Christian Heidel bringt es auf den Punkt: Mit 6 Punkten nach der Hinrunde hat noch nie ein europäischer Verein die erste Klasse gehalten. Der MAINZER sprach mit dem neuen Vorstand »Strategie, Sport und Kommunikation«.

Christian Heidel, Sie haben Mainz 05 im Sommer 2016 Richtung Schalke 04 verlassen. Was war damals der ausschlaggebende Grund: Die Attraktivität des neuen Vereins oder die Situation bei Mainz 05?

Christian Heidel: Das ist ja eine super Frage zu Beginn. (lacht) Keine Ahnung wie oft ich diese schon beantwortete habe, insbesondere damals vor inzwischen über fünf Jahren. Ich war fast 25 Jahre bei Mainz 05 und das war eine unfassbar schöne Zeit. Aber im Herbst meiner beruflichen Laufbahn wollte ich noch einmal etwas anderes im Fußball erleben. Und das ist mir gelungen. Ich erlebte Europa League und Champions League, Pokalhalbfinale und die Vizemeisterschaft mit acht Punkten Vorsprung vor dem Drittplatzierten in einem tollen und spannenden Verein, über den es von mir niemals ein schlechtes Wort geben wird, auch nicht nach dem Abstieg, der im Übrigen erst zweieinhalb Jahre nach meinem Abschied erfolgt ist.

Hatten Sie bei dem Wechsel nach Gelsenkirchen eine spätere Rückkehr nach Mainz mit einkalkuliert, zumindest nicht ganz ausgeschlossen, oder schien das Band endgültig zerrissen?
Wie kommen Sie darauf, dass das Band zwischen mir und Mainz 05 zerrissen war? Wo haben Sie denn das her? Ich bin in Mainz geboren und war seit 1972 bei fast allen Heimspielen am Bruchweg. Danach 24 Jahre in der Verantwortung. Aus den Niederungen der zweiten Liga sind wir zusammen bis nach Europa marschiert. Ich hatte dann die schönste Abschiedsfeier, die man sich vorstellen kann. Meine Freunde von Mainz 05 sind auch nach meinem Abgang immer meine Freunde geblieben. Bis zum heutigen Tag. Mainz 05 war und ist mein Baby. Auch während meiner Schalke-Zeit wusste ich immer den aktuellen Spielstand von Mainz 05. Und trotzdem war eine Rückkehr zu Mainz 05 für mich bis zum Dezember 2020 völlig ausgeschlossen und niemals geplant. Es war ein großes Kapitel meines Lebens, aber dieses Kapitel war für mich zu diesem Zeitpunkt eigentlich beendet.

Konnten Sie, als »alter Mainzer« im Spätherbst 2020 noch ruhig bleiben, oder haben Sie sich im Geiste immer wieder vorgestellt, was Sie in Mainz anders machen würden?
Ich habe mitgelitten wie jeder Fan – aber eben als Fan und nicht als Verantwortlicher. Ich habe mich niemals zu Vorgängen bei Mainz 05 geäußert und auch keinerlei Strippen im Hintergrund gezogen, was immer mal wieder kolportiert wurde.



Wie erfolgte dann die offizielle Kontaktaufnahme und wie lange haben Sie für die Zusage gebraucht? Wollten Sie überhaupt noch einmal »zurück« in den Fußball? Wie hat Ihre Familie darauf reagiert?

