Wir waren diesmal auf einer geschmacklichen Entdeckungsreise. Die Weinstube Rote Kopf hat sich mutig zu einer feinen Gastronomie-Adresse entwickelt.
Es ist ein Ort mit Geschichte(n). In seiner Erzählung »Die Fastnachtsbeichte« hat schon Carl Zuckmayer dem Viertel um den Mainzer Dom seine Aufmerksamkeit geschenkt und hat darin dem »Rote Kopf« ein Denkmal gesetzt. Nicht zuletzt war es die Mainzer Kult-Wirtin »Edda«, die ihre »Weinstube Rote Kopf« mehr als 30 Jahre geführt und bis 2006 weit über die Altstadtgrenzen hinaus bekannt gemacht hat. Vor vier Jahren schließlich hat Winzer Marcus Paul Landenberger die denkmalgeschützte Weinstube übernommen und führt sie seitdem im Original fort.
So präsentiert sich die große Gaststube immer noch im alten Flair. Dunkle Holztäfelung, Brauereibestuhlung, große Schiefertafeln, die von jedem Platz aus gut zu lesen sind.
Die Speisenkarte ist klein und entlockt Mister X dennoch gleich ein anerkennendes Stirnrunzeln. Unter der Rubrik »Ebbes aus Mainz« gibt es natürlich auch die für Weinstuben typischen heimischen Leckereien aus Wurst und Spundekäs mit Salzbrezelchen. Aber die Küche hat erkennbaren Spaß daran, mit internationalen Zutaten und Zubereitungsformen Akzente aus der levantinischen und asiatischen Küche zu setzen.
Maishähnchen Suprême
Mister X hat seine Wahl schnell getroffen. Geschmorte Karotte mit Gremolata und weißer Bohnentapenade (9,90 €) sowie Kalbsfilet, gerösteter Markknochen, Hokkaidokürbis, auf Rauchhollandaise und Kürbiskerntahini (22,90 €) lösen bei ihm spontanen Speichelfluss aus. Ich entscheide mich für ein Kalbscarpaccio mit Misomayo, Teriakylauch, Nussbutter, Sesam und Kräuteröl (13,50 €) für den Anfang und danach Maishähnchen Suprême, Aubergine mit Harissa, griechischem Joghurt und weißer Bohnentapenade (19,90 €). Außerdem ordern wir dann noch geröstete Blumenkohlröschen, Sesam, Curry und Tahini-Joghurt (7,50 €) sowie eingelegte Austernpilze mit Quetschkartoffeln, Aioli, Gremolata und Parmesan (15,90 €).
Die Weinkarte ist reichhaltig sortiert und legt ihren Schwerpunkt auf Weine aus Rheinhessen, ergänzt um Rheingau, Nahe und Pfalz. Auch bei den Schoppenweinen steht aus der Region viel zur Auswahl. Mit einem cremigen Grauburgunder »Dark Matter« von Dominik Münzenberger aus Zornheim (6 €), einem trockenen Sauvignon Blanc mit grünen Noten und lebhafter Säure aus Landenbergers eigenem Weingut (5,80 €) und einem Nackenheimer Riesling feinherb von Landenberger (6 €) mit Pfirsich- und Aprikosenaromen haben wir drei gute Vertreter ihres Fachs im Glas.
Als die Vorspeisen kommen, bestätigt sich, was die Karte schon ahnen lässt: In der Küche stehen Leute, die ihr Handwerk verstehen. Die Präsentation der Teller ist eine Augenweide, dem folgt am Gaumen ein Bad in Aromen, die nur für ihre jeweilige Kombination geschaffen scheinen.
Mister X schwelgt, als er geschmorte junge Karotten in eine zartcremige weiße Bohnentapenade tunkt. Mein hauchdünnes Kalbscarpaccio ist, sowohl vermählt mit Nussbutter und Misomayo als auch in seinen Einzelbestandteilen, eine geschmackliche Entdeckungsreise. Besonders angetan haben es mir diese kleinen Lauchblättchen mit einem unwiderstehlichen Teriaky-Aroma. Das geht kaum besser. Die noch bissfesten gerösteten Blumenkohlröschen haben mit Sesampasten-Joghurt und etwas Curry ihre kongenialen Partner gefunden. So darf es weiter gehen.
Kräftiges Raucharoma
Das tut es, allerdings mit kleinen Abstrichen. Eine Hollandaise mit kräftigem Raucharoma ist, gepaart mit einer Tahini aus Kürbiskernen, ein gelungener Kontrast zum gerösteten Markknochen, den Mister X genussvoll auslöffelt. Das Kalbsfilet scheint jedoch ein Endstück zu sein und erweist sich als ein wenig zäh.
Das vegetarische Gericht der eingelegten Austernpilze, die – erwärmt – zusammen mit Quetschkartoffeln und Aioli serviert werden, sind mit geriebenem Parmesan vollständig zugeschneit. Das tut dem harmonischen Miteinander von Pilzen und knusprigen Kartoffeln aber keinen Abbruch.
Auf meinem Teller verschmelzen die scharfe rote Harissa, Joghurt und cremige weiße Bohnentapenade zu einem Aromenfeuerwerk, das sowohl der eingelegten Aubergine als auch Brust und Keule des knusprig gebratenen Maishähnchens Paroli bietet. Einziger Wermutstropfen: Das Fleisch ist beim Braten trocken geworden.
»Was ist los, du bist so still?«, frage ich Mister X. Tischgespräche sind im Lauf des Abends schwieriger geworden, dafür stieg der Geräuschpegel im eng bestuhlten, Gastraum, in dem fröhliche Zecher gern auch die Nachbarn an ihrer Lebensgeschichte teilhaben lassen. Etliche mit rotem Kopf. Jetzt wissen wir, warum die Herberge schon im Mittelalter so hieß.
| Lou Kull
ESSEN | 8,5 |
TRINKEN | 8,0 |
SERVICE | 7,5 |
AMBIENTE | 7,5 |
PREIS/LEISTUNG | 8,5 |
GESAMT | 40,0 : 5 = 8,0 KAPPEN |
Fazit
Marcus Paul Landenberger hat das Traditionshaus wiederbelebt mit einer mutigen und sehr modernen Neuausrichtung der Küche. Der Erfolg gibt ihm Recht: Der Mainzer Schnutedunker isst zum Schoppen gern auch international. Wenn die Hauptspeisen handwerklich noch ein wenig zulegen, gehört der Rote Kopf tatsächlich zu den feinen Adressen der Altstadt-Gastronomie. Auch die Weinkarte passt zum Anspruch. Für die gebotene Leistung sind die Preise außerordentlich moderat. Service und Ambiente bleiben dem Bild einer Mainzer Weinstube treu. Ergebnis: Eine feine Adresse, die dem Gast jede Schwellenangst nimmt.