Vier Monate nach der Bundestagswahl hat Deutschland noch immer keine neue Regierung. Na und?

Es ist ein Novum. Und ein Lehrstück für Politikfaule. Seit der Bundestagswahl erleben wir in Berlin ein Spektakel, das – in Deutschland – völlig neu ist.

Genau, die MAINZER-Lokaljournalistin unternimmt ausnahmsweise einen Ausflug in die bundesdeutsche Politik. Jamaika, Groko, innerparteiliche Konflikte in den beteiligten Parteien CDU und CSU, SPD und Grüne, – in der Lindner-Partei gibt es das selbstredend nicht, da redet eh nur der Chef. Vor- und zurückrudern, Ankündigungen und Versprechen umstandslos im Papierkorb entsorgen, mit neuen Verheißungen nach vorne preschen und dann wieder einen Rückzieher machen …

Das ist die Klaviatur der hohen politischen Kunst. Das meine ich nicht ironisch. Wir sind das in Deutschland nur (noch) nicht gewohnt. Als »gute Demokraten« machen wir regelmäßig irgendwo unsere Kreuzchen, lehnen uns dann gemütlich zurück, schauen zu, wie die Damen und Herren in den Parlamenten Koalitionen schmieden und Regierungen bilden, um uns danach möglichst oft über das zu beschweren, was sie verzapfen – ohne es zu durchschauen, weil wir längst den Überblick verloren haben, wer welche Gesetzgebungskompetenz hat, zum Beispiel. Außerdem: so richtig interessiert es eh kaum jemanden, solange es uns »gut« geht, jedenfalls. Wer hört sich schon die komplette Rede von Bundestagsabgeordneten im Livestream an?

Eine Chance, Interesse für die Bundespolitik zu wecken, haben die neu gewählten Bundestagsabgeordneten übrigens links liegen gelassen: Sie hätten Gesetzesvorschläge machen, diskutieren und sogar verabschieden können. Ganz frei von Koalitionszwängen, fraktionsübergreifend. Haben sie aber nicht auf die Reihe gekriegt. Ohne Gewissheit, mit wem sie sich die Regierungsbank teilen, mit wem sie Kompromisse in welche Richtungen aushandeln müssen, sind sie orientierungslos. Ein anderes Lehrstück, das uns die Politik in Berlin vor Augen führt, heißt: Wie schafft es eine rechtspopulistische Partei möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzeugen? Die AFD ist, so die Groko kommt, die stärkste Oppositionspartei. Ob die oppositionellen Grünen mit den Linken und der FDP zusammen es schaffen, die einzuhegen?

Sicher ist, den Vorsitz von wichtigen Fachausschüssen, den kann der AFD keiner nehmen. Nun machen die Ausschussvorsitzenden alleine zwar keine Gesetze, sie haben aber als Kompromissfinder wichtige Funktionen und: sie sind das mediale Gesicht der Ausschüsse. Wenn über die Entscheidungen des, sagen wir mal Haushaltsausschusses berichtet wird, wird der Vorsitzende interviewt. Da dürfen wir uns auf verbale »Ausrutscher«, in denen Rassismus hinter Worthülsen versteckt wird, gefasst machen. Hoffentlich gewöhnen wir uns nicht daran. | SoS