Christian Heidel: Stefan Hofmann und der damalige Aufsichtsrats-Vorsitzende Detlev Höhne haben sich Anfang Dezember bei mir gemeldet und mir die Probleme bei Mainz 05 geschildert. Es ging zunächst auch gar nicht um eine Rückkehr in ein Amt. Man wollte meinen Rat. Dieser lautete aber ganz bestimmt nicht: «Holt den Heidel zurück!« Dieses Thema kam dann erst später auf und meine Antwort war »nein«. Ich hatte zuvor bestimmt zehn Vereinen abgesagt, denn meine persönliche Lebensplanung sah ganz anders aus. Wir waren eine Woche zuvor auf Mallorca umgezogen und planten, unseren Lebensmittepunkt komplett auf die Insel zu verlegen. Meine kleine Tochter geht dort zur Schule, spricht inzwischen fließend Spanisch und Englisch. Ein Umzug nach Deutschland war somit ausgeschlossen. Aber die Gespräche haben sich weiterentwickelt, und auch der Druck wurde größer. Irgendwann hat sich der halbe Club bei mir telefonisch oder über WhatsApp gemeldet. Das haben sie schon geschickt gemacht. Meine Familie hat dann schon gespürt, dass ich am »Umfallen« bin und mir die Freigabe erteilt (lacht). Erst dann habe ich begonnen, einen Plan zu entwickeln und davon war dann auch mein Okay abhängig. Die Vertragsverhandlungen selbst haben letztlich keine 30 Sekunden gedauert – eigentlich gab es gar keine Verhandlungen.

Sie sind »Vorstand Strategie, Sport und Kommunikation« geworden – ein Titel der vieles enthält – auch Interpretationsmöglichkeiten: Um welche Strategien geht es dabei speziell – und um welche Aspekte des Sports?

Christian Heidel: Erstmal mussten wir uns aus der prekären sportlichen Situation befreien, das stand an oberster Stelle. Aber hier kam es auf das Wie an – wir wollten wieder zu dem zurück, was Mainz 05 stark gemacht hat. Und das, was unsere Fans an uns geliebt und in den letzten Jahren zunehmend vermisst haben. Es ging darum, das Mainzgefühl wieder zum Leben zu erwecken – im Bereich sportliche Philosophie auf dem Platz, aber auch abseits des Rasens in den Herzen der Mainzer. Hierfür war es was das Sportliche angeht zunächst wichtig, Leute zu holen, die wissen, für was wir stehen – zum Glück konnte ich Martin Schmidt und Bo Svensson überzeugen. Beide sind Top-Fachmänner, die Mainz 05 im Herzen tragen und denen man nicht erklären muss, wie wir hier spielen wollen. Im Gegenteil – sie waren bereit, diese Mission anzunehmen, trotz unserer nahezu aussichtslosen Situation in der Tabelle.

Man schrieb und spricht auch heute immer noch von dem »Wunder von Mainz«. Haben Sie vor einem Jahr fest an den Nichtabstieg geglaubt oder gab es schon einen Plan B für die Zweite Liga und einen schnellen Wiederaufstieg?

Christian Heidel: Sie müssen bedenken, dass es in der Geschichte des europäischen Fußballs bislang noch kein Verein geschafft hat, mit sechs Punkten zum Jahresschluss noch die Klasse zu halten. Natürlich haben wir gehofft, dass unsere punktuellen Veränderungen im Kader schnell greifen und Bo das Team schnell in die Spur bringen kann. Wir haben schon an uns geglaubt, aber in der sportlichen Situation wäre es fahrlässig gewesen nicht auch über die 2. Liga nachzudenken. In einem Punkt waren wir uns alle drei einig – die Mission Mainz 05 wird nicht bei Abstieg enden, weil wir einfach daran glauben, dass der Mainzer Weg der Weg ist, der unseren Verein zum Erfolg führen und die Stadt wieder mehr hinter den Verein bringen wird. Notfalls auch durch die 2. Liga.

