Alle sind dagegen. Dennoch muss die Fahrpreiserhöhung für Busse und Bahnen in Mainz zum 1. Juli 2022 umgesetzt werden. Den Verantwortlichen bei der Mainzer Mobilität sind die Hände gebunden.

Es geht um Verkehrspolitik. Trotzdem herrscht in den politischen Reihen Einmütigkeit. Mit der Fahrpreiserhöhung im ÖPNV zum 1. Juli 2022 ist in Mainz niemand einverstanden. Logisch: Mainz soll bis 2035 Klimaneutral werden. Der ÖPNV spielt dabei eine wichtige Rolle. Hohe Fahrpreise aber wirken abschreckend auf diejenigen, die Bus und Bahn nutzen und ihr Auto stehen lassen wollen. Das sind Tatsachen. Die Fahrpreise werden am 1. Juli 2022 gleichwohl erhöht.

Auf dem Foto: Jochen Erlhof und Berit Schmitz (Geschäftsführung Mainzer Mobilität) blicken trotz vieler Herausforderungen optimistisch in die Zukunft des ÖPNV.

Warum das so ist, erläutern Jochen Erlhof und Berit Schmitz im Telefoninterview mit dem MAINZER. Die Geschäftsführung der Mainzer Mobilität blickt trotz Fahrpreiserhöhungen, sinkendem Fahrgastaufkommen aufgrund der Corona-Pandemie und entsprechend steigenden Defiziten optimistisch in die Mainzer ÖPNV-Zukunft.

Die Mainzer Mobilität bildet mit ESWE-Verkehr den Verkehrsverbund Mainz-Wiesbaden (VMW). Mainz und Wiesbaden sind Mitglied im Rhein-Main-Verkehrsverbund RMV, der VMW ist mit diesem über einen Kooperationsvertag verbunden. Über die Fahrpreise im RMV und damit auch im Tarifsystem der Mainzer Mobilität entscheidet der Aufsichtsrat des RMV mit den Vertreter:innen der beteiligten Gebietskörperschaften und dem Land Hessen. Mainz hat im RMV-Aufsichtsrat einen »Gaststatus«, die Mainzer Verkehrsdezernentin hat kein Stimmrecht, da Mainz nicht in Hessen liegt.

Vier Preissteigerungen in nur zwei Jahren

Grundsätzlich, so Jochen Erlhof, müssen in einem Verkehrsverbund immer Vorteile und Nachteile gemeinsam betrachtet werden. Der RMV habe für die Fahrgäste erhebliche Vorteile – sie können z.B. mit einem Fahrschein von Mainz-Ebersheim nach Frankfurt-Rödelheim fahren. Der Nachteil dieser Kooperation ist, die Mainzer Mobilität muss auch Entscheidungen mittragen und umsetzen, die sie für falsch hält. Wie die zusätzliche Fahrpreiserhöhung zum 1. Juli. Die Mainzer Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger hat, wie ihr Wiesbadener Kollege Andreas Kowohl, diese Preiserhöhung als das falsche Signal für die Stärkung des ÖPNV bezeichnet. Ändern können die beiden Kommunalpolitiker:innen aber an der Preiserhöhung ebenso wenig wie die beiden Geschäftsführer:innen der Mainzer Mobilität. »Wenn wir wieder alles, auch die Preisgestaltung selbst bestimmen wollten, müssten wir aus dem RMV austreten«, sagt Jochen Erlhof.

Die sachliche Begründung für die Preiserhöhung, die Preissteigerungen bei Personal und Energie, sei nachvollziehbar, ergänzt Berit Schmitz, aber: »Vier Preissteigerungen in nur zwei Jahren, konterkarieren unser Ziel, mehr Fahrgäste zu bewegen, vom eigenen Auto auf den ÖPNV umzusteigen.« Zumal die vergangenen Preissteigerungen mit jeweils 1,5 % zum Jahresbeginn moderat ausfielen, im Gegensatz zu der Steigerung um ca. 3,9 % zum 1. Juli. 2022. »Diese Entscheidung und der Zeitpunkt ist überwiegend politisch motiviert«, ist sich die Geschäftsführung der Mainzer Mobilität sicher.

Busse verbinden Stadt und Umland besser
Zum 1. April 2022 verlängert die Mainzer Mobilität einige ihrer Bus­linien in den Landkreis Mainz-Bingen. Aus vielen Umlandgemeinden werden Ziele in Mainz direkter und besser angebunden. Außerdem bindet die Linie 54 in Gustavsburg künftig die dortigen Industrie- und Ge­werbegebiete durch die neue Bahnunterführung an das Busnetz an. Informationen, auch Skizzen zu den neuen Linienwegen, stehen unter www.mainzer-mobilitaet.de/april22 zur Verfügung.

