Mainzer Leben: es hat sich viel verändert, aber manche wollen es (noch?) nicht wahrhaben. Närrische Proklamation? Weihnachtsmarkt-Eröffnung? Konzert-Planungen? Abwarten heißt das Gebot der Stunde.

Die Existenz vieler Gewerbetreibenden und Kulturschaffenden steht auf dem Spiel oder hat sich in der Insolvenz aufgelöst. Kurzarbeit, Home-Office, Kinderbetreuung, Urlaubsplanung? Wir haben alle viel gelernt und sind aus vielen Gewohnheiten herausgerissen worden. Es entstand viel Neues, manches konnte aufgrund der Entwicklungen des Infektionsgeschehens nicht fortbestehen. Lebens- und Hochzeits-Planungen wurden angepasst, alte und neue Ängste um die Gesundheit und die Rückzahlung von Krediten führen zu Albträumen.

Politik und Stadtverwaltung müssen, wie jeder Bürger, jede Bürgerin, immer aufs Neue reagieren. Mit welchen Aktionen können die Gewerbetreibenden unterstützt werden? Wo werden Kulturschaffenden Auftritts- und Präsentationsflächen geboten? Manche Pläne waren noch nicht ausformuliert, da mussten sie ad acta gelegt werden. Die Zahl der Neuinfektionen steigt rasant – was im November 2019 völlig normal war, ist im November 2020 nicht vorstellbar.

Mit Narrenkappe vor dem Bildschirm

Es soll Fastnachts-Begeisterte geben, die sich schon immer kostümiert haben, wenn sie sich vor dem Bildschirm für die Fernseh-Sitzung versammelten. Am 11.11. 2020 dürften diesen Brauch viele übernehmen (müssen).

»Alles wie immer und doch alles anders«: Das Motto des Mainzer Carneval-Vereins (MCV) zur diesjährigen närrischen Proklamation am 11.11. um 11 Uhr 11 im Osteiner Hof am Mainzer Schillerplatz passt. Das übliche Ramba-Zamba ist in diesem Jahr nicht möglich, also hat sich der MCV mit anderen Fastnachtsvereinen und dem SWR Fernsehen zusammengetan: die Närrische Proklamation wird am 11.11.20 live im Fernsehen übertragen! Die Verlesung der Narren-Charta übernimmt die Mainzer Klepper-Garde 1856 e.V., die in der kommenden Kampagne 165-jähriges Jubiläum feiert. Mit einem kurzen närrischen Programm werden u.a. Thomas Becker (GCV), Florian Sitte (MCC), Johannes Bersch (KCK) und Fernsehsitzungspräsident Andreas Schmitt (MCV) für fastnachtliche Stimmung sorgen. Je nach Witterung kann neben der Belle Etage auch der Innenhof des Osteiner Hofs für die Proklamationsfeier genutzt werden. Dort könnten dann auch Gesangsgruppen wie die Mainzer Hofsänger des MCV zum stimmgewaltigen Einsatz kommen.

Weihnachts- & Wochenmarkt?

Sie hängen seit Jahren zusammen, der Mainzer Weihnachtsmarkt und der Mainzer Wochenmarkt. Die Wochenmarkt-Beschicker/-innen räumen, in normalen Zeiten, ab Ende November ihre Standorte auf Dom- und Liebfrauenplatz, damit hier die Weihnachtsmarkt-Beschicker/-innen Geld verdienen können und verteilen sich auf Theater- und Gutenbergplatz sowie in der Schöfferstraße bis zum Leichhof. Dieses Jahr ist auch das anders. Schon seit März sind die Wochenmarkt-Stände großräumig platziert vom Liebfrauen- bis zum Gutenbergplatz.

Findet der Weihnachtsmarkt statt, müssen die Obst- und Gemüsestände komplett weichen, auf den Ernst-Ludwig-Platz – wenn, ja wenn. Ende Oktober ist nicht damit zu rechnen, dass das Konzept für den Weihnachtsmarkt ab Ende November umgesetzt werden kann. Aber es könnte sein, dass die Infektionszahlen zurückgehen und dann vielleicht die Verwaltung zulässt, dass ab Mitte Dezember ein über die Innenstadt verteilter Weihnachtsmarkt stattfinden kann. Planungssicherheit für die Anbieter/-innen von Glühwein, Christstollen, Kerzen, Kugeln und Geschenkartikeln sieht anders aus. In der Luft hängen bleiben auch die Wochenmarktbeschicker/-innen und hoffen, dass ihre Kundschaft im Fall der Fälle bereit ist, ihnen auf den Ernst-Ludwig-Platz zu folgen. Eines ist Ende Oktober aber sicher: Der Verkaufsoffene Sonntag, der zum Start des Mainzer Weihnachtsmarkts Ende November geplant war, findet NICHT statt.