Was ist in ihren Augen der Grund für das »Wunder« – und wie wird das Wunder konkret weitergehen? Konkret gefragt: Ein Teil der Fans möchte wieder durch Europa fahren – ein anderer Teil hat Angst vor den Nachteilen der Doppelbelastung und winkt ab. Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Christian Heidel: Die Überschrift heißt »Vertrauen«. Wir haben uns alle von Beginn an vertraut und an das geglaubt, was wir tun. Mannschaft, Trainer, Mitarbeiter, Vorstand und Aufsichtsrat. Das haben unsere Fans schnell verstanden und dann auch wieder Mainz 05 vertraut. Das hat man gespürt und mit jedem Tag ist die gemeinsame Hoffnung gewachsen. Bo und seine Trainer haben einen fantastischen Job gemacht, Martin war nahe an der Mannschaft und ich habe mit Stefan Hoffmann und Jan Lehman, gemeinsam mit dem Aufsichtsrat den Laden zusammengehalten. Aber den Klassenerhalt geschafft hat unsere Mannschaft mit einer famosen, unvorstellbaren Rückrunde. Das war schon ein klein wenig das Wunder von Mainz. Wir haben jetzt auch eine gute Rückrunde gespielt und trotzdem fängt hier mit 24 Punkten keiner zu träumen an. Das bringt uns auch nicht einen Punkt mehr. Wir wollen uns immer weiter entwickeln und die Menschen in Mainz begeistern. Aber wir wollen und werden auch gemeinsam mit Rückschlägen umgehen und umgehen müssen. Gelingt uns auch das, ist alles möglich. Dann sind wir wieder Mainz 05, wie ich es mir vorstelle.

Sie arbeiten jetzt in Mainz und Ihre Familie lebt auf Mallorca. Wie schafft man das ständige Pendeln zwischen den beiden Welten? Gibt es Mainzer Dinge die Sie auf der Insel vermissen (Ich klammere Weck, Worscht und [Rheinhessen-] Woi jetzt einmal aus) – und umgekehrt: was würden Sie gerne von Mallorca nach Mainz importieren?

Christian Heidel: Am meisten vermisse ich in Mainz meine Familie – auch wenn es mich von Haustür zu Haustür nur drei Stunden Zeit kostet, nach Mallorca zu fliegen, geht das in der Saison natürlich trotzdem immer nur ein paar wenige Tage im Monat. Und nach Mallorca würde ich wirklich gerne Meenzer Fleischwurst importieren – die mögen wir sehr und kriegen sie vor Ort nicht in der Form. (lacht). Aber wir haben Mallorca wirklich lieben gelernt, dort viele neue, tolle Freunde gewonnen. Gerne würde ich aber das Wetter nach Mainz exportieren.

Wo werden Sie Fastnacht 2022 verbringen? Werden wir das Team beim nächsten Rosenmontagsumzug – wann immer er sein wird – wieder auf einem Wagen erleben? Und (vor dem Hintergrund vergangener Ereignisse gefragt): Wird der Vorstand Strategie, Sport und Kommunikation die Spieler vorher persönlich über die Hintergründe dieses kulturellen Ereignisses aufklären und mit ihnen Helau-Rufen üben?

Christian Heidel: Niemand wird gezwungen werden auf einem Rosenmontagswagen Helau zu rufen, wenn er das nicht möchte. Die Spieler, die daran Spaß haben, sind aber herzlich eingeladen. Es gibt tolle Jungs, die auf dem Platz alles für unseren Verein geben und vielleicht nicht die großen Fastnachter sind. Das ist für mich gar kein Problem. Wir wollen authentisch sein! Der Auftritt am Rosenmontag im vergangenen Jahr war sehr unglücklich und wird so nicht mehr passieren. Leider fällt der Zug jetzt aber ohnehin aus bekannten Gründen aus.

Wie zufrieden sind Sie mit der Fanarbeit, die in Corona-Zeiten sicher enorm wichtig und schwierig ist?

Christian Heidel: Es ist wichtig, dass wir als Verein wieder näher an die Fans und die Stadt rücken – das enge Band zwischen Mainz und dem Verein, den Fans und dem Klub hat uns ausgezeichnet und auch stark gemacht. Corona macht dies sicher nicht einfacher, aber dass wir trotz Pandemie wieder enger aneinander rücken, ist ein zentraler Punkt unserer Mission hier in Mainz. Ich denke das ist uns in diesem Jahr in einigen Punkten gut gelungen, wenn man die Umstände der Pandemie bedenkt – aber das heißt nicht, dass wir zufrieden sind. Zufrieden sind wir erst wieder, wenn wir gemeinsam Stadion und auch drum herum wieder feiern und uns nahe sein können, ohne dass jemand Angst vor einem Virus haben muss.

