Bürgerbeteiligung ja sicher! Aber wie? Eine Frage, die sich nicht erst seit dem ersten Mainzer Bürgerentscheid zum „Bibelturm“ stellt.

Unter Federführung von Horst Maus, Leiter der Stabsstelle Arbeitsmarktförderung und Bürgerbeteiligung, erarbeitet eine Arbeitsgruppe „Leitlinien“, die eine Beteiligung  der Bürger/-innen künftig sicherstellen soll. Die Ergebnisse werden nicht vor Ende 2019 erwartet, können also nicht Gegenstand politischer Auseinandersetzungen in der Kommunal- und der Oberbürgermeisterwahl 2019 sein. Bürgerbeteiligung aber, davon ist auszugehen, wird als Thema in den beiden Wahlen durchaus eine Rolle spielen.

OB Michael Ebling hatte schon 2012 in seinem Wahlkampf  „versprochen“, Bürgerbeteiligung auf seine politische Agenda zu setzen. Immerhin gibt es seit 2013 die sogenannten Bürgerforen, in denen repräsentativ ausgewählte Mainzer/-innen miteinander über von ihnen selbst gewählte Themen debattieren. Die „Ergebnisse“ werden dem Stadtrat zur Kenntnis gebracht. Greift eine Stadtratsfraktion eines der Themen auf, wird es so in den politischen Entscheidungsprozess transportiert. Nonformale Bürgerbeteiligung heißt das.
Das ist den Mainzer/-innen schon lange zu wenig. Immer wieder setzen sie sich gegen politische Entscheidungen, die ihr eigenes Lebensumfeld betreffen, zur Wehr und gründen Bürgerinitiativen. So werden fix und fertig geplante Projekte in der Umsetzung verzögert oder gekippt, was entsprechende Kosten verursacht. Außerdem wird die Entscheidungsbefugnis der demokratisch gewählten Stadtratsmitglieder ausgehebelt.

Es war also Zeit, (manche meinen, die Entscheidung war lange überfällig), dass auch die Stadt Mainz einen Prozess in Gang setzt, an dessen Ende ein für alle verbindlicher Rahmen für Bürgerbeteiligung stehen soll. Im Mai 2018 hat der Mainzer Stadtrat dafür grünes Licht gegeben.
„Partizipative Bürgerbeteiligung“ ist dieser trialogische Prozess überschrieben: Die Leitlinien werden gemeinsam von Vertreter/-innen der Verwaltung, Politik und der Bürgerschaft ausgehandelt. Allein diese Zusammensetzung führte zu Verstimmungen unter den aktiven Bürgerinitiativen (BI) in Mainz: Kein BI-Mitglied ist in diesem Gremium vertreten – ausgenommen Thomas Mann (BI Gutenberg-Museum), der allerdings von seiner Partei ÖDP entsandt wurde.

Eine der wichtigsten Grundlagen von Beteiligungsprozessen ist die Information: Entscheidungsprozesse müssen nachvollziehbar und verständlich dargestellt sowie frühzeitig kommuniziert werden. Hanns-Jörg Sippel, Vorsitzender der Stiftung Mitarbeit, die den Prozess in der AG Leitlinien im Auftrag der Stadt moderiert, hat dementsprechend vorgeschlagen, alle Vorhaben der Stadt Mainz auf einer Plattform zusammen zufassen. Das ist noch Zukunftsmusik, aber Sippel macht Mut: In über 60 deutschen Kommunen gibt es bereits Leitlinien für die Bürgerbeteiligung. Das Regelwerk wurde vom jeweiligen Kommunalparlament verabschiedet, es wird verbindlich und verlässlich umgesetzt. Sippel nennt als Sinn, den die Entwicklung solcher Leitlinien hat, die Dialogfähigkeit und eine Kultur des Vertrauens zu entwickeln.  In Heidelberg, wo die Leitlinien bereits seit längerer Zeit angewendet werden, sei es zwischenzeitlich normal, dass Verwaltung, Politik und Bürgerschaft kooperativ miteinander umgehen, das Klima habe sich gewandelt, so Sippel.

Und in Mainz – steht alles noch auf Anfang. Ein guter Zeitpunkt die BIs zu fragen, was sie sich von dem Prozess und den Leitlinien versprechen. Lesen Sie die Beiträge der BIs, die geantwortet haben.