Jazz Acts: Absurdes Theater?

32 Jahre lang hat die Jazz Initiative Mainz (JIM) dafür gesorgt, dass bekannte und weniger bekannte Jazz-Acts in Mainz stattfinden konnten. Ende September 2020 entschied der gemeinnützige Verein in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung, dass dies bis auf weiteres nicht mehr möglich ist. Die Konzerte im Herbst 2020 sind bereits abgesagt, voraussichtlich werden Ende November die Absagen für die bereits gebuchten Konzerte im Frühjahr 2021 rausgehen. Alle gebuchten Bands werden entschädigt. Die geltenden Corona-Hygienebestimmungen für Veranstaltungen machten es unmöglich, Konzerte durchzuführen, erklärte Dr. Jörg Heuser dem MAINZER.

Ein Großteil der JIM-Konzerte findet im Mainzer Haus der Jugend M8 statt. Hier könnten selbst im großen Saal allenfalls noch 49 Menschen einem Konzert beiwohnen: »Das ist absurdes Theater! Solche Konzerte leben davon, dass die Leute relativ nah beieinander sind, dass mit den Musikern gesprochen werden kann – das fällt alles weg.« Der JIM-Vorsitzende und -Gründer hatte bereits im Sommer gemeinsam mit weiteren rheinland-pfälzischen Initiativen aus der freien Kreativ- und Kulturszene von Landes- und Bundespolitiker/-innen gefordert, die Hygieneverordnungen für kleine Veranstaltungen auszusetzen.

Die Clubs seien am Sterben oder bereits tot, die Bands mangels Auftrittsmöglichkeiten ihrer materiellen Grundlagen beraubt. »Wir wollen keine Hilfsgelder, wir wollen auftreten« spitzte Heuser, der selbst als Jazz-Gitarrist auftritt, zu. Er fordert die politisch Verantwortlichen dazu auf, für Veranstaltungsformate bis 200 Gäste die Hygiene-Vorschriften so abzuändern, dass diese »kleinen« Konzerte etc. stattfinden können. »Während die ›Staatskultur‹ mit Subventionen am Leben gehalten wird, wird die freie Kulturszene abgeschafft«, so Heuser.

Anlässlich der Sondersitzung Ende September 2020 beschlossen die JIM-Mitglieder, dass Stadt und Land die Rahmenbedingungen so verändern müssten, dass Kultur stattfinden könne. U.a. sollten ehrenamtliche Veranstalter/-innen von der Benennung eines/einer Verantwortlichen für die Durchführung von Veranstaltungen befreit werden. Außerdem brauche es personelle Unterstützung, um die Einhaltung von Corona-Regelungen zu kontrollieren, das könnten Ehrenamtler/-innen nicht alleine stemmen.

PAD: ES könnte weiter gehen

Das pad e.V. hat zwar keine eigene Spielstätte mehr, aber ein Büro in der Neustadt-Ortsverwaltung und hofft 2021 wieder spielen zu können. Das pad-Foyermobiliar ist als Einrichtung des Bürgercafés im Einsatz, die Leuchtreklame lagert dort im Gewölbekeller; die 2020er Eigenproduktion des pad, eine szenisch/performative Lesung zur Person von Dietrich Bonhoeffer wird wohl erst 2021 auf der Bühne präsentiert. »Ob wir dieses Projekt dann im KUZ präsentieren werden, oder an einem anderen Ort in Mainz, können wir
zurzeit noch nicht sagen. Wir arbeiten allerdings an einer Videoauskopplung«, schreibt Nic Schmitt. Außerdem hat das pad eine live-stream-Reihe gestartet. Geplant ist, dass das Internationale Tanz- und Performance Festi­val 2021 auf jeden Fall wieder stattfindet, ein Corona-taugliches Konzept ist in Arbeit.

Langfristig hoffen die PAD-Leute, in der künftigen Kulturbäckerei eine neue Herberge für ihre Veranstaltungen und Produktionen zu finden.

|Marion Diehl (SoS)