Halten Sie alles für richtig was in Bezug auf die epidemische Lage im Profifußballbereich gemacht wurde? Wie sollten sich Spieler verhalten? Welche Maßnahmen müssten Ihrer Meinung nach noch ergänzt bzw. modifiziert werden?

Christian Heidel: Wenn man die hohe Impfquote in der Bundesliga, die bei über 95 % und bei Mainz 05 sogar bei 100 % liegt, und die Tatsache, dass es prozentual gesehen verhältnismäßig wenige Corona-Infektionen innerhalb der Liga und in den Stadien gab, mit der gesamtgesellschaftlichen Situation vergleicht, kann man durchaus sagen, dass das Hygiene-Konzept der Bundesliga sehr gut funktioniert. Sie können uns glauben, dass alle extrem sensibilisiert sind für dieses Thema, besonders die Spieler, die ja auch spielen wollen und wissen, dass sie deshalb besonders vorsichtig sein müssen. Ich persönlich finde es extrem befremdlich, dass der Fußball trotz allem immer als Negativbeispiel herausgepickt wird – besonders von der Politik, die lieber ihren Fokus darauf richten sollte, nachvollziehbare und vor allem stringente Entscheidungen im Bereich Pandemiebekämpfung zu treffen, um ihre Bürger zu schützen, statt öffentlich auf einer Branche herumzutrampeln, die ihre Hausaufgaben gemacht hat. Aber eines ist klar: Die Gesundheit der Menschen steht immer an erster Stelle.



Mainz 05 gehört zu den Vereinen, die keine Gerüchte verbreiten sondern erst dann zu Personalfragen Stellung beziehen, wenn Verträge unterschrieben sind. Trotzdem ein Versuch: Wer wird Ihrer Meinung nach den Verein zuerst (und endgültig) verlassen: Jean-Philippe Mateta oder Jonathan Burkardt?

Christian Heidel: Wie Sie bereits richtig erkannt haben, spielen wir keine »Hätte, wäre, wenn«-Spielchen in der Öffentlichkeit. Das wäre wenig förderlich, weder für die Mannschaft, noch für die betreffenden Personen, und im Übrigen auch nicht für die Fans. Auch wenn man in der Branche Profifußball nicht immer alle Dinge in der Hand hat, können sich alle sicher sein, dass Personalentscheidungen von uns immer im Sinne des Vereins getroffen werden.

Wagen Sie abschließend einen Tipp? In welchem Tabellenteil finden wir den FSV am Saisonende und schaffen wir im Pokal mit einem Sieg in Bochum den Sprung ins Viertelfinale?

Christian Heidel: Mein Traum ist seit mittlerweile fast 30 Jahren das Pokalendspiel in Berlin. Ich bin zwei Mal kurz davor im Halbfinale gescheitert. Einmal mit Mainz und einmal mit Schalke. Ich versuche es immer wieder, solange ich in diesem Geschäft noch bin. Da bin ich hartnäckig. Darüber hinaus will und muss Mainz 05 seinen Vertrag mit der Bundesliga verlängern. Obwohl wir – im Vergleich mit vielen anderen Klubs – ein kleiner Verein sind, spielen wir von den letzten 18 Jahren 16 Jahre in der Bundesliga. Davor waren wir seit Gründung der Bundesliga 41 Jahre nur Zuschauer! Das dürfen wir nie vergessen. Haben wir den Klassenerhalt geschafft, schauen wir nach oben. An der Herangehensweise wird sich nichts ändern.

Vielen Dank für das Gespräch – und bleiben Sie gesund.

| MDL

 

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