Thomas Mann, BI Gutenberg-Museum

“Die BI fordert bereits seit 2016 die Entwicklung von Leitlinien. Sie soll den Bürgerbeteiligungsprozess zu Projekten regeln, aber nicht einen politischen Wettstreit ersetzen. Grundvoraussetzung ist eine frühzeitige Information durch eine Projektliste, die voll umfänglich und leicht zugänglich für mehr Transparenz bei kommunalen Projekten sorgt. Beteiligungskonzepte über alle Projektphasen hinweg und das Kommunizieren von Ergebnissen sind für ein breites Meinungsbild erforderlich. Im Anschluss sollte die Möglichkeit eines Online-Votings der Bürgerschaft vorgesehen werden, um so dem Stadtrat als Entscheidungshilfe zu dienen. Anschließende Information des Bürgerbeteiligungsverfahrens mit klarem Stadtratsbeschluss ist erforderlich, um so die Möglichkeiten für einen Bürgerentscheid sicherzustellen. Die Leitlinien sollen die Durchführung eines Bürgerentscheids gem. § 17a der GemO RLP nicht ersetzten.”

Hartwig Daniels, für den Kokreis der BI Ludwigsstraße

„Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung“ (Heidelberg seit 2012!) soll es nach Treuenbrietzen und Bargteheide (zwei der mehr als 60 Kommunen, die entsprechende Leitlinien vereinbart haben, Anm.d.Red.) nun auch in der Landeshauptstadt geben. Erwartungen der BI-LU? Kurz: Transparenz, Einsichtsrecht – also auch Erweiterung des Transparenzgesetzes des Landes auf die Stadt Mainz (Verwaltungsinformationen als Bringschuld). Frühzeitige Information und Beteiligung der Bürgerschaft an allen für die Stadtentwicklung bedeutenden Planungen (auch solche der städtischen Töchter und Beteiligungen im rechtlich möglichen Rahmen). Umfassende Vorhabenliste. Bürgerbeteiligung als dauerhafte Institution mit verlässlichen, bindenden Verfahren. Initiativrechte: Möglichkeit Bürgerversammlungen anzuregen oder Anträge an den Stadtrat zu richten. Ergebnisoffenheit der Prozesse und Qualitätssicherung des Beteiligungserfolgs (Mitgestaltung). Echtes Bemühen um eine Beteiligungskultur. Öffentlichkeit!

Torsten Kirchmann, Sprecher der Bürgerinitiative Neustadt-Ufer

Bürgerbeteiligung muss mehr sein als das formale Abarbeiten von bürokratischen Beteiligungsmöglichkeiten quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es ist nicht mehr zeitgemäß, Termine und Themen ausschließlich im Amtsblatt oder in einer Tageszeitung anzukündigen, weil diese Medien nur einen Bruchteil der Bevölkerung erreichen. Wenn zu einem solchen Termin, der hunderte Bürger betrifft, nur vier erscheinen, dann ist die dies kein Beweis für Desinteresse, sondern für gescheiterte Kommunikation.“

 

Kommentar
Es hat den Anschein, als klaffe zwischen dem Wahrnehmungsvermögen derjenigen, die diesen Leitlinien-Prozess durchführen und denjenigen, die seit Jahren mehr verbindliche Beteiligung der Bürger/-innen fordern eine riesige Lücke. Oder, schlimmer noch, als laufe der Prozess an den Akteuren der Bürgerinitiativen vorbei. Gemäß dem Motto „Wir sind nicht beteiligt, was geht’s uns an?“ Es muss (!) den politisch Verantwortlichen gelingen, alle mitzunehmen, einzubinden. Auch diejenigen, die sich seit langem für ein bestimmtes Ziel stark machen, die sehr viel Freizeit investiert haben um sich den notwendigen Sachverstand anzueignen. Die oft von Politiker/-innen wie Verwaltungsmitarbeiter/-innen als „Bittsteller“ behandelt wurden und sich Unterlagen einklagen mussten. Deren Ausdrucksweise aber auch mitunter die Grenze des verbal erträglichen überschreitet. Verletzungen, persönlicher Art, gab es genug. OB Ebling hatte dem Stadtrat empfohlen, dem Bürgerentscheid zum Bibelturm zuzustimmen – dazu bestand ja keine Not. Seine Begründung lautete, er wolle die Stadtgesellschaft „befrieden“. Das wird kaum mit einem Gremium gelingen, in dem von einer handverlesenen Anzahl von Bürger/-innen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit Leitlinien für die Bürgerbeteiligung ausgehandelt werden. Transparenz und vor allem Kommunikation in die Bürgerschaft und eben auch in die Bürgerinitiativen hinein sind für diesen Prozess enorm wichtig. Eine Bürgerversammlung, in der ab und an über den Prozess berichtet wird, ist zu wenig.

| SoS