Wo früher die Profis kickten, befindet sich heute das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) des Vereins. Der MAINZER sprach mit dessen Leiter Volker Kersting über Philosophie und Herausforderungen seiner Arbeit.

»Mainz ist ein Aus- und Weiterbildungsverein« – Diesen Satz hört man oft, wenn man über die Struktur und Situation des FSV Mainz 05 diskutiert. Besonders dann, wenn man sich wieder einmal von einem jungen Leistungsträger verabschieden muss: André Schürrle, Jan Kirchhoff, Florian Müller, und Ridle Baku seien hier beispielhaft genannt. Andere, wie Stefan Bell, Robin Zentner, Leandro Barreiro und Jonathan Burkardt tragen (noch) das rot-weiße Trikot. So unterschiedliche ihre Biografien sind – sie haben alle eines gemeinsam – eine Ausbildung im Mainzer Nachwuchsleistungszentrums (NLZ).

MAINZER: Her Kersting, Sie sind seit fast 30 Jahren bei Mainz 05 und haben die Entwicklung des NLZ von Anfang an miterlebt. Was hat sich in dieser Zeit geändert?

Volker Kersting: Vor ungefähr20 Jahren begannen DFB und DFL den Aufbau von Leistungszentren im Profibereich zu forcieren. Auch in Mainz begannen wir, nachdem die Profis in die 1. Bundesliga aufgestiegen waren, die Nachwuchsarbeit neu zu organisieren. Ich denke da mit gemischten Gefühlen an unsere Container hinter der Haupttribüne zurück, in denen alles begann. Eine Heizung hatten wir dort zwar nicht, aber viele Ideen, die wir nach und nach umsetzen konnten. 2012 kam dann der Umzug in die Haupttribüne am Bruchweg. Hier haben wir jetzt genug Räume für Verwaltung, Training und vor allem: für die Jugendlichen.

Der Verein hat in dieser Zeit auch eine spezielle Ausbildungsphilosophie entwickelt. Wir legen neben der sportlichen Entwicklung auch großen Wert auf die schulische und berufliche Ausbildung und sind daher froh, dass wir mit zwei Schulen eng zusammenarbeiten können. Schule kommt bei uns nicht hinter dem Sport – sie ist ein zweites Standbein. Daher bieten wir auch Hausaufgabenbetreuung und individuelle Nachhilfe an. Dazu kommt noch ein dritter Aspekt unserer Philosophie: Die Persönlichkeitsentwicklung. Teamgeist und Kommunikationsfähigkeit kommen nicht von allein.

Ein eigenes Internat hat der Verein aber nicht?

Volker Kersting: Nein, wir arbeiten sehr gut mit dem Mainzer Kolping-Haus zusammen, sind aber der Meinung, dass die Nähe zu den Eltern und dem Elternhaus auch wichtig ist. Viele Aspekte eines Internats finden sie auch im Betreuungsangebot des NLZ wieder.

Als verantwortlicher Leiter müssen sie doch Fachmann in den verschiedensten Bereichen sein: Fußball, Sportwissenschaften, Pädagogik, Jugendpsychologie, Management, europäisches Arbeitsrecht – wie haben Sie das geschafft?

Volker Kersting: Ich bin breit aufgestellt und in vieles reingewachsen bzw. mitgewachsen. Außerdem habe ich ein großes Team, das mich sehr gut unterstützt. Klar: Wir stehen ständig vor neuen Herausforderungen in unserem Zentrum.

Um wie viele Spieler und Teams müssen Sie sich zurzeit kümmern?

Volker Kersting: Wir haben zehn Mannschaften im Juniorenbereich – von der U 9 bis zur U 19 – außerdem noch unsere U 23. Aktuell bilden wir etwa 200 Jugendliche und junge Erwachsene in unserem Leistungszentrum aus. Dazu kommen noch die »05er Fußballschule« und diverse Sichtungsmaßnahmen.




Die U 9 sind die Jüngsten – wie kommt jetzt ein junger Fußball in dieses Team?

Wir bieten für diese Altersstufe Schnuppertrainings-Einheiten an, für die sich jeder (über das Internet) anmelden kann. Daneben haben wir noch unser U 8 Perspektivteam, das ins wöchentliche Fördertraining kommt. Im Sommer finden außerdem die »Mini-Kicker-Tage« statt. Hierzu können sich Spieler aus den Bereichen U 8 / U 9 anmelden, einen Trainingstag bei uns erleben und sich dabei für eines unserer Teams empfehlen.

Da ist immer Eigeninitiative von Seiten der Kids gefragt. Hat Mainz 05 auch Scouts, die sich nach Nachwuchsspielern um­sehen?

Selbstverständlich. Die Arbeit unserer Scouts beschränkt sich aber zunächst einmal auf die Region um Mainz und beginnt im Bereich U 10 / U 11. Hierbei legen wir großen Wert auf die Zusammenarbeit mit den Eltern und den Vereinen vor Ort.

Was hat man da konkret unter »Region« zu verstehen?

Das steigert sich: bei U 10 / U 12 haben wir einen Radius von rund 50 km um die Stadt, bei U 14 dann schon bis zu 250 km. Darüber hinaus gehen wir nicht – wir sind auch bei den Älteren nicht bundesweit tätig. Sie haben sich vor einiger Zeit kritisch über einige Spielervermittler geäußert. Ja, es kommt leider immer wieder vor, dass die jungen Spieler über die sozialen Medien in eindeutiger Absicht kontaktiert werden. Man will die Jungs durch Beraterverträge binden oder aber, im Extremfall, abwerben. Eine höchst fragwürdige Praxis. Hier ist es wichtig, dass alle Profivereine an einem Strang ziehen – dazu sind wir alle moralisch verpflichtet.

Die meisten Jugendspieler wollen sicherlich Profi werden – wie viele schaffen es wirklich?

Unser Ziel ist es, dass jedes Jahr mindestens ein Spieler in den Profi-Kader wechselt. Wenn mehrere einen Vertrag bekommen, ist das natürlich umso besser. Gerade weil aber die große Mehrzahl im Amateurbereich bleibt, legen wir so großen Wert auf die parallele schulische und berufliche Aus­bildung. Selbstverständlich zeigen wir unseren jungen Spielern immer wieder ihre Perspektiven auf: Jeder weiß, wo er steht und was er unter welchen Voraussetzungen noch erreichen kann.

Herr Kersting, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen dem Zentrum ein erfolgreiches neues Jahr.

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Mainz 05 – Rückblick und Kaderplanung im Zeichen der Pandemie