Die 5-Tage-Innenstadt

Bäckereien schließen, Metzgereien auch und als Grund wird (wie so oft) der Arbeitskräftemangel genannt. Das ist nun seit Monaten ein Dauerthema, fast keine Dienstleistungsbranche, die nicht mit Sorgen in die Zukunft schaut, weil die offenen Stellen nicht mehr besetzt werden können. Wie soll unsere Innenstadt mit vielfältigen Angeboten erhalten oder verbessert werden, wenn immer mehr Geschäftsleute aufgeben, weil ihnen das Personal fehlt?

Ich versuche nun schon seit einiger Zeit zu verstehen, wie es zu dieser Entwicklung kommt. Zurzeit leben in Deutschland 84,3 Millionen Menschen, so viele wie nie zuvor. Die Stadt Mainz hat 221.321 Einwohner, die ihren Hauptwohnsitz hier haben, auch eine Rekordzahl.
Selbstverständlich hat der Bereich Bildung auch starken Einfluss auf das Arbeitsmarktangebot. Kürzlich habe ich gelesen, dass fast die Hälfte der jungen Menschen heute Abitur machen, vor 30 Jahren waren es nicht einmal 20 %. Dass Abiturienten nicht das Berufsziel haben Bäckereifachverkäufer/in zu werden, verstehe ich.

Teilzeit statt Vollzeit

Es scheint jedoch eine Entwicklung in unserer Gesellschaft, in unserer Stadt zu geben, die dem Arbeitsmarkt Arbeitszeit entzieht. Als ich zum ersten Mal davon gelesen habe, dass in unserem Land und auch in unserer Stadt fast jeder dritte Beschäftigte weniger als Vollzeit arbeitet, konnte ich es fast nicht glauben. Für mich war Teilzeit bisher immer verbunden mit einem »muss« . »Ich kann nur 20 Stunden wegen der Kinder« oder »ich muss eine Teilzeitstelle finden, um meine Mutter zu pflegen« …
Es gibt zu dem Thema nun eine größere Anzahl an Umfragen und Erhebungen. Ein verblüffendes Ergebnis ist, dass nicht einmal jede zweite teilzeitbeschäftigte Frau ein Kind unter 18 hat.

Der Mikrozensus 2022 zeigt, dass der Wunsch nach Teilzeit bei Frauen und Männern anwächst. Weitere Daten belegen, dass die Wunscharbeitszeit in den Belegschaften abnimmt, selbst wenn dies mit Einbußen verbunden ist.
Das kann ein Zeichen relativen Wohlstands sein aber auch ein Zeichen dafür, dass sich die Einstellung zum Verhältnis von Arbeit und Freizeit bei der jüngeren Generation verschiebt. Eine bessere Bezahlung im Dienstleistungsbereich kann eine Lösung sein, jedoch auch das Gegenteil bewirken: Beschäftigte könnten dies zum Anlass nehmen, die Arbeitszeit zu reduzieren.

Öffnungszeiten haltbar?

Wie eine solche Entwicklung aussieht, kann man an den Schulen beobachten: die Gesellschaft fordert längere Betreuung der Schüler, die Pädagogen gehen in Teilzeit. Jetzt werden Sie sich fragen, was das alles mit Bäckereien, Metzgern, Gastronomie und unserer Innenstadt zu tun hat. Ich glaube, dass die Entwicklung der letzten Jahre zu immer längeren Öffnungszeiten und einer 6 Tage Verfügbarkeit des Handels nicht mehr aufrecht zu erhalten ist.

Die einen wollen an 6 Tagen in der Woche bis 22 Uhr im Supermarkt einkaufen, die anderen fordern ihr Recht auf »work-life-balance« ein. Das passt nicht zusammen. Die Gastronomie geht einen Weg, der noch vor 2-3 Jahren undenkbar erschien. »Unser Restaurant ist geöffnet von Mittwoch bis Sonntag« ; ist Ihnen auch schon aufgefallen, wie wenig gastronomische Angebote es von Montag bis Sonntag gibt? Die Frisöre haben montags geschlossen, daran haben wir uns gewöhnt. Wenn also der gesellschaftliche Trend zu weniger Arbeitszeit und mehr Freizeit immer stärker wird, sollen wir uns dann nicht auch als Respekt vor den Beschäftigten von unseren Ansprüchen verabschieden?

| Mogunzius