Sandro Schwarz übernahm im Juni von Martin Schmidt das Traineramt beim FSV Mainz 05. Im Gespräch mit dem MAINZER stellt er sich und sein Konzept vor.

Sandro Schwarz, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum Nachwuchs. Sie sind Mitte Juli Vater geworden. Wie bringt man das im Alltag eines Profis unter?
Danke schön, ich bin ja zum zweiten Mal Vater geworden. Das ist in der Tat nicht ganz einfach, aber es geht. Die Arbeit zu Hause leistet hauptsächlich meine Frau. Sie hat sich über meine Beförderung sehr gefreut und sie ist ein starker Rückhalt.

Zu Ihrer Person. Sie sind Mainzer?
Ja, geboren bin ich im Hildegardis, mein Abitur habe ich am Schlossgymnasium gemacht. Seit meinem fünften Lebensjahr spiele ich Fußball, zunächst bei Kastel 06. Später bei SV 07 Bischofsheim unter Holger Schneider, einem wichtigen Förderer.

War Fußballprofi Ihr Wunschberuf?
Eine Zeit lang wollte ich mal Busfahrer werden. Das fand ich damals cool. Aber schon mit fünf war zumindest klar, dass ich Spaß habe am Fußball. Das hat sich dann so entwickelt. Mit 16 kam das Gefühl, es könnte was werden. Ich bin zur A-Jugend von Mainz 05 gewechselt. Und mit dem ersten Vertrag hat man mir dann bescheinigt, dass ich nicht ganz talentfrei bin. Problematisch war, dass ich am Anfang meiner aktiven Zeit im Seniorenbereich viel verletzt war. Die Belastung ist dort sehr viel höher als im Juniorenbereich. Und ich hatte einfach auch sehr viel Pech.

Als Sie Trainer der U23 wurden – haben Sie da schon vage darüber nachgedacht, dass so mancher Trainer der zweiten Mannschaft später einmal zur Ersten gewechselt ist?
Nein, überhaupt nicht. Mein einziger Gedanke war, wie kann ich mit meiner Mannschaft Spiele im Kampf um die Klasse in der dritten Liga gewinnen. Ich habe keine nächsten Schritte für mich geplant. Wir waren ja in einer schwierigen Situation, im Abstiegskampf. Der Fokus lag allein darauf, die Spiele mit der U23 zu gewinnen.

Sie wurden von den Medien ja schon während der letzten Rückrunde als Nachfolger von Martin Schmidt gesehen – wann wurde es ernst für Sie? Wer hat Sie wann konkret gefragt?
Rouven Schröder nach der Bekanntgabe, dass Martin Schmidt freigestellt wird. Kurze Zeit danach hat er mich gefragt.

Als es zum ersten Mal an Sie ran getragen wurde, wie ging’s Ihnen da?
(lacht) Ja gut, definitiv. Das war natürlich ein gutes Gefühl, im Kreis der Auserwählten zu sein und Cheftrainer werden zu können. Als die Entscheidung gefallen war habe ich mich riesig gefreut, bin erstmal nach Hause und habe es meiner Frau erzählt.

Sie haben einen Vertrag für 3 Jahre. Was wollen Sie in dieser Zeit konkret erreichen? Nur Liga halten oder darf auch einmal das Stichwort »Europa« fallen?
Es geht jetzt zunächst um eine seriöse Vorbereitung und nicht um Gedanken, wie wir in 3 Jahren da stehen. Wir wollen zunächst einmal die Klasse halten, das muss immer das Grundziel sein. Darüber hinaus geht es darum, dass wir durch die Art und Weise, wie wir spielen und uns präsentieren die Mainzer Philosophie leben – das bedeutet menschlich im Umgang miteinander unsere Werte zu pflegen und sportlich gesehen unsere Inhalte auf den Platz zu bringen.

Und natürlich geht das nur mit einem guten Trainerteam: Jan-Moritz Lichte als Co-Trainer, Michael Falkenmeyer als Analyst, mit dem ich in der U23 schon zusammen gearbeitet habe. Stephan Kuhnert, die lebende Legende als Torwarttrainer, unsere beiden Athletik-Trainer Axel Busenkell und Jonas Grünewald. Jeder hat seinen Bereich, in dem er genau weiß, was zu tun ist. Am Ende bin ich derjenige, der die Entscheidungen trifft und auch die Konsequenzen trägt.

