Die Boulevard Lu GmbH & Co. KG aus Ingelheim hat ein Nutzungskonzept für den Immobilienkomplex Karstadt/Parkhaus/Deutsche Bank in Mainz vorgestellt. Die Gebäude sind eingefasst von Ludwigs- und Fuststraße, Bischofsplatz, Eppichmauer- und Weißliliengasse.

An der Bebauung hatte sich zuletzt der Hamburger Projektentwickler ECE versucht. Über die Nutzung gibt es seit Jahren Diskussionen, ein intensiver bürgerschaftlicher Dialog endete mit der Vereinbarung von Leitlinien, die z.T. durch die politischen Gremien (Stadtrat) verändert wurden. Mehr Wohnraum, öffentliche Durchwegung und Platzgestaltung sind die wesentlichen Forderungen, die u.a. von der »BI Lu« vorgetragen werden. Auf der anderen Seite steht das Bestreben des jeweiligen Investors, möglichst viel Fläche möglichst gewinnbringend zu nutzen.
Die Politik sitzt seit Jahren zwischen den Stühlen: der »Schandfleck« muss weg, da sind sich alle Parteien einig. Kosten darf es die Stadt nichts, auch darüber herrscht Einigkeit. »Wünsche«, wie attraktiver Einzelhandel, Aufenthaltsqualität, Wohnungen, öffentliche Plätze, werden – durchaus auch innerhalb der Parteien – unterschiedlich stark akzentuiert.

Nachdem die J. Molitor GmbH 2016 die Grundstücke erworben hatte, herrschte Stillschweigen. Hinter den Kulissen wurde verhandelt, das war klar. Klar war auch, zuerst muss Karstadt-Eigentümer Benko entscheiden, ob Karstadt an dem Standort bleibt und das Bistum Mainz muss entscheiden, ob das Wohnhaus an der Fuststraße veräußert wird.

Am 29. März 2019 war es soweit, das »Nutzungskonzept« für »Lu erleben« wurde vorgestellt. Es folgten sehr viel Lob, Irritationen und Kritik, auch weil die Boulevard Lu GmbH & Co. KG mit ihrem Nutzungskonzept direkt an die Öffentlichkeit ging, anstatt zuerst die Fraktionen im Mainzer Stadtrat zu informieren. Die müssen die politischen Weichen stellen, damit das Nutzungskonzept realisiert werden kann.

DER MAINZER sprach Mitte Mai mit den drei Geschäftsführern der beteiligten J. Molitor Immobilien GmbH, Dirk Gemünden, Tim Gemünden und Tina Badrot am Firmensitz in Ingelheim, über »Lu erleben«.

Zeitpunkt und Rahmen für die Veröffentlichung: Warum Ende März 2019 und warum in Form einer Pressekonferenz?

Tim Gemünden: »Wir waren zu diesem Zeitpunkt handlungsfähig und in der Lage darüber zu sprechen.«

Dirk Gemünden: »Zu diesem Zeitpunkt war die Sachlage mit unseren Mietern zu wichtigen Teilen vorgeklärt. Wir haben einen langfristigen Mietvertrag mit dem Ankermieter Karstadt und wir haben die Deutsche Bank als Hauptmieter im Komplex an der Weißliliengasse. Mit diesen Mietern mussten wir zunächst einig werden, denn eine Weiterentwicklung an der Ludwigsstraße ist nur gemeinsam mit den langfristigen Mietern möglich. Dann gab es noch die ‚Bischöfliche Domkirche St. Martin in Mainz‘, mit der wir eine Projektgesellschaft gegründet haben, um das derzeitige Wohn- und Geschäftshaus in unser Nutzungskonzept integrieren zu können. In dem Moment, in dem dies geklärt war, sind wir an die Öffentlichkeit gegangen.«

Tina Badrot: »Wir wollten die Chance nutzen, das Projekt als Eigentümer selbst vorzustellen. Gleichzeitig stellte sich die Frage, wie stellen wir hier Transparenz für eine möglichst breite Öffentlichkeit her, um alle zum gleichen Zeitpunkt im gleichen Maße zu informieren, also haben wir den Weg über die Medien gewählt und zu einer Pressekonferenz eingeladen.«

Die Eigentümer Drei Projektgesellschaften sind beteiligt:

  1. Karstadt Sport und Gebäude Bischofsplatz 12: Fuststraße Entwicklungs GmbH & Co. KG (50 % Anteil Bischöfliche Domkirche St. Martin zu Mainz, 50 % RNI GmbH:Sparkasse Rhein-Nahe und J. Molitor Immobilien GmbH jeweils zu gleichen Teilen;
  2. Karstadt-Gebäude: Boulevard Lu GmbH & Co. KG (90 % RNI GmbH, 10 % ECE);
  3. Deutsche Bank-Gebäude: PG Weißliliengasse GmbH & Co. KG (100 % RNI GmbH).

Sie haben ein »Nutzungskonzept« vor­gestellt: Was bedeutet das?

Tina Badrot: »Es geht dabei um die Frage, wie wir wieder Frequenz an die Ludwigsstraße bringen wollen, es geht ausdrücklich noch nicht um architektonische Gestaltung. Unser Nutzungskonzept basiert auf knapp zwei Jahren Arbeit, in der wir, gemeinsam mit Stadtplanern, Architekten und Handelsexperten und mit lokalen Akteuren analysiert haben, wie der Einzelhandel der Zukunft aussehen kann, wie es gelingt, im Zeitalter von wachsendem Online-Handel den stationären Einzelhandel so zu gestalten, dass er heute funktioniert und in fünf bis zehn Jahren immer noch und warum ein Mensch in die Stadt gehen und etwas einkaufen soll, wenn er das mit ein paar Klicks von zuhause aus erledigen kann. Ein aus unserer Sicht ganz wichtiger Aspekt dabei ist, dass Menschen – und die Mainzer vielleicht noch mal mehr als andere – etwas erleben möchten, wenn sie in der Stadt sind und einkaufen. Deshalb basiert unser Nutzungskonzept auf den Pfeilern ›Shopping, Genuss und Kultur‹, es soll neuen Raum für Mainzer Lebenslust schaffen.

