Das neue »Goldisch« auf dem Liebfrauenplatz hat noch viel vor. Der Umbau ist gelungen. Doch: Noch vor der Kunst steht in der Küche das Handwerk.

»Ja, ist denn schon Pfingsten?« Mister X schaut sich staunend um. Es hat sich einiges geändert in den Gasträumen am Liebfrauenplatz. Dielenboden, helle Holztische, die einladend eingedeckt sind, dunkle Stühle, Polsterbänke an der Wand. Und die Wand hat es in sich. Riesige Pfingstrosen und Papageientulpen dominieren die große Stirnwand, mit Licht raffiniert in Szene gesetzt. Ansonsten dunkle Decke, dunkle Wände. Aber: Die golden-eleganten LED-Lampen auf den Tischen sorgen für stets klaren Blick auf Teller und Glas. Eine mutige Inszenierung der Innenarchitekten, die dem vor wenigen Monaten eröffneten Lokal im ehemaligen »Hintz und Kuntz« eine Atmosphäre gediegener Gemütlichkeit spendierten. »Es gibt hier viel zu gucken, die ungewöhnliche Blumenwand, der Blick auf den hell erleuchteten Dom…«, eröffne ich den Smalltalk. »Schau in die Speisekarte und auf mich, dann siehst Du alles, was nötig ist«, murmelt Mister X, interessiert in die Speisekarte vertieft. Er ist halt ein Romantiker.

Das Angebot ist nicht zu groß, aber interessant gemischt. Für Vegetarier ebenso geeignet wie für Fleisch- oder Fischliebhaber, ein indisches Gewürz hier, französische Kochkunst dort und daneben Landküche. Hipster und Bohemien treffen Schnutedunker.

Apropos Schnut: das gleiche Muster. Louis Roederers Champagner und Negroni aus den Goldenen Zwanzigern treffen bayerisches Bier und rheinhessischen Riesling und Burgunder. Und wer einen großen Geschäftsabschluss zu feiern hat, für den liegt ein Opus One (Rothschild/Mondavi) oder ein Ornellaia für jenseits der 200 Euro im Keller.



Beste Weine

Wir haben gerade nichts zu feiern und begnügen uns mit einem Grauburgunder von Hofmann (3,50 €), einem Sauvignon Blanc von Knewitz (4 €) und einem Weißburgunder von Battenfeld Spanier (4 €), alle Jahrgang 2020. Die offenen Weine werden als Piffchen ausgeschenkt – was die Preise relativiert. Die Weine sind bestens, was nicht weiter verwundert, da das »Goldisch« hier keine Experimente eingeht und sich für die Getränkekarte auf Weinerzeuger verlässt, die in Rheinhessen für dauerhafte Qualität stehen.

Während die anfangs angenehmen Swing-Melodien aus der Beschallungsanlage zunehmend hektischer werden, widmen wir uns intensiv dem Speisenangebot. Die Karte schlägt ein Menü vor, um es uns einfacher zu machen. Auf eine Kartoffelsuppe mit Speck und Schmand folgt als Zwischengericht ein confiertes Eigelb mit Schwarzwurzel, Marone und Kerbel und als Hauptgang Kalb – Filet und Backe – mit Wirsing und Sellerie. Den Abschluss bildet eine Schokoladenschnitte mit Gewürzbirne, Walnuss und Zimt. Als Komplett-Menü mit vier Gängen für 54 und als Drei-Gang-Menü ohne das Eigelb für 46 Euro zu haben. Eine Weinbegleitung wird ebenfalls angeboten für 21 Euro in der großen und 16 Euro in der kleinen Variante.

Rauchiger Badeschaum

Mister X überlegt nicht lange und ordert das Menü. Ich tu mich heute etwas schwerer und suche nach neuen Herausforderungen für meinen Gaumen. Also entscheide ich mich schweren Herzens gegen eine Jakobsmuschel mit Karotte, indischem Vadouvan-Gewürz und fermentiertem Knoblauch (15 €) und stattdessen für einen Blutwurstraviolo mit Apfel, Zwiebel und Majoran (12 €). Eine gute Wahl, wie sich später herausstellen soll: Der Rauchgeschmack der Wurst ist zurückhaltender als erwartet und verbindet sich mit hauchdünnen Apfelscheibchen, Zwiebeln und etwas Brühe zu vollendeter Harmonie. So darf es weitergehen, und das tut es auch, als mein Hauptgericht kommt: Saibling mit Rauch-Nage, Petersilie und Kartoffelrisotto (26 €). Ein angenehm rauchiger Badeschaum veredelt das Fischfilet hauchzart.