Letzte Saison: Strukturänderungen, Persönlichkeiten gingen, neue Gesichter, Diskussionen in Sozialen Medien und Printmedien – und schließlich: Abstiegskampf. Sehen Sie da einen Zusammenhang? Geht das alles doch nicht so leicht an einer Mannschaft und ihrem Trainer vorbei?
Das weiß ich nicht. In der U23 in der letzten Saison war das kein Thema. Mich persönlich betrifft das natürlich schon, weil ich alle schon viele Jahre kenne. Ich finde dass die, die da waren, eine sensationelle Arbeit abgeliefert haben. Und für die, die jetzt da sind, geht es drum, den Verein weiter zu entwickeln.

Das neue Team soll beweglicher sein variabler spielen können. Können Sie und das noch etwas erläutern?
Unbeweglich waren wir ja bisher auch nicht. Es geht nicht darum, mit dem 1. Spieltag den perfekten Fußball zu praktizieren sondern darum, Lösungsmöglichkeiten für alle Phasen zu haben, die im Spiel auftreten können. Das müssen wir in den Trainingseinheiten und der Vorbereitung entwickeln. Das ist ein langer Prozess, das sollte klar sein.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Zeiten mit längeren Krisen, spektakuläre Siege gegen starke Mannschaften und Grottenkicks gegen schwache.
Das ist normal. Wir sind Mainz 05. Ich kenne andere Vereine, die haben richtige Krisen. Wir sollten uns da nichts einreden. Für mich ist es keine Krise, in Darmstadt oder in Ingolstadt zu verlieren. Wir haben schon andere Dinge erlebt als Mainzer. Und wenn es einen Verein gibt der weiß, wie er mit Niederlagen umgeht, dann sind wir das bei Mainz 05

René Adler – ist er für Sie die Nr. 1 im Tor? Was erwarten Sie von ihm, außer dass er die Bälle fängt?
Er kann sie meinetwegen auch mal wegschießen – das muss er sogar (lacht). Aber klar, wenn wir Rene Adler holen, werden wir nicht so tun, als ob es eine große Überraschung wäre, wenn er am 1. Spieltag im Tor steht. Und auch wenn man sagt, Rene ist ein Star, finde ich es sehr angenehm, wie er auftritt. Das empfindet jeder in der Gruppe so. Sehr bescheiden, er hat sich sehr interessiert für die Stadt, für den Verein hier in Mainz.
Wir wissen aber auch, dass wir zwei sehr, sehr gute junge Torhüter haben. Auch Rene kann noch dazu lernen, auch von den jungen Kerlen – und sie natürlich von ihm. Was die Torhüterpositionen betrifft, haben wir eine optimale Ausgangssituation.

Gibt es gesetzte Spieler?
Es gibt immer Spieler bei denen man weiß, der hat seine Leistung schon gebracht, auf ihn ist Verlass, der tritt als Führungspersönlichkeit auf. Aber trotz allem muss man das immer wieder auch durch Leistung bestätigen: In jedem Training, in jedem Spiel. Nur weil jemand gesetzt ist heißt das nicht, dass er 6 Wochen keine Leistung bringt und in der 7. Woche trotzdem spielt.

Der Vertrag für Viktor Fischer war für einige sicherlich eine große Überraschung. Können Sie zu unserem neuen Linksaußen noch etwas sagen?
Ein sehr flexibler Spieler, ein Rechtsfuß, der gut zwischen den Linien ist, in den Halbräumen, der gute Positionen für sich findet, ein Top-Fußballer, der einen guten Abschluss hat, der Toptalent bei Ajax Amsterdam war. Wir versprechen uns, dass er nach einer schwierigen Zeit in Middelsbrough bei uns wieder das zeigt, was er davor bei Ajax Amsterdam gezeigt hat.

Schwalben, Handspieldiskussionen, (vermeintliche) Abseitsstellungen – in der neuen Saison wird der Videobeweis sicherlich für Zündstoff sorgen. Wie stehen sie zu diesem technischen Hilfsmittel?
Grundsätzlich sind Videobeweise wichtig, um Klarheit im Spiel zu haben.