Diese drei Pfeiler mussten natürlich mit den baulichen Rahmenbedingungen zusammengefügt werden – und hier haben wir uns auch den Stadtratsbeschluss von 2017 genau angeschaut, uns mit den politischen Vorgaben beschäftigt, mit den Forderungen der BI-Ludwigsstraße auseinandergesetzt, dabei die Pavillon-Struktur analysiert – und noch einmal: Wir haben keine architektonische Gestaltung entwickelt, sondern ein Nutzungskonzept, aber mit fest umrissenen Vorstellungen, die auch von den langfristigen Mietern mitgetragen werden.«

Wie sieht der Einzelhandel der Zukunft aus?

Tina Badrot: »Aus vielen Gesprächen mit Einzelhandelsexperten wissen wir: Der Einzelhandel beansprucht künftig weniger Fläche und hat mehr Ausstellungscharakter mit kleineren Geschäften, in denen nur noch Einzelteile ausgestellt sind, die nach Maß der Kunden angefertigt werden – Sie bekommen dann die Hose und das Kleid nach Hause geliefert. Oder die Geschäfte haben an einem anderen Ort ein Lager, von dem aus wird die Jacke in der von Ihnen im Geschäft ausgesuchten Größe und Farbe zu Ihnen nach Hause geliefert – das klingt jetzt vielleicht noch utopisch, wird aber längst praktiziert. Dazu passt der geplante Logistik Hub, den wir in einem Teil des bisherigen Parkhauses einrichten wollen: Dort werden die Einkäufe gesammelt und dann nach Hause geliefert – so kann Einkaufen wieder richtig Spaß machen und wir erleichtern es den Kunden, sich für den ÖPNV zu entscheiden! Dieser Hub ist übrigens ein Angebot an alle Einzelhändler in der Innenstadt – nicht nur an unsere Partner.«

Bestandteile des Nutzungskonzepts

Pop-up-Halle, Event-Freitreppe, Dach­terrasse, Hotel mit ca. 150 Zimmern, Kultur, »Tresor« (Club), Wohnungen (für Bistums-Mitarbeitende), Einzelhandel (15.000 qm, davon 6.400 qm Karstadt), Gastronomie, Deutsche Bank. 

Wie groß wird »Boulevard Lu«?

Tim Gemünden: »Wir verzichten auf viele Quadratmeter, z.B. nach vorne zu den Platanen hin, wir halten mehr Abstand zu den Bäumen als die ECE-Planungen vorgesehen haben und der Stadtratsbeschluss es uns erlaubt. Die Pop-up-Halle ist durchgängig nach oben offen – auch hier hätten wir mit einem anderen Konzept mehr vermietbare Fläche untergebracht. ECE wollte ursprünglich 30.000 qm für den Einzelhandel, der Stadtrat hat 17.000 qm als Obergrenze festgeschrieben, wir planen bis zu 15.000 qm – hinzu kommen noch die Flächen für Kultur, Gastronomie, Wohnen, das Hotel und die Deutsche Bank.«

Wie geht es weiter?

Tim Gemünden: »Wir konzentrieren uns gemäß den bisherigen Vorgaben auf den Bereich zwischen Gutenbergplatz und Weißliliengasse/Große Langgasse. An den Gebäuden im Abschnitt von der Weißliliengasse hin zum Schillerplatz auf der linken Seite ist unsere Familie mitbeteiligt, aber hier existieren langfristige Mietverhältnisse, z.B. mit der Hochschule Mainz. Trotzdem sind wir offen für Anregungen insbesondere zur Platzgestaltung hinter diesen Gebäuden.«

Anm. d. Autorin: Der Stadtrat hat die »Absichtserklärung« vom 2. April 2019 zur Kenntnis genommen. Damit wird die Verwaltung »beauftragt, auf dieser Grundlage das LudwigsstraßenConsilium einzuberufen und die nächsten Schritte wie die Ausarbeitung der Verträge, die Auslobung der Wettbewerbe und die Schaffung von Baurecht einzuleiten.« Außerdem soll laut Stadtratsbeschluss die Verwaltung bis zum 27. Juni 2019 ein städtebauliches Gesamtkonzept der Ludwigsstraße vom Gutenberg- bis zum Schillerplatz erarbeiten.  Auf MAINZER-Nachfrage teilte die Pressestelle mit, das LudwigsstraßenConsilium solle »noch vor den Sommerferien« stattfinden; ob sich der neu gewählte Stadtrat in seiner konstituierenden Sitzung am 27. Juni 2019 mit dem Thema beschäftigt, sei offen.

| SoS

Kommentar:

Der regionale Investor hat ein verantwortungsvolles Nutzungskonzept vorgelegt – umsetzen muss er es nicht. Die Mieten von Karstadt und Deutscher Bank verhindern bei ihm rote Zahlen. Aber es wäre schade, wenn an dieser zentralen Stelle der Stadt Mainz weiterhin graue Tristesse herrschen würde. Die neurotische Angst vor Veränderung hätte über die Lust am Neuen gesiegt.

| WHO