Ein Essay im ZEIT-Magazin Nr. 16 ist mit »Meine Radikalisierung« überschrieben. Der Journalist beschreibt, wie und warum er allmählich immer häufiger Rad anstatt Auto fuhr.

So soll es vielen Menschen ergangen sein, auch schon in Vor-Corona-Zeiten. So weit so unspektakulär. Erhellend zu lesen ist, wie Henning Sussebach allmählich feststellt, dass er als Radfahrer immer der Arsch ist. Damit einher geht seine »Radikalisierung«, wie er es nennt. Er findet es nicht in Ordnung, von Autofahrenden missachtet und gefährdet zu werden, also fängt er an sich zu wehren – in dem er schimpft und flucht, sich mit Autofahrer/-innen anlegt und dabei regelmäßig den Kürzeren zieht. Seine »Radikalisierung« beim Radfahren richtet sich gegen die Platzhirsche im Verkehrsraum, Menschen, die Auto fahren. Bei denen die Verkehrswende noch nicht in den Köpfen angekommen ist. Die immer noch nicht begreifen, dass alle Nutzer/-innen des Straßenraums die gleichen Rechte haben. Selbstverständlich auch die gleichen Pflichten.

Radikalisierung beim Radfahren

Hier beginnt meine »Empörung« gegenüber denjenigen, die ich als Radlerin im Straßenraum eigentlich als Mitstreiter/-innen sehe: Radelnde. Auch die mit E-Antrieb, mit den Monsterreifen und die ganz schnellen. Die haben tatsächlich alle die Pflicht, die Straßenverkehrsordnung einzuhalten. Bei Rot an der Ampel anhalten, Zufußgehende auf dem Bürgersteig nicht aus dem Weg klingeln, Rechts vor Links beachten – auch wenn von rechts »nur« ein Fahrrad kommt, den Radweg nur in Fahrtrichtung benutzen (außer die Kennzeichnung erlaubt das Radeln in zwei Fahrtrichtungen), über Fußgängerüberwege nicht einfach brettern und andere Verkehrsteilnehmer/-innen so zum Anhalten zwingen… Begegne ich Radelnden, denen es wurscht ist, ob sie andere durch ihr Verhalten einschränken, empöre ich mich und muss viele Gehirnzellen aktivieren, dass ich es bei dezenten Hinweisen »Hallo, Sie fahren auf der falschen Straßenseite« belasse. Hinweise, die bei der Bordsteinkante ebenso viel Gehör finden.

Menschen, die sich über ihre Pflichten hinwegsetzen, können keine Mitstreiter/-innen sein, geht es darum, Verkehrsräume neu aufzuteilen. Sie bieten den Autofahrenden nur die Möglichkeit mit dem Finger auf uns zu zeigen und zu sagen »Guckt euch die an, machen, was sie wollen und uns nehmen sie Fahrbahnen und Parkplätze weg.« Ja, die Verkehrswende muss in den Köpfen der Autofahrenden ankommen, aber auch in den Köpfen der Zweiradfahrenden. Eben mal schnell mit dem Rad Brötchen holen – ist umweltschonender und geht schneller als mit dem Auto. Erst recht, wenn das Rad im Eingang der Bäckerei abgestellt wird, wenn auf dem Hin- und Rückweg rote Ampeln keine Rolle spielen und der Bürgersteig als Radweg missbraucht wird: Rücksicht auf andere? Wieso, ich fahr doch Fahrrad! Das ist eine Haltung, die empört.

| SoS

 

Radfahrende: Seht zu, wie ihr klarkommt!