Ungewöhnlich ist es, dass der RMV-Aufsichtsrat einer zweiten Preissteigerung innerhalb eines Kalenderjahres zustimmt. Insider erkennen hier politische Interessen der hessischen Landesregierung und des Frankfurter Oberbürgermeisters. Der hessische Verkehrsminister Tarek Al Wazir (Grüne) möchte, dass seine Partei auch nach den Landtagswahlen 2023 der Landesregierung angehört, der Frankfurter OB Peter Feldmann (SPD) möchte 2024 wiedergewählt werden. Beiden wird unterstellt, dass sie höhere Tarifsteigerungen im RMV in Wahljahren vermeiden wollen und die Preissteigerung deshalb vorziehen. Obwohl in politischen Sonntagsreden der Umstieg vom Auto auf den ÖPNV propagiert wird und die abschreckende Wirkung hoher Fahrpreise bekannt ist. »Das öffentliche Reden in Hessen und das Handeln passen hier nicht zusammen«, stellt Mainzer Mobilität-Geschäftsführer Erlhof fest.

Der Preis für die Einzelfahrkarte in Mainz/Wiesbaden ist am 1. Januar 2022 von 2,90 € auf 3,00 € gestiegen und steigt am 1. Juli 2022 auf 3,20 €. »Besonders die Erhöhung beim Einzelfahrschein ist kontraproduktiv«, so Berit Schmitz, denn der Preis habe einen hohen Symbolwert. Er gilt als Einstieg, um Menschen zu bewegen ÖPNV statt Auto zu fahren, stellt ein Bindeglied zu den Zeitkarten dar. »Das widerspricht den politischen Erklärungen zum Klimaschutz.« Zum Glück, so Schmitz, könne die MVG mit ihrem »Unikat« im RMV, der 5er Sammelkarte, dagegenhalten. Die Sammelkarte gilt nur im VMW, deshalb hat der RMV auf die Preisgestaltung keinen direkten Einfluss. Sie kann für 11,50 € an den hiesigen Fahrkartenautomaten, in den Vorverkaufsstellen und über die MVG-App gekauft werden. Die Fahrt kostet damit 2,30 Euro, ist aktuell 70 Cent und ab 1. Juli sogar 90 Cent günstiger, als der Einzelfahrschein.

»Die Sterne stehen gut für den ÖPNV«

Dass die Lage im ÖPNV – nicht nur in Mainz – angespannt ist, belegen Fahrgastzahlen (2020 40 % geringer im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten) und das stetig steigende Defizit (von 15 Mio. Euro auf 22 Mio. Euro 2020). Die Mainzer Stadtwerke AG wird auf Dauer die Defizite nicht allein stemmen können, sind sich Erlhof und Schmitz sicher. Die Stadt Mainz, der Bund und das Land seien gefragt, um eine solide Finanzierung des ÖPNV langfristig sicherzustellen.

Trotz der enormen Herausforderungen, wie die Erhöhung der Fahrgastzahlen für die Mobilitätswende, den Ausbau des Straßenbahnnetzes, die klimafreundliche Umstellung des Fuhrparks, ist die Mainzer Mobilität auf Wachstum eingestellt, so Erlhof und Schmitz. »Diese Herausforderungen waren ein Grund, warum ich von der Luftverkehrssparte in den Öffentlichen Nahverkehr gewechselt bin«, sagt Berit Schmitz, und meint, »die Sterne stehen gut für den ÖPNV.« Die Geschäftsführerin ist überzeugt, dass der pandemiebedingte Fahrgastverlust ausgeglichen wird. Z.B würden die Studierenden, sobald sie in den Präsenzunterricht zurückkehren könnten, auch wieder Bus und Bahn fahren. Außerdem habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Einhaltung von Klimaschutzzielen ohne attraktiven ÖPNV nicht funktioniere.

Ganz konkret bewerten Schmitz und Erlhof auch die Verbesserung des ÖPNV im Landkreis Mainz-Bingen positiv. Ab 1. April 2022 werden Stadtbuslinien in den Landkreis ausgeweitet (siehe Infokasten) und ab Oktober 2022 wird sich die neugegründete »Kommunalverkehr Rhein Nahe GmbH« um den ÖPNV in den Landkreisen Mainz-Bingen, Bad-Kreuznach und der Stadt Bad-Kreuznach kümmern.

Ein anderes ÖPNV-Dauerthema, die Diskussion über ein 365-€-Ticket, sehen Erlhof und Schmitz kritisch. In Mainz konzentriert sich die Debatte aktuell auf ein 365-€-Ticket für Schüler:innen und Azubis, das es in Wiesbaden bereits gibt. Die Beförderung der Schüler:innen sei der teuerste Verkehr, weil alle in den Spitzenzeiten morgens und nachmittags befördert werden müssen – just zu der Zeit, in der auch die Pendler:innen unterwegs sind. Das Verkehrsunternehmen stößt hier an Kapazitätsgrenzen und muss bei mehr Schülerverkehren das Angebot ausweiten, was Geld kostet. Aufgrund der verbesserten finanziellen Situation der Stadt Mainz sei aber ein 365 Euro-Ticket für Schüler:innen auch in Mainz wahrscheinlich möglich, meinen Erlhof und Schmitz. Wenn die Kosten der Mainzer Mobilität dafür über den städtischen Etat ausgeglichen werde.
| SoS

MainzZero fordert gemeinsam mit anderen Klimaschutzinitiativen die Rücknahme der Preiserhöhung im RMV-Verbund und ein 365-Euro-Jahresticket für alle:
www.klimaentscheid-mainz.de/…

 

ÖPNV: App Mainzer Mobilität