Warum nächtlicher Fluglärm Gefäße und Gehrin schädigt – Mainzer Wissenschaftler entschlüsseln genetische Ursachen – Längeres Nachtflugverbot zum Schutz der Gesundheit notwendig
Sie haben die Wirkung von nächtlichem Fluglärm mit Hilfe eines Tiermodells erforscht, sie haben Mäuse mit Fluglärm beschallt. Welche neuen Erkenntnisse haben Sie dadurch gewonnen?
Prof. Münzel: Unser Ziel jetzt war es festzustellen, ob Fluglärm generell gefäßschädigend ist oder ob Unterschiede zwischen Fluglärm am Tag oder in der Nacht bestehen. Wir haben daher die Tiere entweder in ihrer Wachphase oder in der Schlafphase beschallt. Die überraschende Feststellung war, dass nur die Tiere, die während ihrer Schlafphase beschallt werden, Gefäßschäden und vor allem negative Veränderungen im Gehirn erleiden. Bei diesen wurden mehr Stresshormone freigesetzt, haben sich die Gefäße stärker verengt und wurden vermehrt Entzündungsstoffe produziert. Genau diese Prozesse sind es ja, die zu Arteriosklerose, also Gefäßverkalkung führen, die wir in dieser Form auch von klassischen Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthochdruck, hohem Cholesterin und Rauchen kennen. Fazit: vor allem der Nachtfluglärm ist schädlich.
Bei Mäusen schädigt also der Lärm während der Schlafphase. Menschen sind keine Mäuse, Menschen ärgern sich auch tagsüber über Lärm. Welche Rolle spielt das?
Prof. Münzel: Ärger spielt nicht die entscheidende sondern eher eine verstärkende Rolle. Je mehr ich mich über Lärm ärgere, desto mehr steigt der Blutdruck, desto häufiger tritt z.B. Vorhofflimmern auf, wie wir im Rahmen der Gutenberg Gesundheitsstudie zeigen konnten. Entscheidend war auch hier, dass sich die Teilnehmer der Gutenberg Gesundheitsstudie am meisten über Fluglärm, gefolgt von Straßen- und dann Schienenlärm geärgert haben. Besonders ausgeprägt ist das bei nächtlichem Fluglärm. Das Auftreten von Vorhofflimmern ist hier eindeutig dosisabhängig: Je mehr Lärm desto häufiger ist die Herzrhythmusstörung. Wir haben ebenfalls festgestellt, dass je mehr man sich durch Fluglärm belästigt fühlt umso mehr mit Depressionen und Angststörungen zu rechnen ist. Wichtig in diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass Lärm auch zu mehr Schlaganfällen führt und dies möglicherweise mit dem häufigerem Vorhofflimmern zu erklären ist.
Sie haben bei ihren letzten Untersuchungen ja ein Gen identifiziert, das für Fluglärm bedingte Schäden in Gefäßen und Gehirn verantwortlich ist. Um welches Gen handelt es sich hier?
Prof. Münzel: Die durch Fluglärm ausgelösten Schädigungen in Gefäßen und Gehirn werden durch ein Enzym verursacht, das in Entzündungszellen vorhanden ist, kurz NOX2 genannt. Wenn wir das Gen ausschalten und damit auch das Enzym nicht mehr gebildet wird, sehen wir keine Gefäß- und auch keine Gehirnschäden mehr. Das ist schon faszinierend. Auf der anderen Seite brauchen wir das Enzym, um Bakterien abwehren zu können.
Sie haben auch erstmals Gehirnschäden als Folge von Fluglärm festgestellt.
Prof. Münzel: Das ist richtig. Wir konnten nachweisen, dass Enzyme, die für das Lernen und Gedächtnisleistungen wichtig sind, durch Lärm deutlich heruntergeregelt werden. Das könnte z.B. eine Erklärung dafür sein, warum Kinder, die Fluglärm ausgesetzt sind, Probleme im Bereich Gedächtnis und Lernen bekommen, wie es ja auch bei der NORAH Studie nachgewiesen wurde. Wir wissen nicht – wenn der Lärm weiter besteht – was das für die Kinder langfristig bedeutet. Erholt man sich da wieder, z.B. wenn man einen Ortswechsel vornimmt? Nimmt diese Entwicklung bei weiterer Lärmexposition noch deutlich zu?
Die Universitätsmedizin Mainz hat sich in kurzer Zeit einen Namen in der Lärmforschung gemacht, warum wird im Bereich Umweltschäden intensiver geforscht als in anderen Universitäten?
Prof. Münzel: Ein Punkt ist hier sicher, dass unsere Patienten besonders betroffen sind. Wir sind die einzige Universitätsklinik in Rheinland-Pfalz und liegen nach Öffnung der neuen Landebahn direkt in der Einflugschneise. Wir haben bei Ostwind monatlich bis zu 5000 Überflüge. Start morgens 5 Uhr bis 23 Uhr in der Nacht. Das ist absolut untragbar und gefährdet unsere Patienten. Die von der WHO festgelegten Grenzwerte für Lärmbelastung zwischen 22 bis 6 Uhr werden dabei bis um das Zwanzigfache (!) überschritten.
Was ist zusammengefasst das Neue an ihren Studienergebnissen?
Prof. Münzel: Dass Lärm und Fluglärm ungesund sind, ist schon sehr lange bekannt. Nicht bekannt war, auf welche Weise die Gesundheit geschädigt wird. Das eigentlich Neue an unseren Ergebnissen ist ja zum einen der Nachweis, dass Gefäße und Gehirn spezifisch durch nächtlichen Lärm geschädigt werden. Zum zweiten konnten wir zeigen, welche Mechanismen im Einzelnen dafür verantwortlich sind. Wir müssen uns aber auch weiterhin darum kümmern, die Menschen vor dem Fluglärm zu schützen. Wir brauchen natürlich ein Einfrieren der Zahl der Flugbewegungen und vor allem mehr und längere Ruhe in der Nacht. D.h. das aktuell definierte Nachtflugverbot von 23-6 Uhr muss zu 100% eingehalten werden und noch besser auf den gesetzlich definierten Nachtzeitraum von 22-6 Uhr morgens erweitert werden.
| PN