Schöne Schlotzigkeit

Für mich das Highlight auf dem Teller ist jedoch das noch bissige, mit konzentrierter flüssiger Petersilie in vorweihnachtliches Grinch-Grün getauchte Kartoffelrisotto, das mit einer deutlichen Zugabe von Parmesan seine erforderliche Schlotzigkeit erhielt. Bravo! Und doch: Das Fischfilet war zu lange im Ofen, behielt sein Aroma, aber nicht die Saftigkeit und geriet deshalb trocken und fest. Schade um das fast perfekte Abendessen.

Von Gegenüber höre ich aufgeregtes Schnauben. Mister X scheint sich in Rage gegessen zu haben. Bei der Kartoffelsuppe höre ich ihn maulen, dass selbst die »Diätküche der Nouvelle Cuisine« nicht auf Gewürze verzichtet. Ohne Majoran keine Kartoffelsuppe, befindet er kategorisch. Na ja, er lässt mich probieren und ich muss ihm beipflichten: Die Brühe ist dünn und nichtssagend, das retten auch Speck und Schmand nicht. Während er kurz darauf mit dem confierten Eigelb dank der cross frittierten panierten Schwarzwurzel und der Kerbel-Mayonnaise noch klar kommt, trübt sich seine Stimmung beim Hauptgang endgültig ein. Kalbsbacken in Ordnung, Selleriepüree in Ordnung, aber Wirsing wieder ungewürzt und – was schlimmer ist – Kalbsfilet sieht rosig aus, ist aber trocken und von einer festen Konsistenz, die den Kiefern schwere Arbeit abverlangt. Au Backe!

Ich versuche, ihn ein wenig aufzumuntern. »Die Präsentation aller Gerichte, das war doch hohe Kunst, oder?« Er nickt. »Und die Weine haben alle Erwartungen erfüllt und waren gut temperiert, oder?« Er brummt: »Stimmt«. Immerhin: Als ihm unsere stets aufmerksame und freundliche Servicekraft den Mantel bringt, zeigt er schon wieder sein breites Lächeln. Goldisch.

| Lou Kul

ESSEN7,8
TRINKEN8,5
SERVICE8,5
AMBIENTE9,0
PREIS/LEISTUNG7,0
GESAMT40,8 : 5 = 8,2 KAPPEN

Fazit

Das »Goldisch« hat noch Großes vor. Das verraten Speisenkarte, Getränkekarte und die mutige, ungewöhnliche, aber geschmackvoll-gemütliche Gestaltung des umgekrempelten Innenraumes. Sobald es die Pandemielage und das Wetter zulassen, soll es auf der Freifläche zum Dom hin noch ein erweitertes Angebot mit Mittagstisch geben. Getränkeangebot, Service und Ambiente sind für die hoch gesteckten Ziele schon auf Betriebstemperatur. Die Küche noch nicht. Wir fanden so unterschiedliche Teller vor, die sich in der Wertung zwischen sechs und neun Punkten bewegten, dass wir uns entschlossen haben, diesmal den exakten Mittelwert aller einzelnen Gerichte, die wir probiert haben, zu errechnen. Deshalb die ungewöhnlich »krumme« Wertung von 7,8 für das Essen. Dies hat auch die Wertung für das Preis-Leistungsverhältnis gedrückt. Das Problem sollte aber – das haben die anderen Gerichte gezeigt – zügig zu beheben sein. Wir freuen uns auf die neue Saison im »Goldisch«.

Restaurant Goldisch
Fischtorstraße 1
55116 Mainz
Telefon: 06131 60 31 368
gude@goldisch.com
www.goldisch.com
Öffnungszeiten:
Do 18 bis 22.30 Uhr, Fr und Sa 18 bis 23 Uhr, So bis Mi Ruhetag
Betriebsferien: 9. bis 24. Januar 2022