Was wird sich für sie jetzt – außerhalb des Berufes – ändern? Bald werden Sie nicht mehr so unerkannt durch die Mainzer Innenstadt gehen können.
Kann sein, ich versuche zu bleiben, wie ich bin. Klar wird man mehr erkannt, ist aber keine Belastung.

Haben Sie sich schon mal sich selbst gegoogelt? Wie aktiv sind Sie bei Facebook, Twitter und Co?
Gar nicht. Gegoogelt habe ich mich schon mal, ich wollte einfach mal sehen, wie ich auf Fotos aussehe (lacht schallend).

Wie viele Treffer bei Google?
Keine Ahnung.

Ungefähr 400 000! Und wie viele Clips auf Youtube?
Vielleicht 4?

Knapp 1000!
Ehrlich? (lacht wieder)

Sind Sie abergläubisch? Manche Fußballer (und auch Fans) haben ja bestimmte Rituale, ziehen zum Beispiel immer bestimmte Klamotten an.
Besonders abergläubisch bin ich nicht. Wenn ich mal wiederholt dasselbe anziehe, heißt das nicht, dass ich abergläubisch bin. Ich habe einfach nicht so viele Klamotten. (lacht)

Welches Verhältnis haben Sie zum rheinhessischen Wein?
(lacht) Ich habe ja mal in Bodenheim gewohnt. Auf dem Albansfest haben wir dann schon das eine oder andere Mal ein Gläschen verhaftet.

Handkäs oder Spundekäs?
Spundekäs

Fleischwurst kalt oder warm?
Kalt

Was darf ein Trainer essen und trinken – im Unterschied zum Spieler?
Alles (lacht schallend) – Nein, wir sollten natürlich auch auf eine ausgewogene Ernährung achten, was mir nicht immer leicht fällt…

Ausgehtipps?
(grinst) Samstags in die OPEL ARENA und natürlich zum öffentlichen Training am Bruchweg, das sind doch prima Ideen. Und ansonsten nach Spielen gemeinsam in die Stadt gehen und dort einfach die Kneipen füllen

Wo stehen wir am Ende der nächsten Saison? Was haben Sie sich für den Pokal vorgenommen?
Der Pokal ist für mich ein extrem wichtiger Wettbewerb, wenn ich an das Finale zwischen Dortmund und Frankfurt denke. Im Pokal kann man mit wenigen Spielen viel erreichen. Das ist ein sehr spannender Wettbewerb. Aus unserer Historie wissen wir, dass es leider auch schnell zu Ende sein kann – aber unser Anspruch ist es natürlich, so weit wie möglich zu kommen.

Für die Bundesliga wäre es nicht der richtige Ansatz, jetzt über Platzierungen zu reden. Wichtig ist, vom ersten Spieltag an die Dinge so zum Funktionieren zu bringen, wie wir’s gerne möchten, wie wir gerne spielen wollen. Die Zuschauer, die Fans sollen das Gefühl haben, da ist eine Mannschaft, die zerreißt sich komplett. Alle zwei Wochen aus der Opelarena zu gehen mit dem Gefühl, die Jungs haben alles gegeben, das ist erst mal die Überschrift. Wenn wir das so hinkriegen ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass wir am Ende der Saison auch eine Top-Platzierung haben werden.

Einer Ihrer Vorgänger – Thomas Tuchel – beschrieb sich als fußballbesessen, denn über 95% seiner Zeit (außer schlafen) beschäftige er sich mit Fußball. Wie hoch setzen Sie die Zahl denn für sich an?
Ich will mich nicht mit Thomas vergleichen, aber es reicht schon an die 100% ran. Der Trainerberuf geht nur mit einer tiefen Leidenschaft und das heißt auch, sich ständig Gedanken darüber zu machen: Spielanalyse, Analyse des Gegners, Teamführung, Trainingsformen zu entwickeln, die die Mannschaft voran bringen. Es ist schwer, abzuschalten, auch wenn man mit der Familie unterwegs ist. Du bist schon permanent unter Strom.

Wie wichtig ist denn Psychologie für Sie?
Ich finde das sehr wichtig. Eine Bindung zu den Jungs zu haben, das vorzuleben, was man erwartet. Dazu gehört auch, viele Gespräche zu führen, bei denen es um den Menschen geht, nicht nur um den Fußballer.
| Das Interview führte Dr. Paul Nilges