Kaum steigen die Temperaturen steigt samstäglich auf dem Liebfrauenplatz der Alkoholpegel. Damit ist jetzt Schluss: Das Mainzer Marktfrühstück zieht um ans Rheinufer!

Mainzer Lebensfreude – steckt auch Fußballfreunde an. In diesem Falle brauchte es allerdings den »Besuch« der Fußballfans aus Mannheim nicht mehr, um die Entscheidung zu treffen. Auch die Tatsache, dass die Mitarbeiter:innen in der Marktverwaltung noch anderes zu tun haben, als sich mit den Auswüchsen dieses »Mainzer Weinerlebnisses« zu beschäftigen, spielte nur am Rande eine Rolle. Sicher ist, das Mainzer Marktfrühstück muss seinen Standort wechseln. Am Samstag, den 8. April 2023 wird der Stand der Mainzer Winzer erstmals vor der Rheingoldhalle aufgebaut. »Wir müssen so viele Beschwerden zur Kenntnis nehmen, stundenlang mit den Veranstaltern über Vorgaben diskutieren, verbringen letztlich so viel Zeit nur mit dieser Veranstaltung – das ist einfach nicht mehr vertretbar.« Wer da von verwaltungsinternen Details berichtet, möchte namentlich nicht genannt werden, um sich nicht dem Unmut all jener, die samstags unbedingt auf dem Liebfrauenplatz ihre Schoppen trinken wollen, auszusetzen.

Tatsache ist, es gibt Verantwortliche in den Dezernaten, Stadtratsmitglieder und Geschäftsführer:innen stadtnaher Gesellschaften, die sich um das Image der Stadt Mainz sorgen. Wer letztendlich die Verlegung angeordnet hat, konnte DER MAINZER bis Redaktionsschluss nicht herausfinden. Versuche, diese unpopuläre Entscheidung dem gerade erst ins Amt gekommenen Mainzer Oberbürgermeister Nino Haase in die Schuhe zu schieben, kann dieser eindeutig von sich weisen: Die Entscheidung wurde bereits vor dem 22. März 2023 getroffen, aufgrund eines Kommunikationsfehlers einige Tage lang im Ratsinformationssystem der Stadt eingestellt und war somit öffentlich einsehbar.




Leidet das Image der Stadt Mainz?

Das Marktfrühstück an den Rhein zu verlegen hatten bereits im letzten Jahr der Mainzer Marktverein und der Ortsbeirat Altstadt gefordert – ohne erkennbare Reaktionen seitens der Verwaltung und der zuständigen Dezernentin. Hinter den Kulissen aber, so wird im Rückblick klar, ist diese Veranstaltung schon länger umstritten. Es geht einerseits um die »Lebensfreude«, die das Marktfrühstück weit über die Grenzen von Mainz hinaus bekannt gemacht hat, andererseits um die negativen Begleiterscheinungen dieser Veranstaltung. Das positive Image der »lebenslustigen Stadt am Rhein« bekommt allmählich Kratzer. Wie ist Auswärtigen der Zusammenhang zwischen »Frühstück« und »Wein trinken« zu erklären, ist noch eine der einfacheren Fragen. Um dem Eindruck, in Mainz werde schon frühmorgens »gesoffen« entgegen zu wirken, war die Umbenennung in »Markt-Lunch« überlegt und wieder verworfen worden. Der Verein Mainzer Winzer beharrt als Veranstalter auf dem »originalen Mainzer Marktfrühstück«.

Wirkung zeigen allmählich aber die Beschwerden von Einzelhändler:innen. Der Zugang zu den Geschäften am Liebfrauenplatz und in der Fischtorstraße ist an den Marktfrühstück-Samstagen schwer und wird von Menschen, die keine Lust auf Grölen und Pöbeln haben, gemieden. Ergebnis: Umsatzeinbußen. Ebenso ergeht es den Ständen auf dem Mainzer Wochenmarkt. Die typische Samstags-Kundschaft, die einen Stadtbummel mit dem Einkauf von frischen, oft regional erzeugten Waren auf dem Wochenmarkt verband, kommt nicht mehr. Die Marktbeschicker:innen müssen zudem jeden Samstag die »begleitete Ein- und Ausfahrt« über sich ergehen lassen: Ist es Zeit, die Marktstände abzubauen, bahnen Security-Mitarbeiter den Fahrzeugen ihren Weg durch die Menge, damit niemand zu Schaden kommt.

»Lebenslust am Rhein«

Verständlich, dass sich insbesondere die »Touristiker« unter den Verantwortlichen fragen, welche »Lebensfreude« hier gelebt wird. Gästeführungen in die Altstadt müssen an Marktfrühstück-Samstagen die Domplätze meiden und den Zugang zum Gutenbergmuseum durch die Mailands- oder Korbgasse wählen. Gästeführerinnen berichten auch von erstaunten Touristen, die nicht verstehen, wieso sich Eltern bei einem Glas Wein »entspannen«, während die Kinder die Blumenbeete zertrampeln. Die vor allem in den sozialen Medien zirkulierenden Bilder von »Wildpinklern«, grölenden Männern, die einen »Junggesellabschied« feiern, von zerschlagenen Gläsern und Flaschen, von Müll aller Art, vermitteln ein eigenartiges Bild von Mainzer »Lebenslust am Rhein«. Warum eine beträchtliche Anzahl von Mainzer:innen wie Auswärtigen, »Lebensfreude« und »Lebenslust« auf diese Weise interpretieren, soll nun in einer Studie am Geographischen Institut der Uni Mainz untersucht werden.

Verhaltensregeln verschärften Handlungsdruck

Die Verantwortlichen wollen aber nicht warten, bis die Ergebnisse vorliegen, berichtet der »Flurfunk« in der Stadtverwaltung. Seitdem das »Pipi« in Umlauf gekommen ist, habe sich der Handlungsdruck verschärft. Der Begriff »Pipi« ist auf der Webseite der Mainzer Winzer zu lesen. Der Verein veröffentlichte vor dem ersten 2023er-Mainzer Marktfrühstück zehn Verhaltensregeln, die zur Sicherung »des originalen Mainzer Marktfrühstücks« beitragen sollen. Punkt 1 lautet: »Müll gehört in die dafür vorgesehenen Behältnisse«, Punkt 2: »Pipi muss raus? Auch das kommt in hierfür vorgesehene Behältnisse: Benutzt die ausgeschilderten Toiletten!«

Die Autorin dieses Beitrags erlebte ob dieser »Verhaltensregeln« (die auch auf dem Marktgelände auf Plakaten zu lesen sind) eine Diskussion unter, nun ja, sonst sehr besonnenen Mitbürger:innen, in der eine Vielzahl von Emotionen hochkochten. »Wir Mainzerinnen und Mainzer werden hier dargestellt, als seien wir zu doof, um unseren Müll in Abfalleimer zu befördern und eine Toilette aufzusuchen, wenn es erforderlich ist«, so die einzige Aussage, die ohne eine Vielzahl an Schimpfworten auskam.

Nun zieht das Mainzer Marktfrühstück also um ans Rheinufer vor die Rheingoldhalle. Ob es hier dauerhaft oder zumindest für diese Saison bis November verbleiben kann, hängt auch davon ab, ob »das Pipi der Besucher tatsächlich in den vorgesehenen Behältnissen« landet.

| SoS (April, April!)

Die Historie des Mainzer Marktfrühstücks wird hier erzählt:
www.mainz.de/tourismus/weinerlebnis/gwc-blog-2019/blog-2019-mainzer-winzer.php

 

Mainzer Marktfrühstück: Nur mit dem Marktverein!