seinem Zuständigkeitsbereich fallen, kann er direkt dafür sorgen, dass sie informativ und zügig bearbeitet werden. Er kann auch auf die Dezernentinnen und Dezernenten im Stadtvorstand einwirken, dass sie so verfahren. Der OB kann auch anordnen, dass uns die Fachämter mit Informationen versorgen. Bei seinem Vorgänger haben wir leider das Gegenteil erlebt, z.B. im Zusammenhang mit dem Zufahrtsschutzkonzept, bei dem der Ex-Oberbürgermeister angeordnet hatte, dass das aus Sicherheitsgründen noch nicht einmal in den nichtöffentlichen Sitzungen diskutiert werden durfte. Zumindest in diesem Punkt spüre ich in den vergangenen Wochen eine Wende, glücklicherweise.
Claudius Moseler: Der Oberbürgermeister muss einen respektvollen und konstruktiven Umgang und Dialog mit den Ortsbeiräten pflegen. Dies tut OB Haase bereits. Dies muss aber für die gesamte Verwaltung sowie die Dezernentinnen und Dezernenten gelten. Außerdem kann der OB als Chef der Verwaltung dafür sorgen, dass die Arbeitsbedingungen für Ortsvorsteher:innen sowie für die Ortsbeiratsmitglieder verbessert werden, z.B. ein verbessertes Ratsinformationssystem mit Nachvollziehbarkeit des Bearbeitungsstandes von Anträgen und Beschlussvorlagen sowie auch I-Pads für Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher verknüpft mit der Stadt.Mainz-E-Mail-Adresse. Darüber hinaus muss er die Debatte für mehr Kompetenzen der Ortsbeiräte konstruktiv unterstützen. Moseler schlägt zudem vor, in jedem Dezernat eine-n Verantwortliche-n für die Beantwortung von OBR-Anfragen zu benennen, damit die Antworten nicht so lange dauern.
Claudia Siebner sieht OB Haase auf dem richtigen Weg: Er habe die Beschränkungen zur Anzahl von Anfragen, die Ebling erlassen hatte wieder aufgehoben. «Mit der Rückführung dessen, was der Ex-OB angeordnet hatte, bin ich nicht unzufrieden.« Er habe die Nöte der OBR erkannt, war bereits in Sitzungen einiger OBR und wolle auch wiederkommen.
Marion Diehl/SoS