Im Binger »Schlößchen am Mäuseturm« präsentiert André Choquet eine übersichtliche, klar strukturierte Speisekarte, deren einzelne Gerichte bis ins kleinste Detail feinjustiert sind.
Dieser Frühsommer-Abend hat es in sich. Von der Terrasse des »Schlößchens am Mäuseturm« im Stadtteil Bingerbrück aus genießen wir den grandiosen Blick hinüber zum Rüdesheimer Berg, während eine steife Brise durchs Rheintal weht und wie von Geisterhand ein Weinglas auf unserem Tisch um mehrere Zentimeter zur Seite versetzt. Spürbar bringt der Wind kühlere Temperaturen als in den Vortagen mit sich. Da wir diese außergewöhnliche Atmosphäre nicht missen möchten, suchen und finden wir ein weniger umtostes Plätzchen an einer Hauswand und sind damit sehr zufrieden. Die Erzeugnisse aus Küche und Keller, die wir in der Folge zu uns nehmen, steigern unser Wohlbefinden und unsere Freude weiter.
Als Gruß aus der Küche wird uns selbstzubereiteter Spundekäs’ mit selbstgebackenem Roggen-Sauerteig-Brot serviert. Die filigrane Sprossengemüse-Garnitur auf dem roséfarbenen Frischkäse deutet bereits darauf hin, dass in der hiesigen Küche Wert aufs Detail gelegt wird. Nach diesem gut gelungenen Auftakt widmet sich Mister X der geräucherten Paprikasuppe zu 6,20 Euro, die optisch attraktiv in einem Glas im Glas serviert wird. Selten habe ich in seinen Gesichtszügen eine derartige Wohlgefälligkeit entdeckt, als er diese Vorspeise mit den Worten »sehr intensiv, leicht und schaumig« beschreibt.
Büffelmozzarella mit Ochsenherztomaten
Unser junger Begleiter staunt derweil über seinen Teller mit in Kräuteröl mariniertem Büffelmozzarella, der von Ochsenherztomaten und Basilikumpesto umgeben ist (13,20 Euro). Den Käse empfindet er als »fest, mit leichter Sahnigkeit und feiner Würze«. Das Pesto mit Pinienkernstückchen schmeckt ihm ebenfalls ausgezeichnet, da die Basilikumnote sehr deutlich zum Vorschein kommt. Meine Tiroler Schinkenplatte mit Essiggemüse (8,50 Euro) macht Lust auf weitere kulinarische Erlebnisse. Der geräucherte Schinken mit perfekt abgestimmter Salzigkeit, die kleinen Tomatenhälften, das extrem fein gehackte Schnittlauch, die knackigen Gürkchen und das besagte hausgebackene Brot verdichten sich zu dem Eindruck, dass bodenständige Küche etwas Wunderbares sein kann.
Als Hauptspeise wählt Mister X das kleine argentinische Rumpsteak mit gedünsteten Zwiebeln und selbstgemachter Kräuterbutter. In der 150-Gramm-Fleischvariante ergibt sich ein Preis von 13 Euro, zusammen mit den feinen grünen Bohnen, die X als Extra nimmt, stehen unter dem Strich 16 Euro. »Das Fleisch ist perfekt gegart und ausgesprochen schmackhaft, die Zwiebeln, die in der Tat Schalotten sind, und die Böhnchen umrahmen es brillant«, heißt das Fazit meines immerwährenden Begleiters.
Sensationelle Bratkartoffeln
Unser Tischnachbar hat sich für die Wildbratwurst aus dem Binger Wald mit Bratkartoffeln und Senf zu 12,60 Euro entschieden. Allein das Aussehen der Speise entzückt ihn. Die beiden Würste ruhen auf einem stattlichen Bett wundervoll zart angebräunter Bratkartoffeln, die – wie mein Vis-à-vis sagt – nicht besser schmecken könnten. Die Wurst sei ganz mager, hervorragend gewürzt und lasse einen feinen Wildgeschmack erkennen.
Auch ich bekomme das, was mich aufs Höchste erfreut: »Verschiedene Waldpilze mit Weißwein-Risotto und gehobeltem Parmesan« (12,70 Euro). Das sehr ordentlich dimensionierte Reisgericht ist unglaublich saftig und zeigt eine leichte Zitronigkeit, die wohl zuvorderst vom Weißwein herrührt. Die megafein geschnittenen Gemüseanteile sind bissfest, insgesamt ist eine schöne Würzigkeit festzustellen.
Abgerundet wird X’ Essen im »Schlößchen am Mäuseturm« von einer Sorbet-Variation aus Zitrone, Minze und Buttermilch (natürlich selbstgemacht, 6,30 Euro). Unser Mitgenießer und ich nehmen die kleinen Quarkknödel, die mit frischer, nicht zu süßer Erdbeere und selbigem Saft gefüllt sind und eine Haube aus leicht salzigen Nussbröseln tragen. Vanille-Eis und einige Heidelbeerchen vervollständigen diesen Genuss, den es für 8,20 Euro gibt.
| LOU KULL
ESSEN | 9,0 |
TRINKEN | 9,0 |
SERVICE | 8,0 |
AMBIENTE | 7,5 |
PREIS/LEISTUNG | 8,5 |
GESAMT | 42 : 5 = 8,4 KAPPEN |
FAZIT
Das »Schlößchen am Mäuseturm« von André Choquet, der herausragende Küchenleistungen bringt, ist zweifelsohne ein Edelstein in der Binger Gastronomie. Wir haben es – wenn überhaupt – extrem selten erlebt, dass sich klassische, bodenständige Küche derart feinstabgestimmt präsentieren lässt. Auch in Kleinigkeiten beim Service spürt man, dass man sich in einem Haus befindet, in dem der Gast allererste Priorität hat. Die Terrasse bietet großartige Ausblicke, die Gaststube wirkt ein wenig dunkel und durch das altbackene Interieur zu bieder. Das Angebot an offenen Weinen im Schlößchen ist ungewöhnlich breit und qualitativ hochwertig. Wir probierten den 2017er Riesling QbA trocken von Knewitz in Appenheim (0,2 Liter zu 3,30 Euro), den 17er Chardonnay Gutswein trocken vom selben Weingut (4,70 Euro), den Weißburgunder QbA trocken aus dem Gau-Algesheimer Johannisberg des Weinguts Weber (wiederum 2017, 4 Euro) sowie die 2016er »Graue Eminenz«, eine Grauer Burgunder Spätlese trocken vom Klosterweingut Jakobsberg (3,90). Die Flaschenweinkarte ist eine mittlere Sensation mit hochkarätigen Kreszenzen aus diversen deutschen Anbaugebieten, aus Österreich, Frankreich und Italien. Wer Choquets Küche am Schlößchen-Standort genießen möchte, sollte sich ein wenig sputen. Der Gastronom zieht nach fünf Jahren in diesem Haus zum Jahresbeginn 2019 an die Binger Rheinpromenade, wo er qualitativ sogar noch eine Schippe drauflegen möchte, wie er sagt.